Pieta
"What is money?" - "Money? The beginning and the end of all things. Love, honor, violence, fury, hatred, jealousy, revenge, death."
Inhalt
Kang-do (Lee Jung-jin) ist ein skrupelloser und brutaler Geldeintreiber für einen Kredithai in Seoul. Täglich besucht er die zahlreichen Kleingewerbe am Fluss Cheonggyecheon und verletzt bzw. verstümmelt säumige Schuldner, meist vor ihren Angehörigen. Durch eine an Kang-dos Auftraggeber ausgestellte Invalidenversicherung, die die Schuldner als Voraussetzung für die Gewährung des Kredits unterschreiben müssen, wird so ein Geschäft aus den oft Existenz vernichtenden Verletzungen, die sich die Arbeiter bei Kang-dos Besuchen zuziehen. Eines Tages steht plötzlich eine ältere Frau (Cho Min-soo) vor Kang-do, die sich als dessen Mutter ausgibt. Erst glaubt Kang-do ihr nicht, doch nach einigen Tests lässt er sie an seinem Leben teilhaben und wird nicht nur zusehends nachgiebiger mit den Schuldnern, sondern erlebt freudig die Kindheit, die er nie hatte, wieder. Kang-do ahnt nicht, dass er Teil eines perfiden Spiels geworden ist, das ihn nur noch stärker in einer Spirale aus Gewalt und Rache gefangen nimmt.
Kritik
Die für diesen Film Titel gebende "Pietà" stellt in der bildenden Kunst nicht nur die gemeinsame Abbildung von Maria und dem Leichnam des vom Kreuze genommenen Jesus Christus dar, sondern lässt sich auch mit "Frömmigkeit" bzw. "Mitleid" übersetzen. Der koreanische Meisterregisseur Kim Ki-duk in seinem 18. Film und dem selbsternannten Neustart nach seiner Schaffens- und Sinnkrise, die er in seiner Selbstdokumentation "Arirang – Bekenntnisse eines Filmemachers" thematisierte, wollte jedoch bewusst allzu offensichtliche Assoziationen mit der religiösen Symbolik vermeiden und entschied sich daher dazu, eine Szene, in der die beiden Hauptcharaktere eine Stellung wie Maria und Jesus in Michelangelos Römischer Pietà einnehmen, aus dem Film zu entfernen. Für die Plakatwerbung seines neuen Werks wurde ein Bild, das Kang-do in den Armen seiner vermeintlichen Mutter zeigt, jedoch weiterhin verwendet, auch wenn es Kim letzten Endes thematisch zu explizit war. Vielmehr ging es ihm, ausgelöst durch die mannigfaltigen Gefühle, die bei ihm das Betrachten der Marienstatue in Rom vor einigen Jahren auslösten, darum, das Teilen des Schmerzes der gesamten Menschheit zum Thema seines neuesten Films zu machen.
Wer Kims bisheriges Schaffen verfolgt hat, kann sich in etwa vorstellen, wie er den Themenschwerpunkt "Schmerz" behandelt, ist er doch mittlerweile oft eher berüchtigt als berühmt für die explizite Darstellung von Gewalt und das Brechen von Tabuthemen jeglicher Art. Der eigentliche Schmerz taucht in "Pieta" zunächst recht offensichtlich durch Kang-dos Quälereien der säumigen Schuldner auf. Praktisch nahtlos reiht sich eine Szene mit gewalttätigen Ausbrüchen des Hauptcharakters (dessen Name sich passenderweise mit "Räuber" übersetzen lässt) an die nächste, was den Film insbesondere in der ersten Hälfte für westliche Zuschauer extrem schwer verdaulich macht. Aber auch sonst mutet Kim Ki-duk seinem Publikum einiges zu und bringt nahezu mühelos Momente von Kannibalismus oder Inzest unter. Interessant hierbei jedoch ist, dass auf die explizite Darstellung der zahlreichen Verletzungen und Verstümmelungen großteils verzichtet wurde und stattdessen diese Momente lediglich angedeutet werden. Nachdem die eigene Vorstellungskraft hier aber ganze Arbeit leistet, führt das mitnichten zu einer Reduktion des damit verbundenen Horrors für alle Beteiligten, sondern zu dessen Verstärkung. Gewalt ist hier kein Selbstzweck, sondern eine Form der Kommunikation der Menschen untereinander und damit Indikator, wie die Menschheit in der heutigen Zeit miteinander umgeht.
Kim lässt seine Hauptfigur hierfür oft Maschinen nutzen, die die Schuldner für ihre tägliche Arbeit im heruntergekommenen Kleingewerbe-Gebiet am Fluss Cheonggyecheon benötigen. Der Kontrast – die hilfreiche Unterstützung für die tägliche Arbeit auf der einen Seite und die schonungslose Apparatur, die keine Rücksicht auf die körperliche Unversehrtheit anderer nimmt – entsteht hierbei durch den Faktor Mensch und mit welcher Intention dieser die Maschinen nutzt. Kim verbrachte selbst einige Jahre mit harter Arbeit in dieser Region und weiß daher um deren Bedeutung im Kontext der Industrialisierung. Während im Hintergrund ein großer Wolkenkratzer nach dem anderen entsteht, müssen in den heruntergekommenen Hütten die Arbeiter allerlei Tricks anwenden, um ihre Familie ernähren zu können. Nicht selten geraten sie hierbei an Kredithaie wie Kang-dos Auftraggeber, die das Zehnfache des ursprünglichen Leihwertes verlangen. Alle wissen, dass sie mit derartigen Individuen keine Geschäfte machen sollten, doch sie sehen oft keine andere Möglichkeit mehr, ihrer Familie und sich selbst ein menschenwürdiges Leben zu bieten. Besonders auffällig wird dies in einer Szene, in der der Schuldner offen zugibt, dass er nie vor hatte, den fälligen Betrag zurückzuzahlen, sondern sich einfach ein paar schöne Tage machen wollte, bevor er stirbt. In diesem Zusammenhang ist "Pieta" mit seinem ersten Leitmotiv "Geld" natürlich auch eine Form der Kapitalismuskritik.
Das zweite zentrale Thema des Films, die Familie, wird mit dem Auftauchen von Kang-dos vermeintlicher Mutter begonnen. Die Emotionslosigkeit, mit der Kang-do ausgestattet ist, und die ihn derart schreckliche Taten erst vollführen lässt, rührt unter anderem daher, dass er früh von seiner Mutter verlassen wurde. Als nun eine Frau auftaucht, die sich als eben jene ausgibt, ist Kang-do zwar sehr misstrauisch und unterzieht sie einigen physisch wie psychisch schmerzvollen Tests. Als sie jedoch weiterhin zu ihm steht, glaubt er ihr. Und so beginnt er, Teile seiner Kindheit nachzuholen und für seine Verhältnisse regelrecht aufzublühen. Ebenso wird er nachgiebiger mit den Schuldnern. Dass die Beziehung der beiden dennoch alles andere als normal ist, ist evident. Dennoch zeigt Kim, dass die Familie ein wichtiger Fixpunkt in einem ansonsten orientierungslosen Leben sein kann.
Das dritte Leitmotiv kann unter den Themenkomplexen Abbitte oder Erlösung subsumiert werden (so hat Kim sie selbst bezeichnet), gut und gerne kann man aber daraus auch ein Rachemotiv ableiten. Ein Großteil der zweiten Hälfte von "Pieta" ist geprägt durch Rache und Sühne und unterscheidet sich aus thematischer Sicht so teils kaum von anderen, insbesondere koreanischen, Filmen, die erst auf diese Art und Weise internationale Beachtung fanden. So erscheint die zweite Filmhälfte nicht so stark, wie die schwer verdauliche, aber deutlich weniger bisher in anderen Werken thematisierte erste. Dennoch kann die zweite Filmhälfte mit mindestens zwei wichtigen Argumenten aufwarten, die diese in jedem Fall sehenswert macht - Lee Jung-jin und Cho Min-soo. Ein Großteil der Faszination, der aus der Beziehung von Min-sun und ihrem vermeintlichen Sohn ausgeht, ist dem pointierten Schauspiel der beiden Hauptdarsteller und deren glaubwürdigen Wandlung im Verlauf des Films zu verdanken. Kang-do, der zunächst emotionslos und ungewöhnlich grausam seiner barbarischen Tätigkeit nachgeht und durch die Ankunft einer Mutterfigur völlig neue Emotionen zu fühlen imstande ist, wird bravourös durch Lee Jung-jin dargestellt. Doch er wird in den Schatten gestellt vom facettenreichen Schauspiel von Cho Min-soo. Lange fragt man sich, wie eine derart herzensgute Frau mit den täglichen Schikanen Kang-dos und dessen schwierigem Charakter fertig wird, ohne zu ahnen, dass Min-sun selbst einen tiefen Schmerz in sich trägt, bei dem sie hofft, ihn durch eine Rachetat zu lindern. Die anfängliche durch sie verkörperte Fragilität geht über in Verzweiflung und schließlich in eine Form von Bestimmtheit, die man ihr ohne die Wende im letzten Teil des Films nicht zugetraut hätte.
Fazit
Auch mit seiner Low-Budget-Produktion "Pieta" wird es Kim Di-duk nicht gelingen, seine Kritiker, die ihm die inflationäre Darstellung exzessiver Gewalt und das wiederholte Aufgreifen von Tabuthemen vorwerfen, verstummen zu lassen. Trotz seines Gewinns des Goldenen Löwens, dem Hauptpreis der 69. Filmfestspiele von Venedig als erster koreanischer Film überhaupt, und eines für seine Verhältnisse unüblich großen kommerziellen Erfolgs, sind die Meinungen weiterhin gespalten. Der koreanische Beitrag für den besten fremdsprachigen Film bei den Oscars 2013 macht es seinem Publikum alles andere als leicht, ihn zu mögen. Wenn man aber über die in dieser Form notwendige Gewalt hinweg sehen kann, offenbart sich ein intelligentes Werk, das viele gerechtfertigte sozioökonomische Fragen aufwirft und durch pointiertes Schauspiel seiner zwei Hauptdarsteller besticht.
Andreas K. - myFanbase
30.12.2012
Diskussion zu diesem Film
Weitere Informationen
Originaltitel: PietaVeröffentlichungsdatum (Südkorea): 05.10.2012
Veröffentlichungsdatum (DE): 08.11.2012
Länge: 104 Minuten
Regisseur: Kim Ki-duk
Drehbuchautor: Kim Ki-duk
Genre: Drama, Crime
Darsteller/Charaktere
Lee Jung-jin
als Kang-do
Cho Min-soo
als Min-sun
Jo Jae-ryong
als Tae-seung
Aktuelle Kommentare
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