Bewertung
Picoult, Jodi

Neunzehn Minuten

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Inhalt

In 19 Minuten kann man das Gras in seinem Vorgarten mähen, die Haare färben oder einen Kuchen backen. Man kann die Wäsche für eine fünfköpfige Familie falten. 19 Minuten kostet es, von der Grenze zu Vermont nach Sterling, New Hampshire, zu fahren. In 19 Minuten kann man die Welt zum Stillstand bringen oder einfach aus ihr herausfallen. 19 Minuten kostet es, Rache zu nehmen. Das hat der 17-jährige Peter Houghton getan. Noch weiß niemand in Sterling, wofür, doch mit diesem unaussprechlichen Akt der Gewalt ist die Welt des kleinen Orts für immer aus den Angeln gehoben. Josie Cormier, die Tochter der Richterin, hat das Massaker an der Schule überlebt. Sie wäre die beste Zeugin. Aber sie kann sich nicht erinnern, was geschehen ist.

Kritik

Schulmassaker. Amoklauf. Wörter wie diese sind einfach gesagt wie beängstigend nah. Schließlich sind sie aus der Welt, in der wir Leben, leider nicht mehr wegzudenken. In den USA wie in Deutschland sind sie Zeugnis einer bitteren Realität geworden, die uns viel zu oft in gröbster Art und Weise auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Ob wir wollen oder nicht, immer und immer wieder. Dieser Thematik widmet sich Jodi Picoult, die spätestens mit "Beim Leben meiner Schwester" zur gefeierten Bestsellerautorin avancierte, in ihrem aktuellen Roman "Neunzehn Minuten".

"Oder man kann, wie Peter Houghton weiß... in 19 Minuten die Welt anhalten."

Picoult bewegt sich mit diesem Roman auf sehr dünnem Eis. Ihre Grundlage ist fiktiv und provozierend, jedoch in keinster Weise abwegig. Selbst sagt sie, Vorfälle wie in Columbine dienten als erschütternde Recherchegrundlage. Sie sprach mit ermittelnden Beamten, Tatzeugen, Opfern und Eltern. Entstanden ist dabei nicht nur eine Geschichte um einen grausamen Gewaltakt und einen bestialischen Täter, viel mehr zeichnet "Neunzehn Minuten" ein abgrundtief erschütterndes Profil unserer modernen Gesellschaft.

"Wir sind alle wie Peter. Manche von uns können es nur besser verbergen. Wo ist denn der Unterschied, ob du dich dein Leben lang möglichst unsichtbar machst oder so tust, als wärst du so, wie du glaubst, dass alle dich gern hätten? So oder so bist du unecht."

Der Roman versteift sich nicht zu sehr auf die Tat an sich. Es geht viel mehr um das Davor und Danach. Um die vielen Kleinigkeiten, mit so schrecklichen Auswirkungen. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Charakteren – Opfern und Tätern. Picoult geht dabei in die Vergangenheit der involvierten Personen und zeichnet ein erschreckendes Profil des Täters wie auch der Opfer. Sie macht sämtliche Personen greifbar, Gedanken und Reaktionen nachvollziehbar. Stets unverhüllt. Stets nachdenklich stimmend.

"Auch sie hatte ihren Sohn an diesem Tag verloren. Nicht bloß an das Gefängnis, sondern persönlich, denn der Junge, den sie gekannt hatte, war verschwunden, war von dieser Bestie verschlungen worden, die sie nicht wiedererkannte und die zu unvorstellbaren Dingen fähig war."

In ihrem beklemmend direkten Schreibstil erzählt Picoult ihren Roman aus mehreren Perspektiven. Aus Sicht des Amokläufers Peter Houghton, seiner Eltern, seiner ehemaligen besten Freundin Josie Cormier, ihrer Mutter Richterin Cormier und schließlich dem örtlichen Sheriff. Bei allen geht es um Auf- und Verarbeitung, um Schuldeingeständnisse, Beliebtheit, Unterdrückung, Familienverhältnisse, Gleichgültigkeit, Hilflosigkeit und schließlich um die eindringliche Frage nach dem Warum. Der Sprung zwischen den Charakteren wird dabei niemals zum Verhängnis, sondern steigert die Intensität des Buches um ein Vielfaches.

"Die haben angefangen."

Fazit

Jodi Picoults "Neunzehn Minuten" ist eines der eindringlichsten Bücher der letzten Jahre. Bedingt durch die Thematik und der hervorragenden Aufarbeitung Picoults wird dieser Roman für Gesprächsstoff und für ein beklemmendes Gefühl bei jedem Leser sorgen. Unbedingt Empfehlenswert. Unbedingt Lesenswert.

René Krieger - myFanbase
09.06.2008

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