Bewertung
Gabriela Cowperthwaite

Blackfish

"Try spending most of your life in a bathtub, see if it doesn't make you a little psychotic."

Foto: Copyright: Filmwelt Verleihagentur 2001-2013.
© Filmwelt Verleihagentur 2001-2013.

Inhalt

Schwertwale, auch Orcas genannt, sind seit Jahrzehnten die Hauptattraktion von Meeres-Themenparks wie SeaWorld, spätestens seit "Free Willy" auch wichtiger Teil der Populärkultur, werden zu Unzähligen als Stofftiere verkauft und sind die bevorzugten Wale beim "whale watching", der Beobachtung von Walen in ihrem natürlichen Lebensraum. Während es bis heute keinen dokumentierten Fall von Schwertwalen gibt, unter Walfängern auch gern mal als Killerwal bezeichnet, die ein menschliches Todesopfer fordern, sind zahlreiche Fälle von Orcas in Gefangenschaft dokumentiert, die Besucher oder Trainer angreifen. "Blackfish" geht der Frage nach, wo die Gründe hierfür liegen und nimmt als Ausgangspunkt die Tragödie um Dawn Brancheau.

Kritik

Am 24. Januar 2010 stirbt Dawn Brancheau, eine erfahrene Tiertrainerin, im SeaWorld Orlando in Florida durch eine Attacke von Tilikum, dem größten Orca-Männchen in Gefangenschaft. Was zunächst seitens der SeaWorld-Offiziellen als unglücklicher Unfall abgetan wird, bei dem Brancheau ins Wasser gefallen sei, wird später zu einem Fehler Brancheaus, die ihren Pferdeschwanz zu weit in der Nähe von Tilikum gehalten habe, sodass dieser sie an eben jenem unter Wasser ziehen konnte. Als sich mehrere Augenzeugen gegen diese Version wehren und versichern, dass Brancheau an ihrem Unterarm heruntergezogen wurde, als sie mit Tilikum trainierte, kommen die SeaWorld-Offiziellen in Erklärungsnot. Wie konnte ein derartiges Unglück geschehen? Wieso war nur wenigen bekannt, dass Tilikum bereits zuvor in zwei Todesfälle involviert war? Wie konnte ein Wesen, das nachweislich extrem hohe emotionale Fähigkeiten aufweist, eine auf den ersten Blick so grausame Tat vollbringen?

Man sollte meinen, dass jedem bewusst ist, dass Orcas in Gefangenschaft ein insgesamt schlechteres Leben führen als eben jene in Freiheit, wo sie mehrere hundert Kilometer pro Tag an Strecke zurücklegen, mit ihren Artgenossen ausgelassen interagieren und bei Konflikten die Rückzugsmöglichkeit der nahezu unendlich großen Ozeane nutzen können. Dennoch hält sich bis heute der Aberglaube hartnäckig, dass Orcas ganz grundsätzlich 25-30 Jahre alt werden und dies nur erreichen, weil sie in Themenparks wie SeaWorld so gut behandelt würden, besser als in der grausamen Natur. Orcas in Freiheit hingegen leben tatsächlich zwischen 50 und 100 Jahre. Orcas in Gefangenschaft kommen nur für die beliebten Shows, bei denen sie diverse Kunststücke gemeinsam mit ihren Trainern aufführen, in vergleichsweise große Wasserbecken und verbringen mindestens zwei Drittel ihres Lebens in einem dunklen Kasten, der oft nicht größer ist als 6x9 Meter. Zur Orientierung: Schwertwale werden zwischen 7 und 8 Meter lang, teils sogar bis zu 10 Meter.

Nun wäre es zu leicht, den Tiertrainern Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren tierischen Trainingspartnern nachzusagen, mit denen sie tagtäglich zu tun haben, ihnen Sadismus vorzuwerfen und ein Desinteresse an diesen majestätisch anmutenden Wesen. Aber "Blackfish", dem zweiten Film von Regisseurin Gabriela Cowperthwaite, der beim diesjährigen Sundance Film Festival mit einer Nominierung für den "Grand Jury Prize" belohnt wurde, möchte sich nicht auf unsaubere Sekundärquellen verlassen und lässt deswegen vor allem die zu Wort kommen, die am meisten Einblick in die tägliche Praxis der Orca-Nutzung haben – die Tiertrainer selbst. Da SeaWorld jegliches Interview für den Film verweigerte, wird die Möglichkeit genutzt, mit Walexperten und ehemaligen Tiertrainern zu reden. Was sich hier offenbart, ist, dass diese Trainer durch die Bank große Tierliebhaber sind und oft bereits von Kindesbeinen an den Traum hegten, gemeinsam mit Tieren zu arbeiten. Zu sehen, wie sie in Tränen aufgelöst sind, wenn sie davon erzählen, wie "ihre" Tiere nach dem Training wieder eingesperrt wurden, wie sie tagelang nach ihren Kindern schreien, die ihnen entrissen wurden, wie sie klaffende Wunden aufwiesen, weil sie in den winzigen Wasserbecken bei den kleinsten Konflikten ihren Artgenossen aufgrund fehlender Rückzugsmöglichkeiten schonungslos ausgesetzt waren, hat sicherlich einen Effekt auf den Zuschauer.

Aber wie kommt es, dass genau diejenigen, die der Öffentlichkeit jahre- und jahrzehntelang als Galionsfiguren für das friedvolle Zusammenleben von Menschen und exotischen Tieren dienten, sich nicht nur in diesem Film, sondern auch in diversen Fernseh- und Zeitungsinterviews ausdrücklich gegen die Gefangenschaft von Schwertwalen aussprechen? Sie haben irgendwann die Lügen, die sie sich selbst und den Millionen Besuchern in Themenparks erzählten, dass die Wale glücklich in ihrer Umgebung seien und die ganzen Kunststücke machten, weil diese ihnen Spaß bereiten würden, nicht mehr geglaubt. Vor allem aber gab es irgendwann zu viele Vertuschungen seitens der Parkinhaber und -betreiber bezüglich Unfällen oder gar Todesfällen mit Orcas. "Blackfish" zeigt einige dokumentierte Fälle davon, wie Trainer durch Orcas in das tiefe Wasser heruntergezogen wurden und entweder ertranken oder dort auf teils bestialische Art und Weise zugerichtet wurden, wie sich Wale auf sie fallen ließen während Shows und die Neoprenanzüge das einzige zu sein schienen, das die Körper der Trainer nach derartigen Aktionen noch zusammenhielt. Dem Film geht es aber nicht um billige Schockmomente, denn Cowperthwaite blendet bewusst dann alles aus, wenn es allzu graphisch wird. Hier reicht die Vorstellungskraft des Zuschauers, um sich bewusst zu werden, dass man es hier mit wilden Tieren zu tun hat, bei denen sich durch die jahrelange Gefangenschaft Frustrationen und Aggressionen anstauen, für die sie irgendwann nur ein Ventil finden. Manchmal wollen sie, die mehrere Tonnen wiegen, im wahrsten Sinne des Wortes auch tatsächlich einfach nur spielen und schätzen Situationen falsch ein.

Wo es sich "Blackfish" ebenfalls nicht leicht macht, ist bei der Auswahl der Gesprächspartner. Denn nicht nur Gegner der öffentlichen Zuschaustellung von Schwertwalen kommen zu Wort, sondern auch diejenigen, die SeaWorld weiterhin zutrauen, Walen eine Umgebung zu bieten, in der sie sich wohl fühlen, und gleichzeitig die Möglichkeit geben, Todesfälle im Speziellen und Unfälle im Allgemeinen von Trainern zur Gänze zu vermeiden. Dadurch sorgt man zumindest dafür, dass die Dokumentation nicht allzu einseitig ausfällt, auch wenn natürlich klar ist, welche Botschaft die präsentierten Bilder und Fakten transportieren und sicherlich auch transportieren sollen. Aber "Blackfish" muss gar nicht agitieren oder Polemik betreiben, sondern kann einfach Tatsachen aufzeigen, um ein wichtiges Argument für die Freilassung aller Orcas und Walle allgemein in Gefangenschaft zu liefern.

Auch wenn die Thematik selbst bereits hochinteressant ist, hätte die Dokumentation dennoch auch deutlich weniger spannend sein können. Aber Orca-Männchen Tilikum als der Fixpunkt des Films, dessen Geschichte sorgfältig erzählt wird, erlaubt schnell auch, dass man sich persönlich mitreißen lässt. Da ist ein riesiges und majestätisch anmutendes Wesen, das mit jeder Faser seines Körpers Dynamik ausstrahlt, dem jede Möglichkeit verweigert wird, sich in dieser Form zu verwirklichen und das bereits vor dem Fall Dawn Brancheau einen Trainer und einen Besucher auf dem Gewissen hat, jedoch weiterhin in SeaWorld gehalten wird, weil seine Spermien Millionen Dollar wert sind. Und während Tilikum nach dem Tod von Brancheau keine Shows mehr machte, ist er seit dem 30. März 2011 im SeaWorld Orlando wieder dabei, Eltern mit ihren kleinen Kindern einen in jeglicher Hinsicht falschen Blick auf das Verhalten von Tieren in Gefangenschaft zu zeigen und zu fehlgeleiteter Tierliebe zu führen. Bis zum heutigen Tage tritt Tilikum dort auf.

Fazit

"Blackfish" ist eine handwerklich einwandfreie und aufregende Dokumentation über eine wichtige Thematik, ohne hierbei polarisieren zu wollen und auf billige Schockmomente zu setzen (für die es sicherlich genug Filmmaterial gegeben hätte). In den USA hat der Film eine längst überfällige Diskussion weiter angefeuert, die hoffentlich dazu führen wird, dass man sich in einigen Jahren wundert, wie man derartigen barbarischen Akten klatschend und jubelnd beiwohnen konnte. Vielleicht ist dies dann auch die Initialzündung zur konsequenten Übertragung dieser Verhältnisse auf die diversen anderen Szenarien, in denen Tiere zum Spaß des Menschen aus ihrem natürlichen Lebensraum gerissen, vorgeführt und konsequent misshandelt werden. Man kann es nur hoffen.

Andreas K. - myFanbase
07.12.2013

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