Bewertung
Sion Sono

Guilty of Romance

"Bald wird das Wort Liebe für dich einen Körper haben."

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Inhalt

Im Tokioter Lustviertel Maruyama wird die Kommissarin Kazuko Yoshida (Miki Mizuno) zu dem Tatort eines fürchterlichen Mordes gerufen, bei dem Kopf und Geschlechtsteile der Leiche an zwei Frauenpuppen genäht wurden. In Rückblenden wird fortan die Vorgeschichte hierzu erzählt: Izumi Kikuchi (Megumi Kagurazaka), Hausfrau Ende 20, und ihr Ehemann Yukio (Kanji Tsuda), überkorrekter und sehr erfolgreicher Autor kitschiger Erotikromane, sind gefangen in einem Alltag, der dominiert wird von einem monotonen und gänzlich unromantischen Ritual nach dem anderen. Die bisher voll ihrem Mann ergebene Izumi sucht nach einer Möglichkeit, die Fesseln abzuwerfen, um sich selbst zu verwirklichen und lernt hierbei Mitsuko Ozawa (Makoto Togashi) kennen, eine Literaturdozentin an der Universität, die nachts als Prostituierte arbeitet. Izumi gelingt ein Akt der Selbstbefreiung, jedoch gerät sie im Zuge dessen in einen Sog aus Sex und Wahnsinn, in dem sie nicht nur ihre Unschuld ablegt, sondern auch im Begriff ist, sich selbst zu verlieren.

Kritik

Nach "Love Exposure" und "Cold Fish" schließt Sion Sono, gemeinsam mit Landsmann Takashi Miike aktuell wohl der einzige, dem das Kunststück gelingt, in schöner Regelmäßigkeit das nicht gerade zimperliche japanische Kinovolk zu schocken, mit dem vorliegenden Werk seine "Hate"-Trilogie ab. Trotz der Titelgebung seiner Dreierreihe, kommt man jedoch nicht umhin, ein ganz anderes Motiv in allen drei Filmen auszumachen – Liebe. Während es in "Love Exposure" noch vornehmlich um die aufregende Liebe auf den ersten Blick ging, entwickelte sich "Cold Fish" schnell zu einem Blick hinter die Kulissen einer lediglich auf den ersten Blick perfekten Familie, um nun in "Guilty of Romance" in die bis zum bitteren Ende durchexerzierte Dekonstruktion der Ehe zu gipfeln. Hierbei versteht es sich von selbst, dass sich ohne die zunächst aufrichtige Form von Liebe kaum die Form von abgrundtiefem Hass entwickeln kann, mit der Sion Sono sein Publikum in einem Großteil seines bisherigen filmischen Schaffens konfrontiert.

Auch bei "Guilty of Romance" steht zunächst die Liebe im Vordergrund, in diesem Fall die bedingungslose Liebe der unschuldigen Izumi zu ihrem kleinlichen Ehemann Yukio. Es ist geradezu beängstigend, mit welcher Hingabe die Endzwanzigerin die Hausschuhe für Yukio jeden Abend perfekt anrichtet und sich auch sonst redlich Mühe gibt, ihrem Mann die gewünschte Routine zu bescheren. Und so ist es nicht verwunderlich, dass ein nicht unerheblicher Teil des Films für die sich bis zum Erbrechen wiederholenden Rituale aufgewendet wird. Dies geschieht bis zu einem Punkt, an dem man sich nicht sicher ist, ob bestimmte Szenen schlicht wiederholt wurden oder man gerade Zeuge eines neuen Tages im langweiligen Leben des Ehepaars Kikuchi ist. Wobei sich das langweilige Leben lediglich auf den gemeinsamen Ehealltag der beiden bezieht, denn natürlich muss ein gewisser Ausgleich stattfinden, eine Möglichkeit, aus der gähnenden Monotonie herauszubrechen.

Während sich die Kompensation seines eigenen Verhaltens in der Ehe bei Yukio anscheinend durch das Schreiben kitschiger Erotikromane manifestiert (wie man später erfahren wird, ist dies längst nicht alles), ist die Sache bei Izumi anders. Ihre Zerrissenheit ist zunächst eine innere. Erst nach zahlreichen vergeblichen Versuchen, etwas Abwechslung in den Alltag zu bringen, lernt sie die eigentliche Bedeutung von Liebe erst kennen, als sie sich zu einem Erotikfotoshooting breitschlagen lässt, das sich kurze Zeit später zu einem handfesten Porno entwickelt. Das mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, ist aber selten glaubwürdiger illustriert worden als in "Guilty of Romance". Denn wie soll die unbedarfte Izumi überhaupt wissen, ob das hingebungsvolle Erfüllen von Wünschen ihres Ehemanns tatsächlich Liebe ist, wenn sie bisher aufgrund der inhärenten Selbstverleugnung überhaupt nicht in der Lage war, sich selbst zu lieben? Erst durch die eigene Selbstbefreiung gelingt es ihr allmählich, einen Eindruck dessen zu bekommen, welche aufregenden Abenteuer nun folgen können.

Der Blick in eine gänzlich andere Welt wird ihr insbesondere von der Literaturdozentin Mitsuko gewährt, die tagsüber in geradezu zugeknöpfter Art und Weise Vorlesungen hält, um schließlich nachts gegen Bezahlung Sex mit fremden Männern zu haben. Hier zeigt sich, dass im Grunde jeder Charakter des Films in gewisser Form seinen eigenen Gelüsten in recht offensiver Form nachgeht, um im Kontrast schließlich das brav geordnete Leben zu führen, das andere von ihm erwarten – oder vielleicht auch einfach nur er von sich selbst. So zeigt sich schnell, dass das eigentlich Perverse die extreme Selbstverleugnung ist, der sich ein Großteil der Bevölkerung unterwerfen muss – eine durchaus offensichtliche Kritik, die gerade im Land des Lächelns mit der allgegenwärtigen Alltagsverklemmtheit und dem Kontrast in Form der ungebrochen hohen Nachfrage nach Hentai-Inhalten jeglicher Art sicherlich nicht ganz unberechtigt ist.

Dass ein derartiger Film überhaupt funktionieren kann, ist den Darstellerinnen von Izumi und Mitsuko zu verdanken. Izumi-Mimin Megumi Kagurazaka, die bereits in "Cold Fish" ihr Talent unter Beweis stellen durfte, ist spätestens nach ihrer evidenten Wandelbarkeit in "Guilty of Romance" vom unschuldigen und naiven Frauchen zur selbstbefreiten und zum ersten Mal auf ihre ureigenen Gelüste hörende, selbstbewusste Frau, aktuell zu den besten japanischen Schauspielerinnen zu zählen. Makoto Togashi hingegen, die Mitsuko verkörpert, ist eine Figur, die durch die vielen inneren Widersprüche eine kaum für möglich gehaltene Faszination ausstrahlt, einfach weil es sich bei ihr über die Zeit nahezu selbstverständlich zu einer kohärenten Charakterzeichnung führt. Mitsuko ist vielleicht nicht der Auslöser von Izumis Wandlung, sie fungiert auf jeden Fall jedoch als deren Katalysator, die Zug um Zug eine bis zu diesem Zeitpunkt verborgene Seite hervorbringt.

Obwohl "Guilty of Romance" eine Geschichte über drei Frauen ist und insbesondere die Storyline über die Kriminalkommissarin Kazuko den roten Faden darstellt, wurde diese in der um etwa 25 Minuten gekürzten internationalen Version zu einer Randbemerkung. Hier ist definitiv der längere Director's Cut zu empfehlen, da hier auch dem Privatleben Kazukos der nötige Raum eingeräumt wird, um anhand der drei Frauenfiguren den Akt der Selbstbefreiung in dessen unterschiedlichen Stadien zu illustrieren. Dennoch ist Kazuko auch in der längeren Fassung thematisch gesehen eher unterrepräsentiert, was zu geringen Einbüßen in der Komplexität führt. Doch auch bei der lediglich etwa zwei Stunden langen internationalen Fassung ist eine Vielzahl sehr erinnerungswürdiger Szenen vertreten, die einem auch in vielen Jahren noch ein Begriff sein werden. An dieser Stelle sei hierbei an das gemeinsame Essen von Mitsuko und ihrer Mutter hingewiesen, bei der aus Höflichkeitsfloskeln der pure Hass beider Figuren gegenüber spricht. Oder der Moment, als Izumi nackt übt, wie sie die Waren im Supermarkt, in dem sie im Verlauf des Films arbeitet, bewerben kann – selten wurde der Prozess des Bewusstwerdens des eigenen Selbst so eindrucksvoll gezeigt.

Auch optisch lässt sich Sion Sono einmal wieder nicht lumpen und vereint düstere Elemente des Film Noir mit regelrechten Farbräuschen, die irgendwann gar in dem tatsächlichen Platzen von Farbbeuteln gipfeln. Für Sono-Werke mittlerweile geradezu typisch, wird auch "Guilty of Romance" von klassischen Klängen untermalt. In diesem Fall ist es der österreichische Komponist Gustav Mahler, seines Zeichens einer der bis heute berühmtesten Dirigenten und wohl wichtigster Vertreter der Spätromantik, dessen 100. Todestag vergangenes Jahr gefeiert wurde, der so Teil einer durchaus ungewöhnlichen Mischung geworden ist.

Fazit

"Guilty of Romance" ist eine Mischung aus Psychodrama, Kriminalthriller und Sexploitation, ein farbenfroher Ritt durch Tokios Nachtleben, der mit der Zeit eine wahre Rauschwirkung entfacht. Wer bereits vorher mit Sion Sono nichts anfangen konnte, der wird auch hier nicht eines Besseren belehrt. Denn dazu fühlt er sich viel zu wohl in der Nische einer weiteren Nische, der nahe an der Grenze zum Unerträglichen befindlichen Unterhaltung im ohnehin bereits hartgesottenen asiatischen Kino.

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Andreas K. - myFanbase
15.10.2012

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