Bewertung
King, Stephen

Todesmarsch

Am ersten Mai um Punkt neun Uhr vormittags starten 100 junge Männer zum alljährlichen Marathon an der Kanadischen Grenze...

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Inhalt

Der langjährige Diktator der USA, der "Major", lässt diesen Lauf persönlich planen und organisieren. Das ganze Land setzt Wetten auf seinen Favoriten und verfolgt das Spektakel im Fernsehen oder hautnah am Strassenrand.

Für die Läufer ist die Teinnahme eine große Ehre: Jeder Junge in Amerika wünscht sich dabei zu sein, denn dem Sieger winken Ruhm, Ehre und ein finanziell sorgenfreies Leben.

Die Gewinnchancen stehen 100:1, der Sieger wird alles bekommen,

die anderen erwartet der Tod. Die Spielregeln sind einfach: Sobald ein Teilnehmer langsamer als vier Milen pro Stunde läuft oder die Strasse verlässt, erhält er im Minutentakt Verwarnungen. Nach der dritten Verwarnung wird er von den Soldaten des Majors erschossen. Der Lauf führt zunächst durch den Staat Maine und ist beendet, wenn der 99. Läufer erschossen wird.

Unter den Läufern bilden sich Freundschaften und Feindschaften, man redet über Belangloses und Privates. Der 16 jährige Ray Garraty ist "Maines Stolz". Er freundet sich schnell mit McVries, Olson, Baker, Parker, Scramm und Stebbins an. Je länger der Marsch dauert, umso schwerer wird es, die Freunde um sich herum sterben zu sehen. Für Garraty zählt nur noch eines: Er will es bis Portland schaffen, um seine Freundin Jan und seine Mutter am Strassenrand zu sehen.

Kritik

Dieser Roman, den Stephen King unter seinem Pseudonym Richard Bachmann veröffentlichte, ist ein gesellschaftskritischer und tiefgründiger als man auf den ersten Blick vermuten möchte!

"Big Brother is watching you": Ein Marathonlauf, der für 99 der 100 Läufer tödlich ist, wird vom ganzen Land begierig verfolgt. Kameras übertragen Teile des Laufs - und natürlich das Finale - live im Fernsehen. Familien machen Picknick am Strassenrand und hoffen darauf, eine Erschießung hautnah miterleben zu können. Die Schaulust und Sensationsgier der Menschen hat Stephen King in "Todesmarsch" auf die Spitze getrieben. Die Frage, die stets über der Handlung des Romans schwebt, lautet: "Wie weit würden wir Menschen gehen? Würden wir den Tod eines Menschen im Fernsehen übertragen?"

Als der Roman 1979 erschien, war an TV-Sendungen wie "Big Brother" noch nicht zu denken. Heute erscheint es schon fast alltäglich, das Privatleben von Menschen im Fernsehen oder im Internet beobachten zu können. Doch würde die Gesellschaft soweit gehen, den inszenierten Tod eines Menschen live zu übertragen? Vielleicht sind wir gar nicht mehr all zu weit davon entfernt. Immerhin gab es in den USA schon Diskussionen darüber, Hinrichtungen live im Fernsehen auszustrahlen. So erscheint mir "Todesmarsch" aktueller denn je. Die Schaulust der Menschen widert den Leser an, es scheint ihm undenkbar, dass ein ganzes Land dem sinnlosen Sterben der Läufer zusieht. Doch zugleich wird er sich fragen: Wie abwegig ist diese Vorstellung wirklich? Könnte so ein Spektakel wirklich stattfinden? Wann? Vielleicht schon morgen?

Neben der Sensationsgier der Gesellschaft steht das Denken, Fühlen und Verhalten der einzelnen Läufer im Vordergrund.

Sind die Namen zu Beginn des Laufs noch nahezu gesichtslos, so lernt der Leser im Verlauf der Handlung die einzelnen Charaktere näher kennen. Da ist Ray Garraty aus Maine, der bis zum Startschuss nicht wusste, auf was er sich einlässt und der ständig den Sinn hinter diesem Marsch sucht. Sein Ziel ist es, seine Freundin Jan und seine Mutter in Portland zu sehen, auch wenn es nur für einen Augenblick ist. McVries, den Liebeskummer zu diesem Lauf trieb, wird Garratys bester Freund. Mehr als einmal rettet er Garatty das Leben. Daneben gibt es noch Scramm, ein treuseliger Junge, den eine Erkältung schwer zu schaffen macht, Harkness, der über den Marsch ein Buch schreiben will, wenn alles vorbei ist, Olson, Baker und noch einige andere. Stebbins, ein Außenseiter am Ende der Gruppe, wird für Garraty zur fixen Idee, zur allwissenden Raupe aus "Alice im Wunderland". Stebbins Hass auf den Major und seine Gründe, an diesem Lauf teilzunehmen, bleiben für Garraty lange Zeit ein Rätsel.

"Todesmarsch" ist ein gutes Beispiel dafür, dass Stephen King dem Leser eben nicht allein durch Übersinnliches, durch blutrünstige Monster und Killer eine Gänsehaut bereiten kann, wie ihm leider viele nachsagen. Vielmehr wird der Gruselfaktor dadurch erzeugt, dass im nahezu plauderhaften Ton das Spiel einer Gesellschaft geschildert wird, in dem die Verlierer vor den Augen der Öffentlichkeit hingerichtet werden. Hinzu kommt eine sensible psychologische Charakterisierung der einzelnen Figuren, die gezwungen sind, sich mit dem Tod und ihrer eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzen.

Fazit

Dieser Roman ist eines der gelungensten Werke des Autors überhaupt.

Nicole S. - myFanbase
25.03.2006

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