Bewertung
Sebold, Alice

Glück gehabt

"In dem Tunnel, in dem ich vergewaltigt wurde [...], in diesem Tunnel war ein Mädchen ermordet und zerstückelt worden. Die Polizei hat mir davon erzählt. Im Vergleich dazu, sagten sie, hätte ich Glück gehabt."

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Inhalt

Dieser erste Eindruck sagt eigentlich schon alles über dieses Buch aus, was man wissen muss. Alice wurde vergewaltigt. Es ist eine Art Biographie der Autorin Alice Sebold, ein Erfahrungsbericht eines Opfers. Eine Möglickeit, damit umzugehen, zwar niemals damit abzuschließen, aber mit der Vergangenheit umzugehen. Sie berichtet direkt auf den ersten Seiten von dem Abend der erwähnten Vergewaltigung, mit Details, die nicht jeder unbedingt wissen will, aber die dazugehören. Von den Schwierigkeiten, in so einer Situation zu handeln, sich zur Wehr zu setzen.

Und damit hört es nicht auf. Alice berichtet von den Folgen, die dieses Erlebnis für sie und ihre Umwelt hatte, wie die Menschen damit umgingen oder auch nicht, wie sie sich danach den Leuten gegenüber verhielt, was es vor allem auch in ihrer nähesten Umgebung für Reaktionen gab, was dadurch zerbrach, und wie sie dagegen ankämpfte. Wie sie den Mann wiedererkannte und anzeigte, und was es für Debatten und Schwierigkeiten im Jahr 1981, dem Handlungszeitpunkt, auslöste, weil der Mann, der ihr das angetan hatte, auch noch ein "Schwarzer" war... und wie er auf einmal nicht mehr nur "der Mann" oder "das Monster" war, sondern auf einmal einen Namen bekam. Sie erzählt, was für Schwierigkeiten die Verhandlung mit sich brachte, was für Fallen die Rechtsanwälte stellten.

Doch auch damit endet ihre Erzählung nicht, wie man meinen könnte. Sie beschreibt desweiteren, was nach der Verhandlung geschah, wie sie versuchte, ihr Leben weiterzuleben, welche Ängste sie ausstand, und was sie dann letztendlich aus ihrem Leben machte, obwohl die Gewalt immer ein Teil ihres Lebens blieb, und alles durch die Vergewaltigung einer Freundin wieder aufgewühlt wurde.

Kritik

Diese Buch ist ein Meisterwerk und einmalig. Es ist nichts für Menschen, die sich vor Details scheuen und auch für niemanden, der Spannung in einem Buch braucht, denn in diesem Buch gibt es keine Spannung, es ist ein Bericht aus dem Leben einer jungen Frau, die mit Schrecken heranwuchs und die lernen musste, damit umzugehen.

Es ist kein Roman von einer erfundenen Person, in der es um irgendwelche Schwierigkeiten geht, und wo man übertreibt, weil man keine Ahnung davon hat. Im Leben gibt es nunmal nicht immer ein Happy End, nicht jeder entgeht Gefahren glücklich. Alice Sebold hat diese Erfahrung bereits gemacht, und das lässt sie den Leser spüren: es gibt keine beschönigten Stellen. Sie schreibt genauso, wie sie es erfahren hat. Warum sollte die Wahrheit umgeschrieben werden?

Man sollte dieses Buch vor ihrem Werk "In meinem Himmel" lesen, auch wenn es später erschienen ist, aber so erfährt man mehr über den Beweggrund ihres Schreibens. Alice Sebold hat zwar eine recht eigenwillige Art zu schreiben, aber das gehört dazu.

Fazit

Kaum jemand traut sich, oder würde sich trauen, so in aller Öffentlichkeit damit umzugehen, noch einmal nach all den Jahren diese Erlebnisse aufzuarbeiten, wiederzuerleben, von anderen die eigene Geschichte erzählt zu bekommen und sie weiterzugeben. Meiner Meinung nach lesenswert!

Sara Loreen Brandt - myFanbase
07.08.2007

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