Bewertung
Fauser, Jörg

Rohstoff

"Das ist aber noch nicht oft vorgekommen, dachte ich, als ich eine Minute später durch den Sprühregen und den Matsch nach Hause stiefelte, dass du eine halbe Flasche Beck's und eine einsame Frau in der Kneipe zurücklässt, nur um noch an einem Gedicht zu arbeiten. Wenn das zur Gewohnheit wird, hast du ja bald einen Band zusammen."

Foto: Copyright: Diogenes Verlag
© Diogenes Verlag

Inhalt

Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger, gehört es in Deutschland in gewissen Kreisen zum guten Ton, sich linkspolitisch zu engagieren. Harry Gelb bemüht sich redlich darum, sich ebenfalls dafür zu interessieren. Dass er die meiste Zeit betrunken oder auf Drogen durch die Gegend läuft, hilft dabei allerdings nicht. Dabei ist Harry ein intelligenter Kerl, der sich viele Gedanken über das Leben macht und meistens ernsthaft seine Ambitionen verfolgt, Schriftsteller zu werden.

Und so eiert Harry durch Istanbul, Berlin und Göttingen, um am Ende wieder in seiner Heimatstadt Frankfurt zu landen. Mal ist er "Chefredakteur" eines Untergrundmagazins, mal Nachwächter der Uni, mal darf er seinen Helden Charles Bukowski interviewen und dann, ja dann, ist er wieder arbeitslos, aber immer bemüht, seine literarischen Erzeugnisse an den Mann zu kriegen.

Kritik

Jörg Fauser darf man gut und gerne als den ersten Pop-Literaten Deutschlands bezeichnen. Er prägte und inspirierte eine ganze Generation um Benjamin von Stuckrad-Barre oder auch Sven Regener. "Rohstoff" ist Fausers persönlichstes Werk, in dem er die Erfolge und Tiefpunkte seiner jungen Jahre verarbeitet.

"Rohstoff" funktioniert wie ein Sog, der den Leser in die Geschichte zieht. Mit einem scharfen Blick für Details lässt Fauser sein Alter Ego durch die Gegend straucheln und sich immer wieder aufrichten. Die Gedankengänge Harrys sind komisch, philosophisch und mitunter auch traurig, aber nie verzweifelt. Fauser hat mit Harry Gelb einen Antihelden par excellence geschaffen, der sich immer wieder selbst im Wege steht und dem man trotzdem jeden Fehltritt verzeiht.

Der Roman ist ein geniales Zeitdokument der sechziger und siebziger Jahre, das zwar unpolitisch, aber durch Fausers geschickten Schreibstil trotzdem nie apolitisch ist. Fauser beweist sich als brillanter Beobachter der kleinen Dinge, die er unermüdlich in seinen Roman einfließen lässt, ohne dass dies je ermüden würde.

Fazit

Wer keine Romane mag, in denen die verrauchte Kneipe ums Eck ein wichtiger sozialer Knotenpunkt ist, sollte lieber die Finger von "Rohstoff" lassen. Allen anderen wird der sich durchs Leben kämpfende Literat Harry Gelb dank Fausers klarem Schreibstil sofort ans Herz wachsen.

Isabella Caldart - myFanbase
03.02.2015

Diskussion zu diesem Buch