Bewertung
Grant, Sara

Neva

Auf der Suche nach Freiheit.

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Inhalt

Durch einen Akt des Terrors hat die Welt einen großen Wandel vollzogen. Entstanden ist Heimatland, das durch die Protektosphäre – eine fast unsichtbare Energiekuppel – umschlossen wird. Wer ihr zu nahe kommt, stirbt durch einen Stromschlag. Die sechzehnjährige Neva und ihre beste Freundin Sanna sind sich sicher, dass es mehr außerhalb des unsichtbaren Glaskäfigs gibt als Ödland und eine verseuchte Atmosphäre. Sie träumen von einer Welt, in der die Menschen nicht nahezu gleich aussehen, von der Regierung manipuliert und zur Fortpflanzung gedrängt werden, und deren Geschichte nicht den Idealen des Systems angepasst wird. Denn was als Schutzmaßnahme verkauft wird, gleicht einem Zuchthaus, in dem Menschen schlagartig von der Bildfläche verschwinden. Für die Freundinnen ist es an der Zeit sich aufzulehnen. Doch was im Dunkeln zuerst leichte Formen annimmt, öffnet Neva allmählich die Augen und stürzt sie in ein verwirrendes Gefühlschaos. Selbst in festen Händen, entwickelt sie plötzlich verbotene Gefühle für Braydon, der bereits an Sanna vergeben ist, und begibt sich bald in höchste Gefahr. Denn der Feind ist ihr näher, als sie glaubt.

Kritik

Ich bin hin und weg! "Neva" hat mich von der ersten Seite an gepackt, irritiert und fasziniert, so dass ich bald alles um mich herum vergessen habe und das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte – passend zum Thema war ich schlichtweg in der Lektüre gefangen. Neben den schwer angesagten Dystopien (z. B. "Cassia & Ky"), die derzeit die Bücherwelt erobern, sichert sich Sara Grant einen Platz ganz weit vorn und muss sich vor der Konkurrenz keinesfalls verstecken. Denn "Neva" ist ein leidenschaftlicher, überraschender und zugleich nachdenklich stimmender Roman mit Suchpotential. Bitte mehr!

Schnell wird man in die Geschehnisse um Neva und ihre Antipathie für die Protektosphäre hineingezogen und lernt stückchenweise das Ausmaß und die Härte der dystopischen Gesellschaft kennen. Bereits in den ersten Kapiteln passiert eine ganze Menge und das wiederum wirft unzählige Fragen auf. Warum hat Nevas fester Freund Ethan sich urplötzlich verändert? Was hat es mit dem geheimnisvollen Kuss auf sich? Und warum verschwinden immer wieder Menschen spurlos von der Bildfläche, als hätten sie nie existiert? Bald wird deutlich, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Erst recht nicht die Menschen, die im Leben der sechzehnjährigen Neva eine wichtige Rolle einnehmen und im Handlungsverlauf immer wieder überraschen. Da glaubt man bestimmte Charaktere in eine Schublade pressen zu können und sie durchschaut zu haben, wird dann aber schnell eines Besseren belehrt. Dadurch entsteht ein facettenreicher und unberechenbarer Roman.

Selbst Neva lässt sich anfangs ein bisschen schwer einschätzen. Ist sie nur eine Mitläuferin oder eine überzeugte Rebellin? Neva bedeutet Schnee und das passt zu ihren Charaktereigenschaften. Sie ist zart und verletzlich, kann sich aber auch in einem Schneesturm verwandeln, wenn es die Situation erfordert. Sie ist ein sympathischer und vielseitiger Charakter, mit Ecken und Kanten. Durch frühere Gespräche mit ihrer plötzlich verschwunden Großmutter und weitere unerklärliche Vermisstenfälle, ist sie sich bereits von klein auf bewusst, dass mit dem System etwas nicht stimmt. Es fehlt ihr anfangs nur an Mut und Entschlossenheit, sich von den unsichtbaren Ketten zu befreien und nicht nur von Freiheit zu träumen, sondern sie sich zu erkämpfen. Trotz gefestigter Werte und Meinungen entwickelt auch ihr Charakter sich weiter und legt nur allzu menschliche Gefühle und Entscheidungen an den Tag.

Sara Grant verfügt über einen einfachen und dann doch wieder ansatzweise poetischen Schreibstil, der einen schnell in seinen Bann zieht. Alles liest sich flüssig und gut weg, in manchmal kurzen, aber prägnanten Sätzen, die viel Spannung erzeugen und Lust auf den nächsten Satz machen. Besonders Nevas Aversionen gegen das System, ihre angeknackste Beziehung zu ihrem festen Freund Ethan und ihre verbotenen Gefühle für Braydon werden merklich in Szene gesetzt, und gingen mir persönlich unter die Haut. Grant scheut sich nicht vor Tabuthemen, wie sie in vielen Jugendbüchern umgangen werden, und lässt die Protagonisten offen über Sex sprechen.

Von allen Dystopien, die ich bis jetzt gelesen habe, ist das Heimatland unserer Welt wohl am ähnlichsten, zumindest was Umgebung und Technik betrifft. So gibt es Motoräder, Zigaretten und alkoholische Getränke. Sogar Kondome sind den Bewohnern ein Begriff. Demnach könnten sich die Ereignisse in einer nahen Zukunft abspielen. Das strenge Regime hingegen reflektiert vergangene Taten unserer Geschichte und erinnerte mich anhand einzelner Vorgehensweisen stark an die Stasi. Was für uns damals die Mauer war, ist für die Menschen des Heimatlandes die Protektosphäre. Demonstrationen und rebellische Akte sind äußert unbeliebt und werden hart bestraft (erinnert ein wenig an das dritte Reich) ... und in der wirksam manipulierten Bevölkerung totgeschwiegen. Unfassbar!

Optisch betrachtet gibt das Buch ebenfalls einiges her, mit einem Cover, das zur Handlung passt und Atmosphäre schafft. Die Grautöne wirken ein wenig steril und könnten für das System stehen. Das Mädchen auf dem Bild könnte Neva darstellen und die Schneeflocke ist in diesem Buch eigentlich Programm. Sie passt zu Nevas Namen, ihrer heimlichen Tätowierung sowie ihrer Halskette (ein Geschenk ihrer Großmutter). Die Schneeflocke steht für Einzigartigkeit und gleichzeitig für die Protektosphäre, die einer Schneekugel ähnelt. Auch zu Anfang jedes Kapitels findet man sie wieder.

Einziger Wehrmutstropfen war für mich die Länge des Buches. Es war viel zu schnell vorbei und gerne hätte ich mehr über das System und einzelne Protagonisten erfahren. Am Ende bleiben noch einige Fragen offen und obwohl Nevas Geschichte in sich abgeschlossen sein könnte, führt an einer Fortsetzung eigentlich kein Weg vorbei. Ich bitte drum!

Fazit

"Neva" ist ein ergreifender und gefühlsbetonter Gesellschaftsroman für Jung und Alt, der durch vielseitige und unberechenbare Charaktere schnell an Tiefe gewinnt und einfach nach mehr verlangt – ein mehr als gelungener Debütroman einer talentierten und kreativen Neuentdeckung.

Doreen B. - myFanbase
29.04.2011

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