Bewertung
Hennig von Lange, Alexa

Die Welt ist kein Ozean

"Das Klinikgebäude liegt einmal quer durch die Stadt, mitten in einem Park, in dem riesige Rhododendronbüsche wachsen, die mit pinken Blüten verziert sind. […] Alles sieht verwunschen und verwildert aus. Alles darf wachsen wie es will. Hier bin ich richtig! Ehrlich! Ich komme mir vor wie Alice im Wunderland."

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Inhalt

Die 16-jährige Franziska möchte nichts lieber, als ihre Klaviernoten packen und für ein Jahr nach Australien gehen – das Vorspielen dafür malt sie sich schon ewig in ihrem Kopf aus. Doch als es dann soweit ist, passiert eine Woche zuvor in ihrem Betriebspraktikum das Unwahrscheinliche: Sie verknallt sich in Tucker Beer, einen schwer traumatisierten Jungen – Franzi macht ihr Praktikum in einer psychiatrischen Klinik für Jugendliche. Aber kann sie ihren Traum für einen Typen begraben, der unter totalem Mutismus leidet? Sie kann ihn ja nicht einmal fragen, ob er eine Freundin hat.

Kritik

Die rothaarige Protagonistin düst mit ihrer Vespa durch Berlin und weiß genau, was sie will – und was sie eben nicht will. Zumindest, bis sie "Trauma-Tucker" trifft und alles anders ist. Ihre beste Freundin Nelli, ein rücksichtsloses Jungmodel und angehende Anwältin, lebt zum Beispiel einen Stil, den "Miss Franziska" nicht unterstützen kann und als beste Freundin trotzdem tut: Nach der Scheidung ihrer Eltern möchte Nelli niemanden an sich ranlassen, die Devise lautet "bloß nicht verlieben". Blöd nur, als ihr ein Kerl mit dem "wohlklingenden Namen Theo-Nelson" (O-Ton Nelli) begegnet… mit ihrer vom schnellen Sex getriebenen Art und der Tatsache, dass sie Franziskas Jungfräulichkeit gerne erwähnt, ist sie die Art von Charakter, die in anderen Jugendbüchern gerne mal die Hauptrolle spielt.

Derweil braucht die Welt auch Figuren, die von ihren Müttern auf "Weight Watchers"-Diät gesetzt werden, X-Beine haben und schlaue Teeniegedanken haben, die verträumte Symboliken nicht ausschließen. So glänzt "Die Welt ist kein Ozean" mit Metaphern für Wasser der allerfeinsten Sorte, was kein Wunder bei Tuckers Vorgeschichte ist. Die magische Verbindung zwischen ihm und Franzi ist plausibel, um nicht zu sagen, wasserfest.

Dass das von der Mutter genervte Nesthäkchen – um Franzis große Schwester Sina drehte sich der Vorgängerroman "Ach wie gut, dass niemand weiß", den man aber nicht zwingend gelesen haben muss, um der Geschichte zu folgen – für den mysteriösen Jungen alles stehen und liegen lassen möchte, ist ebenfalls authentisch. Wem kam nicht schon mal die Liebe dazwischen und krempelte alles um? In den zwei Wochen Betriebspraktikum entwickelt sich die Zuneigung langsam, vom Anblick Tuckers im Pool zum Töpfern, dann das erste Berühren der Hände… obwohl Franziska diese Gefühle von Dr. Weinberg unterbunden bekommt und es sich vermutlich sowieso um eine fixe Idee handelt – oder?

Apropos anstrengende Mama und Chefarzt: Alle Charaktere, die gelegentlich unsympathisch erscheinen können, haben auch sofort wieder ihre guten Seiten. Das Coming-of-Age des eigenen Kindes stürzt schließlich jede Mutter in die Krise. So sind sie eigentlich alle schrullig, aber eben auch menschlich. Jeder macht so seine Fehler. Und dann gibt es die von Anfang an liebenswerten Figuren, wegen denen man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mag: Der Opa mit seinen goldverpackten Bonbons, der Franzi das Klavierspiel beibrachte, oder Cowboy Randy und seine Lebensweisheiten.

Fazit

Alexa Hennig von Lange hat nie den Kontakt zur Jugend verloren und braucht somit keine angestrengten "Jugend von heute"-Fachbegriffe. Da reicht über Flugzeuge eine Beschreibung wie "dickbäuchige Giganten wie Wale in einem endlosen, stillen Ozean, der mich stolz und schwarz umgibt" und schon ist man in Franzis Gefühlswelt gefangen, in der Dinge ohne Wertung passieren. Authentisch ist ebenfalls, dass die eine oder andere Leserin schon mal bei H&M in der Unterwäscheabteilung in Tränen ausgebrochen ist – nicht nur wegen des Lichts dort. Hier überzeugt natürlich auch Alexas trockener Humor: "Ich habe keine ausgeleierte Unterwäsche." - "Kannst du von mir haben."

Simone Bauer - myFanbase
12.09.2015

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