Bewertung
Pablo Larraín

No!

Adiós, Señor Pinochet.

Foto: Copyright: 2013 Arne Höhne Presse
© 2013 Arne Höhne Presse

Inhalt

Chile, 1988: Seit 15 Jahren regiert Augusto Pinochet als Diktator das Land. Da der internationale Druck auf Pinochet immer größer wird, sieht dieser sich gezwungen, einen Volksentscheid abzuhalten: Die Bevölkerung kann wählen zwischen einem SI, das Pinochet für weitere acht Jahre in seinem Amt bestätigt, und einem NO, das die Abhaltung von freien Präsidentschaftswahlen bedeutet. Angesichts der bevorstehenden Wahl stehen der Opposition einen Monat lang täglich 15 Minuten Sendezeit im Fernsehen zur Verfügung, um die Leute von einem NO zu überzeugen. Der junge Werbefachmann René Saavedra (Gael García Bernal) wird für diese Kampagne an Bord geholt, um der Opposition zum Sieg zu verhelfen und der Diktatur damit ein für alle Mal ein Ende zu setzen, auch wenn dies aussichtslos erscheint. Bald jedoch muss Saavedra feststellen, dass Meinungsfreiheit in einem Polizeistaat zu einer gefährlichen Angelegenheit werden kann...

Kritik

Was vor 25 Jahren mit der Absetzung von Augusto Pinochet in Chile geschah, ist ein beeindruckendes Beispiel (nahezu) friedlicher Rebellion in der jüngeren Geschichte: Ein Diktator, der durch einen demokratischen Volksentscheid abgesetzt werden konnte, das sieht man selten. Zwar verhinderte die chilenische Justiz nach Pinochets Sturz, dass er für seine Taten (u.a. hunderte, wenn nicht gar tausende von politischen Morden, Verschwundenen und Gefolterten) geradestehen musste, indem sie ihn, nachdem ihm seine politische Immunität endlich abgesprochen wurde, für prozessunfähig geklärten. Pinochet starb, bevor je ein Verfahren gegen ihn zu Ende gebracht werden konnte. Doch für das Land Chile bedeuteten die Ereignisse von 1988 den Aufbruch zu einer neuen Demokratie und das Ende staatlichen Terrors.

Regisseur Pablo Larraín wählt für die filmische Aufarbeitung dieses schwierigen Themas einen hochinteressanten Ansatz: Mit René Saavedra macht er einen Mann zum Protagonisten, der zwar im Zentrum des Volksentscheids steht, da er mit seiner Kampagne die Möglichkeit hat, Millionen von Chilenen zu einem Bewusstseinswandel zu verhelfen, der aber gleichzeitig gar kein Interesse an Politik hat. Zu Beginn kennt Saavedra nicht einmal den Unterschied zwischen Kommunisten und Christdemokraten und als sein alter Freund José Tomás Urrutia (Luis Gnecco) ihn darum bittet, die Leitung der Kampagne zu übernehmen, will er zunächst ablehnen. Doch gerade das ist es, was Saavedra zum perfekten Kandidaten macht: Er sieht die Dinge nicht mit einer politischen Brille, er sieht sie einzig und allein als Werbefachmann, der das Ziel hat, Leute von einem Produkt zu überzeugen. Nur in diesem Fall ist das Produkt die Demokratie.

Bernals Leistung als Saavedra ist wie gewohnt eine äußerst überzeugende, schafft er es doch mühelos, mit seinem subtilen und dennoch ausdrucksstarken Schauspiel diesen selbstbewussten, jugendhaften und dennoch sehr introspektiven Werbemann und alleinerziehenden Vater authentisch zu porträtieren. Saavedra ist ein Sympathieträger, auch oder gerade weil er in einem Land, in dem sich alle nur noch über ihr politisches SI oder NO definieren, unpolitisch bleibt – zumindest an der Oberfläche. Denn hier beginnt Saavedras Entwicklungsprozess von einem Mann, der sich eigentlich raushalten will, zu einem Mann, der die Wichtigkeit seiner Kampagne zu verstehen beginnt und begreift, dass ein NO trotz allen Umständen vielleicht doch noch möglich ist, wenn er die Leute nur dazu bewegt, Mut zu haben und sich gegen Pinochet zu entscheiden. Sehr interessant ist dabei das Verhältnis von Saavedra zu seinem Chef Lucho Guzmán (Alfredo Castro), der, wie sich herausstellt, für Pinochets Kampagne arbeitet, was diese Freundschaft natürlich politisiert und vor einige Probleme stellt. Auch Saavedras private Probleme mit seiner Ex-Frau Verónica (Antonia Zegers) fügen sich absolut nahtlos in die Geschichte ein und fügen ihr eine wichtige emotionale Komponente hinzu, die zu keiner Zeit fehl am Platz wirkt.

Ein besonderes Lob muss man dem Film dafür aussprechen, dass er sich zwar natürlich auf die Seite der Demokratie und damit das NO stellt, gleichzeitig aber nie belehrend oder einseitig wirkt. In manchmal etwas lang geratenen, aber für die Story nun einmal unablässlichen Gesprächen wird die politische Lage des Landes erläutert, die Angst der Bevölkerung, das Gefühl des Terrors, aber auch der wirtschaftliche Aufschwung, den Pinochet dem Land zweifellos gebracht hat. Der Film ist in seiner Darstellung differenziert und zeigt ganz bewusst, dass das Referendum von 1988 nicht die große Lösung war, sondern vor allem erstmal ein wichtiger Schritt in der Entwicklung hin zu einer Demokratie.

Der ausschlaggebende Grund, warum "No!" die Nominierung für den Besten Fremdsprachigen Film bei den Oscars 2013 erhalten hat, wird aber letztlich wohl der inszenatorische gewesen sein. Larraín hat sich nämlich bewusst dazu entschieden, seinen Film mit aus den 80er Jahren stammenden Umatic-Kameras zu drehen, die dem Film eine ungemein authentische Atmosphäre verleihen. Echtes Archivmaterial verbindet er mit den neu gedrehten Aufnahmen zu einem nahezu dokumentarisch anmutenden Werk, das mit einem großartigen Retrolook punktet und nebenbei noch den Charme dieses Jahrzehnts einfängt, sei es durch die heutzutage völlig übertrieben wirkenden Werbespots von Saavedra und der NO-Kampagne, oder durch die Freude an technischen Geräten wie die damals soeben erfundene Mikrowelle.

Fazit

Mit seinem historisch-politischen Thema, das auch noch über 25 Jahre nach Pinochets Sturz von Relevanz ist, seinem großartigen Cast und seiner außergewöhnlichen Ästhetik ist "No!" ein wichtiger Beitrag für die filmische Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Chiles, das sowohl als Pseudodokumentation als auch als Drama funktioniert. Ein beeindruckendes und faszinierendes Stück Kino, das absolut sehenswert ist.

Maria Gruber - myFanbase
01.03.2013

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