Bewertung
Travis

Ode To J. Smith

Die Band, der man oft nachsagte, dass sie Allerweltsmusik mache, die zu gefällig und glatt daherkommt, hat ihr neues Album jetzt mit einem Allerweltsnamen betitelt. J. Smith steht für den gewöhnlichen Menschen und könnte praktisch jeder sein. Aber dann beginnt es plötzlich ungewöhnlich zu werden ... man vernimmt E-Gitarren und Geschrammel und harte Riffs und fragt sich: Haben Travis genug von ihrem Schmuse-Image? Werden sie uns nie wieder mit romantischen Songs verzaubern? Sind sie tatsächlich zu ihren etwas "härteren" Wurzeln zurückgekehrt?

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Von Allerweltsmusik kann man wirklich nicht mehr so leicht sprechen, von einer Drehung um 180° aber noch weniger: Fran Healy und Co haben ihre Musik tatsächlich etwas aufgemotzt, sie mit Kanten und Ecken versehen, elektrisch verstärkt und zeigen dadurch eine Menge neuer Seiten und Eigenschaften, die uns bis jetzt großteils verborgen blieben. Auch wirken sie viel entspannter und selbstsicherer – die sich neu angeeignete Narrenfreiheit ließ ihr Selbstbewusstsein wachsen und damit auch den Mut, ein bisschen zu experimentieren. Aber die Grundzutaten sind dieselben geblieben: Fran Healy neigt einfach dazu, maximal eingängige, hübsche und anschmiegsame Refrains zu schreiben – das war schon immer so, das wird auch immer so bleiben, das schafft er auch, wenn er eigentlich gerade dabei ist, eine rockige Nummer zu fabrizieren.

Der Opener "Chinese Blues" macht diese Mischung auch gut vor: Prägnante Klaviermelodien und eine knarrende Gitarre vereinen sich spätestens beim Refrain zu einem einschmeichelnden Stück Musik. Dennoch spricht aus dem Ganzen etwas mehr Souveränität, wie selbstverständlich erlauben es sich die Instrumente, für einige Takte auszuufern und sich gehen zu lassen.

Paradestück für den "neuen" Stil ist natürlich "J. Smith", bei dem sich die Gitarre selbstbewusst ihren Weg bahnt und hin und wieder ausgelassen losmarschiert – in nur drei Minuten schafft es der Song, sich zu einer Stilrichtung zu mausern, die man gut und gerne Prog-Pop nennen kann, inklusive eines lateinischen Chors im Hintergrund, unter dessen Leitung sich noch einmal alles dramatisch aufbäumt, bis wieder die Gitarre ganz allein um die Ecke trabt und das Stück ganz entspannt ausklingen lässt.

"Something Anything" und "Long Way Down" gehen beide sehr ins Ohr und fahren weiterhin auf dieser rockigen Schiene, fallen jedoch mehr gefällig als wirklich anspruchsvoll aus. Besonders letzteres scheint sich sehr an etwaigen aktuellen Indie-Gitarren-Bands zu orientieren, speziell der Name Mando Diao kam mir öfter in den Sinn – sogar den berühmt-berüchtigten Kreischer, der schnell mal ein Solo einleitet, hat Healy auf den Ton genau drauf!

Nach diesem flotten Einstieg beginnt der Mittelteil des Albums mit "Broken Mirror" wieder bedachter, in diesem Fall geheimnisvoller, beinahe schleichender. Mit einer heulenden Gitarre im Hintergrund und Healys Kopfstimme im Vordergrund bildet "Broken Mirror" eines der eigenständigsten Lieder der Platte.

Danach befindet man sich aber wieder fix im gewohnten Travis-Milieu: "Last Words" ist einfach die typisch nette Nummer mit dem knuffigen Refrain, die man rasch ins Herz schließt. "Quite Free" macht da ebenfalls keine Ausnahme, "Get Up" hebt sich durch Appell und Instrumentierung etwas ab, aber alles in allem hat man mit Fortschreiten des Albums immer mehr das Gefühl, dass sich Travis, nachdem sie sich anfangs ausgetobt haben, ihrer anderen Wurzeln besonnen haben: Den melodischen Pop-Nummern fürs Herz.

"Friends" wird zwar noch immer entspannt und gelassen präsentiert, aber der Text schweift teilweise schon arg ins Naive und Blumige ab – und würde Healy nicht so ernst und herzergreifend singen, würde man ihm seine Liebeserklärung an die Freundschaft wahrscheinlich gar nicht erst abnehmen.

Mit "Song To Self" bieten Travis gegen Ende der Platte noch einen kleinen Höhepunkt: Eigentlich hat dieser Song gar nichts so Außergewöhnliches an sich, nicht einmal die Melodie ist besonders einfallsreich – dennoch verfügt er über diesen Charme, den nur Travis-Stücke haben können und der sofort berührt. "Singing a song to myself / Cause I don't belong any longer" singt Healy und das so bittersüß und schmeichelnd, dass man sich kaum daran satt hören kann. Abschließend gibt's noch mal Klaviergeklimper vom Feinsten – die übertriebene Steigerung und Dramatik hätten sie sich bei "Before You Were Young" allerdings sparen können.

Fazit

Die große Aufregung um "Ode To J. Smith" geht eigentlich nur von den ersten paar Stücken aus, die sich erfrischend ungestüm und anders geben – der restliche Teil der Platte tendiert eher wieder zum gewohnten Stil, allerdings gepaart mit mehr Spielfreude, Selbstvertrauen und Entspanntheit.

Travis haben sich also ein Stückchen von ihrer Glattheit entfernt und sich ein paar neue Stärken angeeignet, Healys größte Stärke ist ihnen allerdings (zum Glück) geblieben: Sämtliche Songs stützen sich auf seine wunderschönen Refrains, die auch in der Britpopwelt einzigartig sind.

Travis werden vermutlich weiterhin im Schatten von Coldplay oder den heranwachsenden Keane bleiben – die sympathischere, bescheidenere Britpop-Variante sind sie aber allemal.

Anspieltipps

J. Smith

Last Words

Song To Self

Tracks

1.Chinese Blues
2.J. Smith
3.Something Anything
4.Long Way Down
5.Broken Mirror
6.Last Words
7.Quite Free
8.Get Up
9.Friends
10.Song To Self
11.Before You Were Young

Stephanie Stummer - myFanbase
01.10.2008

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