Bewertung
Rytchëu, Juri

Traum im Polarnebel

In der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert landet der Kanadier John Mac Lennan in einem kleinen tschuktschischen Dorf an der Küste der Beringsee...

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Inhalt

Das Schiff, auf dem er mitfuhr ist vom sibirischen Winter überrascht worden und eingefroren. Bei dem Versuch das Boot frei zusprengen verletzt sich Mac Lennan schwer an den Händen. Auf dem Schiff kann sein Leben nicht gerettet werden, so dass sich die Tschuktschen bereit erklären Mac Lennan zu einer Heilerin zu bringen, die ihn retten könnte. Aber als er und seine tschuktschischen Begleiter wieder in das Dorf zurückkommen, ist das kanadische Boot bereits nicht mehr da.

Mac Lennan ist verzweifelt, als Krüppel, dem beinahe alle Finger amputiert wurden, soll er in der unwirtlichen sibirischen Eiswüste inmitten unter wilden, unzivilisierten Heiden überleben, deren Sprache und Kultur er weder versteht, noch verstehen will. Aber seine Haltung ändert sich langsam. Er beginnt nicht mehr auf Schiffe zu warten, sondern arrangiert sich mit dem Leben unter den Tschuktschen. Im Laufe vieler Jahre wird er einer von ihnen, passt sich ihrer Kultur an, lernt ihre Sprache, heiratet schließlich eine Tschuktschin.

Er begreift langsam, dass es keine unzivilisierten Wilden sind, mit denen er zusammenlebt, sondern ebenso Menschen, wie er. Und er erkennt wie zerstörerisch die vermeintlichen Wohltaten der Weißen für die Tschuktschen sind. Sein neues Leben wird auf die Probe gestellt, als nach vielen Jahren seine Mutter und seine ehemalige Braut vor ihm stehen.

Kritik

Rytchëu ist es gelungen einen Roman zu schreiben, der sowohl spannend und unterhaltend ist, gleichzeitig aber auch, ohne zu moralisieren oder zu dozieren, dem Leser eine Menge wissenswerte über Rytchëus Volk und Herkunft zeigt. Als erster Autor seines Volkes überhaupt ist dies ein besonderes Anliegen Rytchëus, aber er versteht es dennoch interessante und gute Romane zu schreiben. Traum im Polarnebel" lebt von den Erfahrungen, die der Autor selber gemacht hat. Die arktische Kälte, der ständige Kampf ums Überleben und letztlich auch der durch die Weißen erwirkte Traditionszerfall.

Aber obwohl das Buch viel über tschuktschischen Alltag lehrt, ist es ebenso ein Roman über Einsamkeit und Lernfähigkeit in der Fremde. Denn anhand des Protagonisten John Mac Lennan erfährt der Leser sehr viel über Vorurteile und vermeintliche Zivilisation, wie schwer es für Mac Lennan ist, sich von traditionellen Denkgewohnheiten zu lösen und beispielsweise zu lernen, das rohe Robbenaugen eine Delikatesse sind.

Es ist ein schöner, manchmal sogar trauriger Roman, denn Mac Lennan schließt Freundschaften, wird ein beachtetes Mitglied der Gemeinde, aber all das geschieht nicht so einfach. Denn nicht nur er hat Vorurteile und Misstrauen, sondern auch die Tschuktschen, die wissen, dass die Weißen in der Regel schlechtes im Schilde führen. Zudem hat Mac Lennan immer wieder Schicksalsschläge zu verkraften.

Tschuchotka ist eine lebensfeindliche Welt, erst Recht für einen Krüppel, der viel Hilfe und Pflege braucht. Aber mit eisernem Willen gelingt es Mac Lennan trotz fehlender Finger sich in das Dorf zu integrieren. Eine Abkehr von diesem Leben scheint ihm irgendwann sogar unmöglich.

Rytchëu hat insofern einen doppelt gelungenen Roman geschrieben. Zum einen spannend und unterhaltsam, mit einer gelungenen Geschichte, die den Leser mitnimmt in eine fremde Welt, welche es zu entdecken gilt. Zum anderen aber hat Rytchëu in einer unaufdringlichen und sachlichen Art und Weise auch die Geschichte seines Volkes geschrieben. Einem Volk, das heute nahezu vergessen ist und dem es im modernen Russland noch weitaus schlechter geht als in Rytchëus Romanen.

Es ist Rytchëu zu verdanken, dass er mit seinen Roman "Traum im Polarnebel", gegen das Vergessen seines Volkes, stellvertretend für viele andere, seit Jahrzehnten ankämpft.

Autor

Juri Rytchëu wurde 1930 in Uelen, im äußersten Nordwesten Russlands geboren. Er gehört, genau wie seine Eltern, dem 12000 Menschen großen Volk der Tschuktschen an, das auf der sibirischen Halbinsel Tschuchotka lebt. Rytchëu ist der erste Schriftsteller dieses Volkes. Er wuchs traditionell auf, kennt Bräuche und Sprache der Tschuktschen genau. Nach Gelegenheitsarbeiten machte er eine Lehrerausbildung und begann 1954 in St. Petersburg sein Studium. Anfang der fünfziger Jahre hatte er erste Veröffentlichungen, zuerst in seiner Muttersprache Tschuktschisch. Seine Werke übersetzte er anfangs selber ins Russische, heute veröffentlicht er auf Russisch. Sein Gesamtwerk umfasst heute ca. 30 Romane, Erzählungen und Drehbücher.

Nicole S. - myFanbase
25.03.2006

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