Bewertung
Ruff, Matt

Mirage

"Dies ist der Tag, der die Welt verändert."

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Inhalt

Die Supermacht VAS, kurz für Vereinigte Arabische Staaten, wird schwer erschüttert, als am 9. November 2001 zwei von radikalen Christen entführte Flugzeuge in die Welthandelstürme von Bagdad einschlagen. Der verheerende Anschlag wird zum Auftakt eines umstrittenen Krieges gegen den Terror. Acht Jahre später sind die drei Heimatschutzagenten Mustafa, Samir und Amal einem christlichen Terrorgespann auf der Spur und stoßen dabei auf mysteriöse Artefakte, die Ungeheuerliches andeuten: Ist die Welt, wie Mustafa und seine Kollegen sie kennen, etwa gar nicht real? Trotz heftigem Gegenwind durch Geheimdienste, Politiker und einer Verbrecherorganisation ermitteln die Heimatschutzagenten weiter bis über die Grenzen Arabiens hinaus in das Zentrum des Terrors: Amerika.

Kritik

Wenn du ein Stück Papier nimmst, es mit Buchstaben beschriftest und dann vor einen Spiegel hältst, passiert etwas im ersten Moment Irritierendes. Die Größe, die Farbe und die Formen der Buchstaben, die dir der Spiegel zeigt, sind vertraut, aber irgendwie falsch. Die Buchstaben sind spiegelverkehrt.

Was ein handelsüblicher Spiegel bei Buchstaben bewirkt, macht Matt Ruff in seinem Roman "Mirage" mit der ganzen Welt. Er stellt die Realität einfach auf den Kopf, zeigt sie andersherum, verzerrt das Bild. Plötzlich sind nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern die Vereinigten Arabischen Staaten die wirtschaftliche und militärische Supermacht unseres Planeten. Es haben niemals islamistische Terroristen berühmte Zwillingstürme in New York zum Einsturz gebracht, christliche Terroristen haben dies in Bagdad angerichtet - und das nicht am 11.09, sondern am 09.11.

"Mirage" führt uns in eine Realität, die viele vertraute Elemente aufweist und uns doch mitunter völlig absurd erscheint. Das reicht von Kleinigkeiten wie der Tatsache, dass Ebay hier eBasar heißt und eine arabische Erfindung ist, bis zu einem völlig anderen Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Die arabischen Staaten sind die Schöpfer der Atombombe und haben den Zweiten Weltkrieg durch ihr Eingreifen entschieden - mit einem sehr schlechten Ende für Deutschland. Die USA gab es in dieser Realität nie, der Staat Amerika ist nur ein einzelner Teil eines zersplitterten, von Bürgerkriegen heimgesuchten Kontinents. Dieses kleine, christliche Amerika gilt als Schurkenstaat und Wiege des Terrors.

All die vielen Details über diese andere Welt erfahren wir nicht, oder besser gesagt nicht nur, aus der Handlung selbst, sondern werden uns durch einen speziellen Kniff vermittelt: Zwischen den Kapiteln sind Einträge eingeschoben, die aus einem Online-Lexikon stammen, das verdächtig an Wikipedia erinnert, hier aber "Bibliothek von Alexandria" heißt. Wir lesen unter anderem Einträge zu den VAS, Amerika, Israel, Osama Bin Laden und Sadam Hussein.

Ganz ohne jede Frage ist diese verdrehte Welt faszinierend. Sie steckt voller Ironie, die gleichermaßen belustigt wie zum Nachdenken anregt. Die Fehler, die die Vereinigten Arabischen Staaten als Supermacht außenpolitisch wie innenpolitisch begehen, sind gnadenlose Verweise auf die Fehler der uns vertrauten USA. Das friedliche und vereinte Arabien hat so manche Leichen im Keller, die stark wie jene riechen, die auch die USA mehr schlecht als recht zu verstecken versucht. Auch der Beziehung zwischen dem Christentum und dem Islam wird ein Spiegel vorgehalten.

Die drei Hauptfiguren Mustafa, Samir und Amal verknüpfen Themen und Eigenschaften, die uns aus westlichen Agententhrillern äußerst vertraut sind, mit muslimischen Motiven. Alle drei Charaktere erhalten eigene Hintergrundgeschichten, im Zentrum aber steht Mustafa, der vieles von dem, was wir als Leser über Samir und Amal erfahren, selbst erst im Zuge der Ereignisse herausfindet.

Da ich mit "Bad Monkey" bereits einen Roman von Matt Ruff gelesen habe, blieb ich trotz des interessanten und mutigen Konzepts von "Mirage" immer ein wenig skeptisch, womit ich letztlich leider nicht verkehrt lag. Der Autor stellt eben doch nicht alles auf den Kopf, denn ganz genau wie "Bad Monkey" entwickelt sich auch "Mirage" zum Ende hin immer abstruser. Die Handlung entfernt sich von der satirischen Thrillerunterhaltung hin zu einem seltsamen Mix aus "Homeland" und "Tausendundeine Nacht" mit nur noch einem Mindestmaß an Logik. Das Finale ist aufgrund seiner Wirrungen und Uneindeutigkeit nicht wirklich befriedigend und lenkt zu sehr von all den anderen Eindrücken des Romans ab.

Fazit

Dem Autor Matt Ruff mangelt es nicht an interessanten Ideen oder an der Bereitschaft, sich satirisch mit Politik, Religion und Kultur auseinanderzusetzen, doch die Art, wie er seine Geschichten zu beenden pflegt, sagt mir nicht zu. "Mirage" beginnt als faszinierender Parallelweltthriller und endet in einem Sandsturm der Verwirrung.

Maret Hosemann - myFanbase
09.09.2015

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