Bewertung
Grant, Michael

Gone 1: Verloren

"Unmögliche Dinge können nicht passieren – und wenn sie doch eintreten, müssen sich die Regeln irgendwie verändert haben."

Foto: Copyright: 2015 Ravensburger
© 2015 Ravensburger

Inhalt

Mit einem Puff verschwinden alle Menschen ab dem Alter von 15 Jahren aus Perdido Beach. Zurück bleibt eine verunsicherte und verängstigte Truppe an Kleinkindern und Jugendlichen, die nun auf sich alleine gestellt ist. Doch damit nicht genug, das Verschwinden geht weiter – jeder, der sein 15. Lebensjahr erreicht, löst sich in Luft auf. Plötzlich taucht eine merkwürdige Barriere auf, die kein Vorbeikommen ermöglicht. Die Kinder sind eingeschlossen und müssen nun ihre eigenen Regeln aufstellen. Einige von ihnen haben sogar besondere Fähigkeiten – andere nicht. Schnell bilden sich zwei Lager und es entfacht ein erbitterter Kampf zwischen Gut und Böse. Dem Protagonisten Sam und seinen Anhängern bleibt nicht mehr viel Zeit, die entscheidenden Rätsel zu lösen und den Kampf für sich zu entscheiden – in weniger als zwei Wochen wird er 15 Jahre alt.

Kritik

Der Auftakt der Hexalogie von Michael Grant vereint viele fantastische und dystopische Elemente anderer bekannter Werke. Die Grundidee erinnert stark an "Der Herr der Fliegen" oder "Battle Royal"–Kinder, die ohne den Einfluss Erwachsener ihre eigenen Regeln und Gesellschaftsformen aufstellen müssen. Wie auch bei älteren Menschen gibt es da meist mehrere Ansichten, deren Widersprüche zum erbitterten Kampf führen. Die Mauer, die sich um die Jugendlichen errichtet, kennen wir ähnlich aus "Under the Dome". Die Mutationen sind ebenfalls ein bekanntes Element, zum Beispiel aus der "Tribute von Panem"–Reihe. Wir werden beim Lesen also mit einem Potpourri stereotyper Komponenten der Fantasy-Literatur konfrontiert. Hierbei ist natürlich nicht immer offensichtlich, wer oder was zuerst da war – die Henne oder das Ei. Soll heißen: Dies ist keine Unterstellung des Gedankendiebstahls oder ähnliches, sondern soll einfach nur klar machen: Uns erwartet kein herausragendes Novum.

Die Geschichte selbst liest sich sehr flüssig und auch recht spannend. Die Entwicklungen gehen schnell voran und der Leser langweilt sich beim Lesen so gut wie nie. Sehr gut gelöst finde ich die Einführung der verschiedenen Personen durch die wechselnde Erzähl- und Sichtweise des allwissenden Erzählers. Ich muss jedoch zugeben, dass ich bei Dystopien großer Fan des Ich-Erzählers bin, da man seinem/r Held/in dadurch deutlich näherkommt, mitfühlt und mitfiebert. Dafür ist die hier gewählte Erzählsituation weniger vorausschauend, denn jeder Charakter könnte jederzeit aus der Geschichte scheiden – was bei einer Ich-Perspektive deutlich schwieriger umzusetzen ist. Es gibt entsprechend sowohl Pros als auch Contras hinsichtlich der Wahl des Autors.

Für Spannung und Abwechslung sorgen die vielen verschiedenen Figuren mit ihren einzigartigen Persönlichkeiten und Fähigkeiten, die zudem noch unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Sie geben dem Werk viele Entwicklungsmöglichkeiten und dem Leser viele Identifikationsangebote. Ich habe es jedoch häufig auch als ein Überangebot empfunden. Es gibt so viele Kinder in der entstandenen Welt – der FAYZ, wie die Jugendlichen sich selbst nennen – dass man teilweise den Überblick verliert, mit Namen oder ihren Fähigkeiten durcheinander kommt und sich immer wieder fragen muss: Wer war das nochmal? Und auf welcher Seite stand er/sie noch gleich? Konnte er/sie nun Blitze schießen oder schweben? Außerdem hat die hohe Anzahl an Charakteren zur Folge, dass eben diese recht oberflächlich bleiben. Sie sind meistens sehr einfach gestrickt – gut oder böse; schlau oder einfältig; loyal oder verräterisch. Zumindest was diesen ersten Teil betrifft, ist die Charaktergestaltung eine schwarz-weiß-Malerei, die die Handlungen vorhersehbar macht.

Auch der Schreibstil hat mir persönlich nicht so gut gefallen, der er etwas hektisch und flach wirkt. Bisher waren die meisten Bücher, die ich innerhalb dieses Genres gelesen habe, von Frauen geschrieben. Es mag Zufall oder Einbildung sein, dass mir dieses von einem Mann verfasste Werk plumper erscheint. Viele Formulierungen wiederholen sich, einige Dialoge ziemlich einfältig – selbst Gänsehautmomente schaffen es nicht richtig, unter die Haut zu gehen. Man hat durch und durch das Gefühl, dass es an Leidenschaft für die erdachte Welt fehlt. Häufig kann der Leser sich die Umgebung oder auch die Optik der Figuren nicht richtig gut vorstellen. Bei anderen Werken sieht man schon fast einen Film, der vor dem inneren Auge abläuft. Genau diese Fantasie-Welt heraufzubeschwören, scheint dem Autor häufig schwer zu fallen.

Ein weiteres Manko sehe ich in der Wahl des Alter der Protagonisten. Da alle ab dem 15. Lebensjahr verschwinden, sind die Kinder und Jugendliche maximal 14 Jahre alt. Das ist für meinen Geschmack ein wenig zu jung. Ich hätte die Grenze eher bei 16/17 oder sogar 17/18 Jahren gesetzt. Einige der Fähigkeiten beziehungsweise Entwicklungen der Kinder wirken dadurch nicht glaubhaft. Der Autor versucht eine spannende, teilweise sogar brutale Geschichte zu stricken, wie wir es auch von oben genannten Vergleichswerken her kennen. Doch so richtig traut er es sich nicht. Das hat zur Folge, dass vieles nur angerissen wird, oberflächlich bleibt und somit auch die Spannung nicht so sehr aufkommt, wie es möglich wäre.

Trotz der negativen Kritik handelt es sich hierbei jedoch um kein schlechtes Buch. Wir halten einen soliden Auftakt einer Reihe in den Händen, die sicher noch einiges an Potential in sich trägt. Man sollte aber nicht mit übersteigerten Erwartungen an das Leseerlebnis herantreten. Umso mehr kann man sich überraschen lassen und wird nicht allzu sehr enttäuscht, wenn "Gone" nicht ganz mit den großen Brüdern und Schwestern auf dem Markt mithalten kann.

Fazit

Gone ist der erste Teil einer dystopischen Reihe, die durchaus unterhalten kann und auch Lust auf mehr macht. Jedoch sollte sich der Leser auf ein paar Schwächen einstellen. Es gibt aber noch fünf weitere Teile, die diese Defizite ausmerzen können. Ich werde zumindest den zweiten Teil lesen und bin auf die Entwicklung der Handlung, der Figuren und des Autors gespannt.

Zur Rezension von Band 2 "Hunger"

Janina Funk - myFanbase
26.07.2015

Diskussion zu diesem Buch