Bewertung
Fforde, Jasper

Grau

Ein Eddie-Russett-Roman

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Inhalt

Als Roter, das heißt als Mitglied der Bevölkerungsgruppe, die nur die Farbe Rot wahrnehmen kann, steht der 20-Jährige Eddie Russett nicht sonderlich hoch in der gesellschaftlichen Hierarchie, aber immer noch über den Grauen, die gar keine Farben sehen können. Das hindert Eddie allerdings nicht daran, sich in die Graue Jane zu verlieben, die wiederum bei mehreren Gelegenheiten versucht, ihn umzubringen, da er brisanten Geheimnissen auf der Spur ist. Seine Gefühle für Jane und seine Neugierde sind jedoch zu stark, um aufzugeben, und so stößt Eddie auf Wahrheiten, die sein Leben für immer verändern werden.

Kritik

Mit seiner Thursday-Next-Reihe hat der walisische Autor Jasper Fforde bereits bewiesen, dass er es meisterhaft versteht, komplexe Fantasywelten zu erschaffen, die so reich an Details, Metaphern und Untertönen sind, das man sie als Leser nie ganz durchschaut und beinahe auf jeder Seite etwas Neues entdeckt. Mit "Grau", dem Auftakt zur Eddie-Russett-Trilogie, bestätigt er dieses Talent erneut.

Während in den Thursday-Next-Romanen das Thema Literatur aufgegriffen wird, dreht sich diese neue Trilogie um Farben. Die Handlung spielt in der Zukunft, mehrere Jahrhunderte nach unserer Zeit, und stellt uns eine chromatisch geordnete Gesellschaft vor, in der jeder Mensch nur höchstens eine Farbe wahrnehmen kann. Die so genannten "Roten" können nur rote Farbtöne erkennen, die "Gelben" nur gelbe, die "Grünen" nur grüne, die "Blauen" nur blaue und so weiter. Alles, was nicht in ihrer jeweiligen Farbe gehalten ist, nehmen die Menschen als grau wahr, es sei denn, es ist mit teurer, synthetischer Farbe aufgepeppt, aber dazu kommen wir noch. Die Farbwahrnehmung entscheidet maßgeblich über die Stellung in der Gesellschaft. Die Purpurnen stehen an der Spitze der Rangordnung, gefolgt von den Blauen, den Grünen, den Gelben, den Orangenen und den Roten. Doch auch innerhalb jeder Farbgruppe gibt es hierarchische Abstufungen, denn je stärker und nuancenreicher jemand seine Farbe sieht, desto höher ist sein Ansehen. Ganz unten in der Gesellschaftsordnung stehen indessen die Menschen, die überhaupt keine Farbe wahrnehmen können und als "Graue" bezeichnet werden. Sie führen beinahe ein Sklavendasein und besitzen kaum Rechte. Salopp gesagt: du bist, was du siehst, und wer nichts sieht, ist auch nichts. Für uns klingt das natürlich sehr absurd und das ist es selbstverständlich auch, doch andersherum wäre es für die Menschen in diesem Roman absurd, Leute nach ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer Sexualität zu beurteilen, wie es in unserer realen Gesellschaft leider immer noch geschieht.

Jasper Fforde beschreibt eine stark reglementierte Gesellschaft, die sich der Stagnation verschrieben hat. Statt nach Fortschritt zu streben, soll möglichst alles so bleiben, wie es gerade ist, und jeder Mensch soll genau so leben, wie schon seine Ur-Ur-Ahnen vor ihm. Es gibt für alles, von der Kleidung, über die Freizeitbeschäftigungen bis zu den Essenszeiten, genaue Vorschriften, die von Kindesbeinen an gelehrt werden. Damit die Ordnung auch eingehalten wird, führt jeder Mensch ein Meritenbuch. Die Meriten sind eine Währung, die für Leistungen gutgeschrieben und für Fehlverhalten abgezogen wird. Nur wer eine bestimmte Meritenzahl erreicht hat, darf heiraten oder einen eigenen Wohnsitz erwerben. Wer mit seinen Meriten zu tief im Minus steckt, wird zum so genannten "Reboot" geschickt, um umerzogen zu werden.

Viele Errungenschaften, die aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken sind, wurden in dieser Welt längst verboten und fast vollständig zerstört, wie etwa Autos, Telefone und Fahrräder. Aber auch banale Dinge wie Jojos, Reißverschlüsse, Marzipan und Flugdrachen sind nicht mehr gestattet. Schlupflöcher in den Regeln erlauben ein paar Ausnahmen, so dass es vereinzelt noch Autos und Telefone gibt, aber die Mehrheit der Bevölkerung hat davon nichts. Eine Kuriosität ist auch die Löffelknappheit. Da Löffel nicht mehr produziert werden dürfen, sind die noch erhaltenen Löffel kleine Schätze, für die ein lukrativer Markt herrscht.

Der mächtigste Konzern in dieser Gesellschaft ist NationalColor. Das Großunternehmen handelt mit synthetischen Farben, die nicht nur wichtig sind, um Gebäude und Gärten aufzuhübschen und für alle etwas bunter zu machen, sondern auch große Bedeutung für das Gesundheitswesen haben. Der Anblick bestimmter Farben wirkt wie ein Medikament oder Rauschmittel auf die Menschen. Daher gibt es auch keine Ärzte, sondern so genannte "Mustermänner", die für jedes Leiden die richtige Farbe kennen und den Patienten zeigen.

So. Was sich jetzt vielleicht wie eine ausführliche Inhaltsbeschreibung gelesen hat, war eigentlich nur eine kurze und längst noch nicht vollständige Zusammenfassung des Rahmens, in dem die Handlung spielt. Eben das zeichnet die Romane von Jasper Fforde aus. Die unzähligen Details, aus denen sich immer neue Fragen und Eindrücke ergeben, beschäftigen uns Leser von Anfang bis Ende und schlagen uns immer wieder ein Schnippchen, wenn wir glauben, wir hätten jetzt alles erfasst. Wir lernen eine kuriose, interessante Welt kennen, die zum Staunen und Kopfschütteln anregt und zugleich viele Verweise auf unsere Realität besitzt.

Trotz des sehr kreativen Rahmens ist "Grau" im Kern dann aber doch eine eher typische Dystopie, wie man sie schon oft gelesen oder gesehen hat. Die Handlung an sich ist nichts Besonderes: ein Mensch, in diesem Fall der 20-Jährige Mustermann-Sohn Eddie Russett, durchschaut endlich die Schattenseiten der Welt, in der er lebt, und will sie nicht hinnehmen. Eddie ist der Sympathieträger der Geschichte, aber nicht der interessanteste Charakter. Die stärksten Auftritte haben Jane, die trotz ihres geringen gesellschaftlichen Status sehr tough und selbstbewusst ist, und Eddies neuer Kumpel Tommo, ein vorlauter, gerissener Schlawiner, der schon auf halbem Weg zum Reboot ist.

Fazit

Mit seinem Roman "Grau" führt uns Jasper Fforde wieder in eine detailreiche, vielschichtige und faszinierende Fantasywelt ein, ohne jedoch eine wirklich originelle Handlung zu erzählen. Der Rahmen stimmt also, nur der Kern muss noch besser werden.

Zur Rezension von Band 2 "Im Brunnen der Manuskripte"

Zur Rezension von Band 3 "Es ist was faul"

Maret Hosemann - myFanbase
03.11.2011

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