Bewertung
Dostojewski, Fjodor

Schuld und Sühne

"Die erste Gattung, das heißt das Material, besteht, im Allgemeinen gesprochen, aus Menschen, die ihrer Natur nach konservativ sind, sittsam, in Gehorsam leben und gern gehorchen. Meiner Ansicht nach ist das auch ihre Pflicht, gehorsam zu sein, denn das ist ihre Bestimmung, und hierin liegt entschieden nichts Erniedrigendes für sie. Die zweite Gattung dagegen, von der übertreten alle das Gesetz, die sind Zerstörer oder zum Mindesten neigen sie dazu, je nach ihren Fähigkeiten. Die Verbrechen dieser Menschen sind selbstverständlich relativ und mannigfaltig; größtenteils verlangen sie - in den verschiedenartigsten Kundgebungen - die Zerstörung des Gegenwärtigen im Namen eines Besseren."

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Inhalt

Der Student Raskolnikoff, aus verarmter bürgerlicher Familie stammend, beschließt, eine alte Frau, eine Wucherin, umzubringen, um mit dem geraubten Geld sein Studium zu finanzieren. Dahinter steht der Gedanke, "großen Menschen" sei es erlaubt, "Lebensunwertes" zugunsten von "lebenswertem Leben" zu beseitigen.

Nach der Tat zeigt sich jedoch, dass der Verstand, der sie erdacht und ihre Ausführung gelenkt hat, nicht der einzige und nicht der allein bestimmende Teil der menschlichen Persönlichkeit ist: Raskolnikoff verfällt in ein tagelanges Delirium und sieht sich danach, allein mit seinem Gewissen, grenzenlos einsam. Erst sein freiwilliges Geständnis und die Strafe - die der Verbrecher als Sühne braucht - führen ihn aus dieser Verlassenheit heraus. Gerettet und "auferweckt" wird er schließlich durch die erlösende Liebe einer Frau: Die "Krankheit zum Tode" ist überwunden, Raskolnikoffs neues Leben beginnt.

Kritik

Lange Zeit bevor wir uns den Fragen des Nationalsozialismus stellten, brachte es Dostojewski in diesem Buch auf den Punkt. Er konnte nicht in die Zukunft blicken und ahnen konnte er es sicherlich auch nicht, was nur ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode geschehen würde, doch beschäftigte er sich mit der Frage, was man mit "unwertem Leben" anstellen sollte. Verleitet wurde er sicherlich seinerzeit durch viele Ereignisse, seien es die heimischen politischen Ereignisse, oder die Herrschaft Napoleons gewesen. Es ist zutiefst erschreckend festzustellen, dass das, was er schreibt, in der Realität schon immer Anklang fand. Jemand, der ungewöhnlich ist, also herausragend, der hat die Legalisation zu entscheiden, welche Menschen das Recht haben zu leben, und welche nicht. Immer mit dem Hintergedanken, dass es einem höheren Zweck dient.

Die Nationalsozialisten wollten einen Staat schaffen, in welchem nur reinblütige Menschen ein Recht hatten, in Friede und Kontrolle zu leben. Napoleon wollte Europa vereinen, unter der Führung Frankreichs. Dafür nahmen beide Nationen Leben in Kauf. Die einen mehr als die anderen. Doch wenn man denkt, Dostojewski sei der erste, der auf diesen Gedanken gestoßen ist, der irrt. Es ist lediglich eine Ausarbeitung von Friedrich Schillers "Die Räuber", in dem sich Karl von Moor als derjenige fühlt, der dazu bestimmt ist, etwas Großes zu vollbringen. Dabei wird ihm klarer, dass er für sein Ziel über Leichen gehen muss. Wie man auf diese Vermutung kommen kann, ist einfach gestrickt: Dostojewski las Schillers Bücher und sie nahmen auch viel Einfluss auf ihn und seine Bücher.

Was man aber nicht außer Betracht lassen darf, ist die Fähigkeit des Schriftstellers, den Leser immer wieder dazu zu bringen, den Atem anzuhalten. Wenn man bedenkt, wie einfach die eigentliche Thematik und der Schauplatz ist, so kann man nur Erstaunen und Begeisterung zeigen. Nicht selten passieren Dinge, die einem vollkommen unerwartet überrennen und auch wenn diese manchmal sinnlos erscheinen, erfüllen sie letztlich ihren Zweck, nämlich einen Zusammenhang zwischen allen Personen und Einzelgeschichten zu schaffen. Bedauerlicherweise hätte Dostojewski darauf verzichten sollen, irgendwelche Beschreibungen der Umgebung zu schreiben, denn diese wirken regelrecht unbeholfen und könnten von einem kleinen Kind stammen. Die Faszination dieses Buches liegt einzig und allein in den Gesprächen und dem Zwiespalt, in welchem sich der Charakter Rodion Raskolnikoff befindet.

Fazit

Ein Kriminalroman, in dem es nicht darum geht, den Mörder zu fassen, sondern in welchem es um die Thematik eines Mörders geht. Hierin liegt jedoch die Ironie. Der Mörder fühlt sich nicht als Mörder.

Ignat Kress - myFanbase
16.04.2008

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