Bewertung
Hiromasa Yonebayashi

Arrietty - Die wundersame Welt der Borger

"Auf der Erde sind im Laufe der Zeit unzählige Lebensformen ausgestorben. Und damit dürfte klar sein, dass ihr eine aussterbende Spezies seid, verstehst du?"

Foto: Copyright: 2011 Universum Film GmbH
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Inhalt

Als der herzkranke Sho, dem eine schwere Operation bevorsteht, in das Haus seiner Großtante Sadako einzieht, entdeckt er zufällig Arrietty. Arrietty lebt gemeinsam mit ihrer Familie, die genauso wie sie viel kleiner als normale Menschen ist, unter den Dielen des Hauses. Sie ist ein sogenannter Borger, alle Gegenstände und Lebensmittel, die sie benötigen, borgen sie sich von den Vorräten der Menschen. Für die Borger ist die wichtigste aller Regeln, unentdeckt zu bleiben. Nachdem Sho Arrietty nun aber gesehen hat, ändert das ihr Leben schlagartig und es stellt sich die Frage, ob sie nun möglichst schnell verschwinden müssen, weil die Gefahren zu groß sind, oder ob sie Sho, zu dem Arrietty eine ungewöhnliche Freundschaft aufgebaut hat, vertrauen können.

Kritik

"Arrietty – Die wundersame Welt der Borger" ist der mittlerweile 17. Spielfilm aus dem Hause Ghibli. Nachdem beim Vorgänger "Ponyo – Das große Abenteuer am Meer" noch Hayao Miyazaki selbst Regie führte, überlässt er das Feld nun einem anderen, auch wenn er maßgeblich am Umschreiben der Romanvorlage "Die Borger" von Mary Norton aus dem Jahr 1952 beteiligt war. Mit Hiromasa Yonebayashi führte der Jüngste, der sich je für einen Ghibli-Film verantwortlich zeigte, Regie. Das Ergebnis kann sich hierbei durchaus sehen lassen.

Die Handlung kennen viele vielleicht noch von "Ein Fall für die Borger" mit John Goodman, der 1997 in die deutschen Kinos kam (auch wenn es darüber hinaus mittlerweile drei weitere englischsprachige Filme gibt, alle animiert). Auch dort gab es ein kleines Mädchen namens Arrietty, das eines Tages entdeckt wurde. Bis auf den Plot selbst haben beide Filme aber kaum etwas gemeinsam. Allein durch die Animation des Geschehens liegt der Fokus, den der Zuschauer beim Ansehen legen wird, völlig anders. Bereits die erste Szene, wo Sho das Haus seiner Großtante bezieht und zuvor einen kurzen Blick in den Garten wirft, lässt einen sprachlos zurück. Nach all dem 3D-Animationsbombast weiß man handgemalte 2D-Hintergründe, die derart detailreich ganz ohne Hilfe von Computertechnologie geschaffen wurden, wirklich zu schätzen. Der Garten erstrahlt in allen erdenkbaren Farben, jeder einzelne Grashalm ist zu sehen. Doch nicht nur der Garten ist wirklich gelungen, auch im Haus der Borger ist die Liebe zum Detail überall zu erkennen.

Yonebayashi macht es einem sehr leicht, in das Geschehen einzutauchen und sich in der von ihm geschaffenen Welt zu verlieren. Seit Jahren ein Qualitätsmerkmal für Ghibli-Filme, ist auch diesmal der Ideenreichtum schlichtweg atemberaubend. Besonders stellt dieser sich dar, wenn Arrietty mit ihrem Vater Pod zum ersten Mal Borgen geht. Zahlreiche Alltagsgegenstände, die man heutzutage vollkommen selbstverständlich nutzt und nie eines zweiten Blickes würdigt, werden für die Borger aufgrund ihrer geringen Größe plötzlich zu etwas komplett anderem und erscheinen so in einem neuen Licht.

Unterstützt wird das Gefühl, gerade Zeuge von etwas Zauberhaftem zu sein, von dem durch und durch großartigen Soundtrack, der von der französischen Folksängerin Cécile Corbel stammt und die sogar vereinzelt auf Japanisch singt. Ihre Kompositionen passen nicht nur perfekt zu dem Geschehen auf der Leinwand, sie verstärken sogar gekonnt die transportierte Stimmung. Filme aus dem Hause Ghibli sind wie selbstverständlich immer mit tollen Scores ausgestattet, der zu "Arrietty" ist aber vielleicht tatsächlich der bisher beste. Natürlich wurde Corbel dafür auch bei den Japanese Academy Awards für die beste Filmmusik geehrt. Auch lange Zeit, nachdem man den Film gesehen hat, wird man sich an die charakteristischen Harfenklänge erinnern und sich sofort wieder in diese wundersame Welt zurückversetzt fühlen.

Handlungstechnisch ist man gewissermaßen an die Romanvorlage gebunden. Dementsprechend fällt auch der sozialkritische Ton, den Ghibli-Filme oft aufweisen, eher subtil aus. "Arrietty" richtet sich so eher an Kinder, als beispielsweise "Prinzessin Mononoke". Dennoch findet der Film Zeit, vereinzelt Kritik an dem für selbstverständlich gehaltenen Herrschaftsanspruch der Menschen zu üben, der dazu führt, dass andere Lebensformen unterdrückt und vertrieben werden und in der Folge aussterben. Diese Kritik wird gewohnt harmonisch innerhalb des Geschehens geäußert und wirkt nicht aufgesetzt oder belehrend. Natürlich sind auch die Charaktere selbst liebenswürdig und schrullig wie immer, was anderes erwartet man schon gar nicht mehr. "Arrietty" richtet sich im Endeffekt vielleicht mehr an Kinder als andere Ghibli-Produktion, nichtsdestotrotz werden auch insbesondere Erwachsene ihren Spaß am Film haben, auch weil sie sich zurückversetzt fühlen in eine Zeit, in der sie selbst noch mit ungetrübtem Blick ihre Umgebung entdecken konnten.

Fazit

Wer nach "Ponyo – Das große Abenteuer am Meer" und vor allem nach dem mittelmäßigen "Die Chroniken von Erdsee" dachte, dass das Studio Ghibli im Zeitalter von reizüberflutenden 3D-Animationsfilmen an Bedeutung verlieren würde, wird mit "Arrietty – Die wundersame Welt der Borger" eindrucksvoll eines Besseren belehrt. 2D-Animation kann eben doch so detailverliebt, so bevölkert von tollen Charakteren, optisch und akustisch so beeindruckend und handlungstechnisch so schön sein.

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Andreas K. - myFanbase
11.11.2011

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