Love Exposure
"Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke."
Inhalt
Yu (Takahiro Nishijima) ist ein Musterschüler, der von seinem Priester-Vater (Atsuro Watabe) nach einem Schicksalsschlag dazu gezwungen wird, täglich zu beichten. Doch was beichten, wenn es keine Sünden gibt? Also wird Yu kurzerhand zum genialen Upskirt-Fotografen, um der täglichen Abbitte Sinn zu geben. Auf einer seiner voyeuristischen Expeditionen trifft er auf das männerhassende Mädchen Yoko (Hikari Mitsushima), in das er sich sofort verliebt. Sie kennt Yu jedoch nur als Sasori, eine in Schwarz gekleidete Kämpferin, die ihr bei einer ihrer Prügeleien zur Seite stand. Und wenn das alles nicht schon genug wäre, ist Yoko auch noch die Tochter der neuen Liebe seines Vaters. Als die Zero-Church-Sekte seine gesamte Familie entführt, muss Yu nicht nur versuchen, sie aus ihren Fängen zu befreien, sondern auch um Yokos Liebe kämpfen, die in ihm nur einen Perversen sieht.
Kritik
Wie beschreibt man einen Film, der mal so eben eine Laufzeit von knapp vier Stunden aufweist und dennoch keine einzige Länge aufweist, der immer großartige kurzweilige Unterhaltung ist? Wie genau vermittelt man das Gefühl, gerade 228 Minuten lang eine Mischung aus Shakespeare, Martial Arts, Komödie, Familien- und Religionsdrama, Vulgaritäten, Actionfilm und herzzerreißender Liebesgeschichte gesehen zu haben und dabei alles um sich selbst herum vergessen und ausgeblendet zu haben, ohne ein einziges Mal auf die Uhr gesehen zu haben? Eines ist klar: An "Love Exposure", dem neuen Werk des in seinem Heimatland sehr umstrittenen Regisseurs und Poeten Sion Sono, kann unmöglich ein normaler Maßstab gelegt werden. Dabei ist der Film gar nicht mal perfekt. Jedoch macht er so unglaublich viel richtig, ist so wunderbar frisch und originell, so herzerwärmend und bezaubernd, dass es auf etwaige Defizite überhaupt nicht ankommt.
Dabei beginnt "Love Exposure" noch überraschend gewöhnlich und zeigt Yu und dessen Vater Tetsu und wie beide versuchen, mit dem Tod ihrer Mutter und Ehefrau zurechtzukommen. Yu, der von seiner Mutter am Sterbebett "seine Maria" versprochen bekommt, die große Liebe, die er fortan obsessiv sucht, um es seiner Mutter recht zu machen; der Konkurrenzkampf mit seinem Vater, der Kampf um dessen Anerkennung, die Zuwendung des Vaters zum Glauben und die seelischen Misshandlungen, als er täglich danach verlangt, dass Yu seine Sünden beichtet, egal ob sich überhaupt welche ereigneten oder ob sie tatsächlich relevant sind - all dies ist vielleicht nicht gerade das Standardelement eines jeden Filmes, aber eben doch als klassischer ödipaler Konflikt zu verstehen, der es oft in einer anderen Form auf die Leinwand schafft. Als Yu sich schließlich dafür entscheidet, um Aufmerksamkeit zu ringen und auf eine Art und Weise zu sündigen, die seinem Vater höchst zuwider ist, wird die nächste Erzählebene eingeläutet, die Liebesgeschichte um Yu und Yoko, das alles überstrahlende Thema des Films. Dass zu diesem Zeitpunkt bereits knapp eine Stunde vergangen ist und einem noch drei bevorstehen, ist nicht mehr als eine Randnotiz wert.
Doch bereits zuvor wird mit einer nicht für möglich gehaltenen Leichtigkeit mal eben Familiendrama mit Katholizismus(kritik) und der japanischen Einstellung gegenüber Sex und Pornographie verquickt, ohne dass es aufgesetzt oder deplatziert wirken würde. Im Gegenteil, denn die zahlreichen Referenzen, in dem Fall auf die Sexkultur Japans, ein Land mit einer bisweilen für westliche Verhältnisse seltsam anmutenden Haltung zu Pornographie im Allgemeinen und Voyeurismus im Speziellen, sind nur die Spitze des Eisbergs. In weiteren Verlauf folgen Referenzen auf Shakespeares drei Hexen von "MacBeth" in Form der furchteinflößenden Antagonistin Koike und ihren zwei Kameradinnen, auf die nicht nur in Japan höchst einflussreiche Figur der Samuraikämpferin Sasori, die im Japan-Kino der 70er Jahre geschaffen wurde, sowie auf die "Omu Shinrikyo", die Aum-Sekte, die in Deutschland vor allem durch ihren Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn im Jahr 1995, bei der zwölf Menschen getötet wurden, traurige Berühmtheit erlangte. Dennoch sind auch diese Anspielungen längst nicht alle, eine Vielzahl lässt sich erst nach mehrmaligem Sehen dieses Epos aufdecken.
Die treibende Kraft von "Love Exposure" ist und bleibt jedoch die Liebesgeschichte um Yu und Yoko. Der Film macht keinen Hehl daraus, dass die beiden füreinander bestimmt sind. Nicht eine Sekunde wird suggeriert, dass es vielleicht nichts werden könnte mit den beiden, obwohl über drei Stunden lang Voraussetzungen geschaffen werden, die für ein Zusammenfinden der zwei nicht ungünstiger sein könnten. Angefangen dabei, dass Yoko aufgrund persönlicher Erfahrungen zur Männerhasserin wurde, dass Yu gerade als Frau verkleidet war, als er Yoko half und sie sich in der Folge in Sasori, die von Yu gespielte Frau, verliebt, dass Yoko die Tochter von Kaori, der neuen Liebe von Yus Vater, ist oder dass Yu schlichtweg jedes Mal eine Erektion bekommt, wenn er Yoko sieht. Und gerade, als es nach einem Happy End aussieht, werden Yoko, Kaori und Tetsu entführt.
Nicht nur das Element der Geschlechterverwechslungskomödie (bekanntermaßen übrigens auch eine Referenz auf Shakespeare) führt zu so mancher humoristischer Einlage, allein die Idee, aus Upskirt-Fotografie, also Aufnahmen von weiblicher Unterwäsche unter Röcken, eine eigene Thematik zu kreieren, ist nicht nur mehr als ungewöhnlich, sondern in seiner an Martial-Arts-Filme erinnernden Ausführung auch zum Brüllen komisch. Dass "Love Exposure" aber nicht nur witzig und vulgär sein kann, wird immer wieder mit sehr dramatischen und teils drastischen Szenen, in denen das Blut manchmal auch fontänenweise spritzt, bewiesen. Der Spagat zwischen Komödie und Drama gelingt dabei vor allem deswegen, weil die beiden Hauptdarsteller Takahiro Nishijima und Hikari Mitsushima ihren Teil dazu beitragen, dass man ihr Schauspiel jede Sekunde des Films ernst nimmt. Die beiden bis zu diesem Zeitpunkt selbst in Japan eher unbekannten Darsteller überzeugen vollauf. Insbesondere die bezaubernde Hikari Mitsushima scheint nahezu mühelos zwischen süßer Fröhlichkeit, entsetzter Hysterie, tiefer Traurigkeit oder schier unbändiger Wut wechseln zu können. Nicht umsonst meinte Sion Sono in einem Interview, dass oft die Darsteller, mit denen er arbeitet, später berühmt würden und er sich sicher sei, dass es auch in diesem Fall so sein würde.
Fazit
"Love Exposure" ist ein wilder Genremix, der trotz knapp vierstündiger Laufzeit nie schwächelt oder langweilt, sondern jeden einzelnen Moment in perfekter kurzweiliger Manier unterhält. Wem es gelingt, in ungeahnter Leichtigkeit Elemente wie Religion und Sünde, sexuelle Perversion und Begierde, Komödie, perfekt choreographierte Kampfkunst, Komödie, unzählige kulturelle Anspielungen und Sektentum zu einem durch starke Hauptdarsteller getragenen Epos mit atemberaubenden und bereits jetzt klassischen Filmmomenten in zweistelliger Anzahl zu machen, der ist nicht genug zu loben. "Love Exposure" ist, um es einmal in aller Deutlichkeit niederzuschreiben, der beste Film der vergangenen fünf bis zehn Jahre.
Andreas K. - myFanbase
20.03.2010
Diskussion zu diesem Film
Weitere Informationen
Originaltitel: Ai no mukidashiVeröffentlichungsdatum (Japan): 31.01.2009
Veröffentlichungsdatum (DE): 13.09.2009
Länge: 228 Minuten
Regisseur: Sion Sono
Drehbuchautor: Sion Sono
Genre: Romance, Komödie, Familie, Drama, Action
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Darsteller/Charaktere
Takahiro Nishijima
als Yu
Hikari Mitsushima
als Yoko
Sakura Ando
als Koike
Yutaka Shimizu
als Yuji
Hiroyuki Onoue
als Takahiro
Tasuku Nagaoka
als Senpai
Makiko Watanabe
als Kaori
Atsuro Watabe
als Tetsu
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