García Márquez, Gabriel

Chronik eines angekündigten Todes

Im Gegensatz zu klassischen Kriminalromanen ist in diesem Buch von der ersten Seite an klar, wer das Opfer und wer der Mörder ist. Die schöne Angela Vicario wird in der Hochzeitsnacht von ihrem Mann nach Hause geschickt, sie ist nicht mehr unberührt. Unter zwang gibt sie ihren Brüdern den Namen des vermeintlichen Täters: Santiago Nasar...

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Inhalt

Im Gegensatz zu klassischen Kriminalromanen ist in diesem Buch von der ersten Seite an klar, wer das Opfer und wer der Mörder ist. Die schöne Angela Vicario wird in der Hochzeitsnacht von ihrem Mann nach Hause geschickt, sie ist nicht mehr unberührt. Unter zwang gibt sie ihren Brüdern den Namen des vermeintlichen Täters: Santiago Nasar. Um die Ehre der Familie wiederherzustellen haben die Gebrüder Vicario nur eine Möglichkeit, sie müssen Santiago Nasar töten. Marquez beschreibt rückblickend und in allen Einzelheiten den Tag an dem der Mord Nasars geschieht. Für die Bevölkerung des Dorfes ist der Mord kein Geheimnis, jeder weiß davon und jeder spricht darüber, die Brüder Vicario warten ja schließlich mit offen gezeigten Schlachtermessern auf dem Dorfplatz auf Nasar. Aber es gibt einem im Dorf, der nichts von dem geplanten Mord weiß: Santiago Nasar.

Kritik

Gabriel Garcia Marquez entfaltet in dieser kurzen Erzählung (ca. 120 Seiten) ein wahres Panoptikum südamerikanischen Lebens. Er gewährt Einblicke in uralte Traditionen und Gesetze und zeigt die Unfähigkeit der Menschen diese abzustreifen. Für die große Mehrheit des Dorfes ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Vicarios das Recht haben, durch Mord die angeblich verletzte Familienehre wiederherzustellen. Dabei bleibt bis zuletzt ungeklärt, ob Santiago Nasar wirklich ein Verhältnis mit Angela Vicario hatte.

Dies ist auch nicht Gegenstand des Interesses von Marquez. Ihm geht es vielmehr darum zu zeigen, wozu eine menschliche Gemeinschaft fähig ist und was für Konsequenzen alte Traditionen haben können. Deshalb nimmt er in dem Roman eine genaue Rekonstruktion des Mordes vor, erzählt Vorgeschichten und Folgen, listet mitunter minutiös die Handlungen der Beteiligten auf, schließlich heißt das Buch ja Chronik. Dies alles ist aber nicht langweilig. Im Gegenteil, trotz des dokumentarischen Charakters handelt es sich hierbei um einen höchst spannenden und gut zu lesenden Roman. Die Geschichte entfaltet eine Dynamik, die den Leser mitreißt.

Man fiebert quasi mit Nasar, obwohl man im Gegensatz zu ihm weiß, dass er sterben wird. Zudem erfährt der Leser sehr viel über Südamerika. Marquez schafft es Stimmungen, Empfindungen, ja mitunter sogar Geräusche und Gerüche vor den Augen des Lesers zu entfalten, eben ein wahres Panoptikum. Neben dem Lesevergnügen bietet die Chronik eines angekündigten Todes aber mehr. Es stellt sich nämlich zwangsläufig die Frage, wozu Menschen fähig sein können. Wie es möglich ist, dass alle im Dorf über den öffentlich angekündigten Mord bescheid wissen, aber keiner ausreichend Zivilcourage hat, Santiago Nasar zu informieren.

Gandalf - myFanbase
10.01.2005

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