Bewertung
Sion Sono

Cold Fish

"Life is pain."

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Inhalt

Der zurückhaltende Zierfischzüchter Nobuyuki Shamoto (Mitsuri Fukikoshi) hat nach dem Tod seiner Frau neu geheiratet. Seine Tochter Mitsuko (Hikari Kajiwara) hasst ihre Stiefmutter Taeko (Megumi Kagurazaka), weswegen der Haussegen mehr als nur schief hängt und Mitsuko zusehends kriminell wird. Als sie bei einem ihrer Ladendiebstähle erwischt wird und Shamoto sie abholen muss, lernt er den netten Mr. Murata (Denden) lernen, der ein ungleich größeres Fischgeschäft betreibt. Mitsuko beginnt, bei Murata zu arbeiten und innerhalb kürzester Zeit sind die Shamotos und die Muratas Freunde. Erst als Murata einen unliebsamen Geschäftspartner vor seinen Augen tötet, freimütig verkündet, dass das Opfer Nr. 58 sei, und seine Frau Aiko (Asuka Kurosawa) gelangweilt dem Geschehen folgt, ahnt Shamoto so langsam, mit wem er es hier zu tun hat.

Kritik

Es gibt Regisseure, bei denen weiß man einfach, was man zu erwarten hat. Sion Sono, Enfant Terrible des japanischen Kinos, ist sicherlich einer davon. Schon vor seinem vierstündigen wilden Genremix "Love Exposure" war er berüchtigt für filmische Grenzerfahrungen, die noch lange nachwirken. Allein die Massenselbstmordszene aus "Suicide Club" erfreut sich auch heute noch äußerst reger Beliebtheit bei den Internet-Videoportalen dieser Welt. Ohne Tabubruch scheint es einfach nicht zu gehen. Das wirklich Faszinierende an Sonos Filmen ist aber, dass sich derartige Szenen wie selbstverständlich homogen zu integrieren wissen. Das sagt über seine bisherigen Werke unter Umständen mehr aus als alles andere. Der Wahnsinn, den er auf die große Leinwand bannt, ist mitunter so abgedreht, dass man die surrealsten, brutalsten und lächerlichsten Momente nur noch mit einem Schulterzucken quittiert, da sie nur bedingt auch tatsächlich hervorstechen.

Auch die Story von "Cold Fish" bewegt sich anfangs in geregelten Bahnen, weswegen die ersten 40 bis 50 Minuten mitunter etwas dröge wirken können – zumindest, wenn die verpackte tiefschwarzhumorige Gesellschaftskritik nicht als solche erkannt wird und man lediglich das Gefühl hat, einer dysfunktionalen Familie und ihrem merkwürdigen Freunden dabei zuzusehen, wie sie Alltagsdinge erledigen. Besondere Brisanz bekommt die Handlung dadurch, dass sie auf einer wahren Begebenheit beruht, auch wenn Sono aus dem Hundezüchter kurzerhand einen Züchter tropischer Fische machte und damit die religiöse Symbolik, die einen Großteil seiner bisherigen Werke auszeichnete, konsequent fortführt. Mit dem ersten Mord durch Murata nimmt der Film schließlich an Fahrt auf. Bis dahin kann man nur erahnen, was Murata im Schilde führt. Dass mit ihm so manches nicht in Ordnung ist, beweist sein Verhalten, das zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt lediglich noch den Gemütszustand aggressiv-böse kennt. Alles an ihm wirkt derart übertrieben, dass man die groteske Grimasse, die er versucht aufrechtzuerhalten, sofort auch als solche erkennt. Murata-Darsteller Denden, bisher nahezu ausschließlich im Comedy-Fach unterwegs, gelingt der Drahtseilakt bravourös, insbesondere in den Momenten, in denen er den cholerischen Machteiferer spielt.

Die größte Faszination geht aber von der Figur des Shamoto aus. Der unscheinbare Familienvater, der Zeit seines Lebens versucht hat, es allen recht zu machen und damit zum Spielball ihrer Launen wurde, wird erst durch sein Zusammentreffen mit Murata äußerst unsanft damit konfrontiert, welche Konsequenzen es haben kann, wenn man kaum in der Lage ist, seine eigene Meinung zu artikulieren. Die Wandlung, die er daraufhin vollzieht, kommt erst sehr gemächlich, dann aber mit einer Wucht, die den Zuschauer fassungslos zurücklässt, auch weil Mitsuri Fukikoshi den Charakter Shamoto derart überzeugend verkörpert, dass man ihm all das tatsächlich voll und ganz abnimmt. Die Frauenfiguren sind bei "Cold Fish" allesamt entweder unterwürfig oder durch und durch wahnsinnig. Wer also Lars von Triers Frauenbild in "Antichrist" verteufelt hat, darf damit nun getrost weitermachen, wenn er außer Acht lassen möchte, welche Macht die eine oder andere zumindest indirekt auf die Männer hat, und die sie auch auszunutzen bereit ist.

"Cold Fish" ist so dermaßen grotesk und pechschwarz im Humor, dass man in dem einen Moment lauthals loslachen möchte, nur um Sekunden später mit den drastischsten und brutalsten Szenen konfrontiert zu werden, die dieses Filmjahr zu bieten hat. Es werden nicht nur Menschen in kleine Stücke verkleinert, man spielt mit den Fleischbrocken auch noch herum oder tauscht inmitten von Blutlachen und Körperteilen Zärtlichkeiten aus. Man hat nicht nur Sex, man lässt andere dabei zusehen. Man zeigt nicht nur die Vergewaltigung an einer Frau, die eigene Tochter befindet sich auch noch in unmittelbarer Nähe, bis sie geradezu in Slapstick-Manier niedergeschlagen wird. Ein Mann wird nicht nur dazu gedrängt, mit einer anderen Frau zu schlafen, er wird auch noch eifrig angefeuert und von hinten in seinen Bewegungen unterstützt. Der Film überspitzt jede noch so heftige Szene in einem Maße, dass man sie entweder gänzlich abscheulich oder im Offenlegen des Bizarren schlichtweg fantastisch findet. Wo manche Werke zu Kultklassikern avancieren, weil sie einen besonders erinnerungswürdigen und noch nie da gewesenen Moment aufweisen, sorgt Sion Sono mal so eben dafür, dass es mindestens eine Handvoll davon gibt. Doch damit nicht genug, auch die Handlung schreitet natürlich selbst dann noch unaufhörlich weiter, als sie einen halbwegs versöhnlichen Schlusspunkt hätte setzen können. Aber wieso es dem Publikum einfach machen? Dem Wahnsinn von Sion Sono entkommt eben doch niemand.

Fazit

Letzten Endes ist "Cold Fish" eine weitere Tour de Force eines Regisseurs, der die Grenzen des Mediums Film immer wieder auszuloten weiß, ohne dabei allzu plakativ zu wirken. Sicher, der Film ist nicht für jedermann und wird auch einige durchaus überzeugte Hasser hervorbringen, aber wer außer Sion Sono kann aktuell so herausragend dem Zuschauer Grenzerfahrungen näher bringen? Wer außer ihm schafft es, selbst dem asiatischen Kino, das immer wieder hervorragende Genrefilme hervorbringt, den eigenen Stempel aufzudrücken? Die Anzahl der Personen kann an einer Hand abgezählt werden. Sion Sono ist einer der aufregendsten Regisseure unserer Zeit ist, was er mit "Cold Fish" einmal wieder eindrucksvoll unter Beweis stellt.

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Andreas K. - myFanbase
26.11.2011

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