Bewertung
David Fincher

Game, The

USA 1997, 128 Minuten

Musik: Howard Shore
Director of Photography: Harris Savides
Montage: James Haygood
Produktionsdesign: Jeffrey Beecroft

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Als ob Gordon Gekko aus "Wallstreet" in David Finchers Arme gelaufen wäre - so bewegt sich Michael Douglas als Investmentbanker Nicholas van Orton durch ein Spiel, das ihm sein Bruder zum 48. Geburtstag schenkt. Ein ganz anderer Typ, dieser Conrad van Orton (Sean Penn). Doch bevor wir überhaupt mehr von Conrad erfahren, lässt ihn Fincher mehr oder weniger in der Versenkung verschwinden. Denn "The Game" steht ganz im Zeichen von Nicholas - und von sonst niemandem. Das deutet Fincher an: den Selbstmord des Vaters vom Dach des eigenen Hauses, die strenge Erziehung von Nicholas, damit er das wird, was er jetzt ist. Und entsprechend fertigt er seine Ex-Frau Elizabeth (Anna Katarina) am Telefon ab, wie reiche Leute wohl nur ihr Personal "behandeln". Aber das war's dann auch schon an Hintergrund. Conrad hingegen scheint ganz anders als sein Bruder, leichtfüßig, vielleicht schwach, ziellos und in keiner Weise so erfolgreich wie Nicholas.

Doch spielt das alles eine Rolle in "The Game"? Nein. Es ist nur Makulatur. Und der Konflikt zweier Brüder nur rohe Kulisse für ein Spiel, das zum Zentrum des Geschehens wird. Veranstalter: Die Fa. Consumer Recreation Services, die sich in irgendeinem Hochhaus eingerichtet hat. Deren Mitarbeiter Feingold (James Rebhorn) erklärt Nicholas das Spiel erst gar nicht. Er drückt ihm Fragebögen in die Hand und schickt ihn zum betriebseigenen Arzt, der ihn stundenlang unter die Lupe nimmt. Warum Nicholas sich überhaupt auf das Spiel einlässt, weiß kein Mensch. Neugier? Langeweile? Einsamkeit? Nervenkitzel?

Und als ihm eine weibliche Stimme am Telefon auch noch verkündet, sein Antrag auf Teilnahme am Spiel sei abgelehnt, ist der knallharte Investmentbanker, der gerade noch den Verleger Baer (Armin Mueller-Stahl) ohne Skrupel gefeuert hatte, leicht verwirrt - ohne zu ahnen, dass auch diese Ablehnung Teil des Spiels ist.

Im folgenden gerät Nicholas Leben erst leicht, dann immer deutlicher in Unordnung. Er findet eine Clown-Puppe mit eingebauter Kamera und einem Schlüssel. Ein Ansager im Fernsehen spricht plötzlich direkt mit ihm. Sein Aktenkoffer mit wichtigen Papieren lässt sich nicht mehr öffnen. Eine Kellnerin kippt ihm Wein über den dollarschweren Anzug und wird prompt entlassen. Alles nur Spiel ?! Auf der Straße fällt ihm ein Mann ohnmächtig vor die Füße. Als er mit der besagten Kellnerin namens Christine (Deborah Kara Unger) den scheinbar (?!) Verletzten, im Krankenwagen, ins nächste Hospital begleitet, verschwinden dort alle Leute, das Licht geht aus und der Fahrstuhl bleibt stecken - bis Nicholas merkt, dass der Schlüssel vom Clown den Fahrstuhl wieder in Gang setzen kann.

So jagt ein scheinbares Missgeschick das andere, nebst Hotelsuite, die unaufgeräumt ist und in der Nicholas Dutzende von Fotos findet. Auch die Toilette läuft über. Und so weiter und so fort. Aus kleinen Unglücksfällen werden große, aus Unfällen werden lebensbedrohliche Situationen, etwa wenn er eingeschlossen in einem Auto im Wasser landet - und last but not least sind Nicholas Konten von einer Sekunde auf die andere - abgeräumt.

Spiel? Aber wozu? Ist es Conrad, der sich an seinem Bruder rächen will? Oder ist es die ominöse CRS, die Nicholas Bankkonten abräumen will? Oder ist es der Bruder, der Nicholas eine Lehre erteilen will? Und welche Rolle spielt Christine? Teil des Spiels oder zufällig in es hinein geschlittert?

Man kann Fincher kaum vorhalten, er hätte kein düsteres Design geschaffen für eine düstere Handlung mit einem finsteren Kerl, der auf Seiten der finanzkräftigen, ebenso finsteren Mächte des Kapitalismus steht. Und natürlich findet am Schluss eine Läuterung statt - so ungefähr nach dem Motto: Geld ist doch nicht das Wichtigste im Leben. Schön geschlussfolgert, aber eben nach schlechter Hausmacherart, das heißt klischeebeladen bis zum Abwinken. Ich weiß ja nicht, wie es anderen ging und geht, wenn sie "The Game" schauen. Aber irgendwie war mir spätestens nach den ersten beabsichtigten "Missgeschicken" so gut wie alles klar. Es läuft, strikt nach Muster und das nimmt dem Geschehen nicht nur ein gutes Maß an Spannung, sondern auch an Glaubwürdigkeit. Das Gekünstelte an Finchers Film kulminiert in einem riskanten Sturz, der zum Spiel gehört und auch durch Nicholas getesteten, perfekten Gesundheitszustand kaum zu rechtfertigen ist, es sei denn, man (sprich: CRS bzw. Conrad) kalkuliert den Tod als zumindest minimale Möglichkeit ein.

Am Schluss erweist sich, dass das Spiel derart von vorne bis hinten durchgeplant ist, dass es dem Zufall keinen Raum lässt bzw. den Zufall sogar mit einkalkuliert. Das ist mit Verlaub nichts anderes als lebensfremd. Mag sein, dass Nicholas skrupellos und gefühlskalt ist. Dumm ist er jedenfalls nicht. Das aber wiederum bedeutet, dass ein noch so ausgeklügeltes und riskantes Spiel, das jemand ungeahnten Situationen aussetzen will, nie so perfekt daher kommen und ausgehen kann, dass man nicht mit unvorhersehbaren Reaktionen des Geleimten rechnen müsste. Davon aber ist in "The Game" kaum etwas zu verspüren. Und wenn, dann bekommen es die Macher des CRS immer wieder hingebogen - selbst am Schluss in der wohl kritischsten Situation des Spiels.

Sicher, Fincher spielt mit der Frage: Wie konstruieren wir unsere Welt? Was bedeutet Realität? Aber letztendlich sind bereits zu Anfang die Chancen, dass hier - etwa wie in den Matrix-Filmen - die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen und Fincher sein Publikum in ein entsprechendes Unwohlsein entlässt, gering. Nicht nur das eindeutige, sozusagen, wie die Mathematiker sagen: eineindeutige Ende, das eine unwiderlegbare Auflösung der Geschichte präsentiert, deuten auf all zu viel Konstruktion des Konstruktiven, die in der Story hätte liegen können. Alles und alle werden dieser gekünstelt wirkenden Konstruktion geopfert - selbst Michael Douglas. Außer ihm sind sowieso alle Figuren reine, mehr oder weniger bessere Statisten - auch und gerade Sean Penns Conrad und Deborah Kara Ungers Christine. Und Douglas? Er wird zum Spielball eines Drehbuchs, statt zur agierenden Personen zu werden, hinter der man das Drehbuch nicht mehr erkennt.

Fincher, der sich dem Thema Realitätskonstruktion widmet, stellt sich damit selbst eine Falle - ganz anders als etwa in "Panic Room", "Fight Club" oder "Se7en", Filmen, in denen es ihm gelungen ist, diesem Thema auf ganz unterschiedliche Weise jeweils viel abzugewinnen. "The Game" hat seine spannenden und geheimnisvollen Momente. Doch die sind spärlich, und auch Michael Douglas gute Performance kann an diesem Urteil nicht viel ändern. Die Makulatur des psychologisch nur leicht anfangs des Films angedeuteten Konflikts zwischen zwei Brüdern kehrt am Schluss ebenso mager und enttäuschend wieder. Die Erleichterung nach der Auflösung des Rätsels verpufft sekundenschnell in Enttäuschung. Schade.

Ulrich Behrens - myFanbase
15.11.2005

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