Ben vs. Widmore

Kaum ein Motiv in "Lost" wird so stark und vielfältig verwendet, wie das Motiv des Spiels. Seien es Brettspiele, Ping Pong oder Golf, überall in der Serie finden sich Spiele. Schon in der Pilotfolge lädt Locke Walt zu einer Partie Backgammon ein und erklärt dem Jungen das Prinzip: "Two players. Two sides. One is light... one is dark."
Zwei Spieler. Zwei Seiten. Ein Spiel. Ein Prinzip, das sich auch auf zwei Personen übertragen lässt, von deren "Spiel" wir im Laufe der vierten Staffel erfahren: Benjamin Linus und Charles Widmore. Hätte man die beiden anfangs noch kaum miteinander assoziiert, stehen die beiden Männer nun im Mittelpunkt eines sehr gefährlichen Spiels, das bereits einige Opfer gekostet hat und das in der fünften Staffel wahrscheinlich erst richtig ins Rollen kommen wird.
"You're a bastard, you know that?"
Doch was wissen wir über die beiden Gegenspieler? Eigentlich viel und doch wieder gar nichts. Nehmen wir zunächst einmal Charles Widmore. Sein erster Auftritt als Desmonds Schwiegervater in spe (#2.23/#2.24) erweckte in uns Zuschauern erstmal eine tiefe Abneigung gegen diesen Mann, der einen Keil zwischen seiner Tochter Penny und Desmond trieb. Dieser Argwohn bestätigte sich dann, als wir ihn auf Bens Video dabei sahen, wie er einen Mann zusammenschlägt (#4.06) und erfuhren, dass er 324 Leichen in Thailand ausgraben ließ, um eine Attrappe des Oceanic-Flugzeugs zu inszenieren (#4.08).
Aber ansonsten bleibt Charles Widmore für uns ein Mann, den man nicht greifen kann. Klar, wir wissen, dass er eine Firma namens Widmore Cooperation besitzt, nicht unbedingt knapp bei Kasse ist und gerne McCutcheon Whisky trinkt – doch darüber hinaus, bleibt die Person Widmore erstmal mysteriös.
Mindestens genauso mysteriös ist Benjamin Linus und das, obwohl wir vergleichsweise viel mehr über den einstigen Anführer der Anderen wissen. Ben ist ein manipulativer, hinterhältiger, aber gleichzeitig äußerst fähiger und kluger Mann, dessen Pläne nie ganz zu durchschauen sind. Obwohl er Goodwin aus Eifersucht wegen Juliet quasi in den Tod schickte (#4.06), Locke eine Kugel verpasste (#3.20) und Sawyer vorgaukelte, ihm eine Bombe ins Herz gesetzt zu haben (#3.04) – irgendwie bringt man für Ben dennoch mehr Sympathien auf als für Widmore.
Grund dafür ist sicherlich, dass wir nicht nur Bens Stärken, sondern auch Bens schwache Momente kennen gelernt haben. Seine tragische Kindheit, seine unerwiderte Liebe für Juliet, seine Zuneigung für seine Adoptivtochter Alex. Ein Bösewicht mit Gefühl also? Nein, so einfach ist Benjamin Linus nicht zu kategorisieren. Vielmehr bringt er uns dazu, uns immer wieder zu fragen: Ist er nun gut oder böse? Wo liegen überhaupt die Grenzen zwischen Gut und Böse? Und wer ist nun überhaupt der Böse: Charles Widmore oder Benjamin Linus?
"Two players. Two sides. One is light... one is dark."
Hatten wir vorher noch Backgammon als Metapher für den Antagonismus zwischen Widmore und Ben, so könnte man deren "Spiel" auch mit einer Partie Schach vergleichen: Sie sind wie die Könige eines Schachspiels, die mit verschiedenen Mitteln versuchen, sich auszustechen. Wer Weiß und wer Schwarz spielt, das wird sich allerdings noch klären müssen.
Widmores erster Schachzug bei dem Versuch, Ben zu besiegen, ist die Entsendung der Kahana samt einem Trupp blutrünstiger Männer unter der Führung von Martin Keamy. Diese haben den Befehl, zur Insel zu gelangen, um Ben lebend (!) zu Widmore zu bringen. Doch Ben ist nicht ganz unvorbereitet: er weiß von der Kahana und schleust einen Spion ein, um sich über die Crew des Schiffs zu informieren: Michael. Dieser sabotiert den Frachter, indem er die Anweisungen Bens befolgt und sowohl die Maschinen lahm legt als auch den Funkraum. Weiterhin stellt er für Ben eine Liste aller Crewmitglieder zusammen, denn Ben will nicht nur wissen, mit wem er es zu tun hat, er will auch vermeiden, "unschuldige" Menschen zu töten: "When I'm at war, I'll do what I need to do to win, but I will not kill innocent people", so Ben. Die Frage ist nur, wer ist in Bens Augen unschuldig und wer nicht?
Trotz Michaels Aktionen können Keamys Männer die Insel erreichen und spüren Ben auf (#4.08). Was Ben nicht weiß: auf dem Weg nach New Otherton haben sie Karl und Rousseau erschossen und seine Adoptivtochter Alex als Geisel genommen. So kommt es zu einem Showdown zwischen Keamy, der Alex in der Hand hat, und Ben, der sich zusammen mit Locke, Sawyer, Hurley und Claire in einem Haus verbarrikadiert hat (#4.09). Als Keamy damit droht, Alex zu erschießen, gibt Ben vor, damit kein Problem zu haben und versucht so, Keamy von dieser Tat abzuhalten – doch er macht einen Fehler. Ben schätzt seinen Gegner falsch ein und Alex zahlt dafür mit ihrem Leben.
Aber die Rache des Benjamin Linus ist gewaltig. Er ruft das Rauchmonster herbei, das Keamys Trupp in die Flucht schlägt und schwer verletzt. So müssen sich Widmores Männer vorerst zurückziehen, doch sie kommen bald wieder (#4.12): Keamy zwingt Frank dazu, ihn und seine Söldner zur Insel zu fliegen und lauert Ben bei der Orchid-Station auf. Woher er wusste, dass Ben sich dort befinden würde? Diese Information stand im Notfallprotokoll der Kahana. Widmore wusste also, wohin sich sein Erzfeind im Fall der Fälle zurückziehen würde. Doch woher?
Wie immer mit einem Plan gewappnet, ergibt sich Ben schließlich und wird von Keamy zurück zum Hubschrauber eskortiert, während Locke vergeblich versucht, den versteckten Eingang zum unterirdischen Teil der Orchid-Station zu finden. Doch Ben kann durch die Hilfe der Anderen befreit werden und so selbst wieder zurück zur Station kehren, um zusammen mit Locke sein Vorhaben in die Tat umzusetzen (#4.14): die Insel zu bewegen. Doch Keamy, quasi Widmores Turm im Schachspiel gegen Ben, schafft es, schwer verwundet zur Station zurückzukehren und fordert Ben heraus. Dieser ersticht Keamy schließlich im Affekt, trotz des Wissens, dass er damit eine Bombe auf der Kahana gezündet und somit deren gesamte Crew getötet hat.
Schließlich verabschiedet sich Ben von Locke und übergibt ihm das Zepter – Locke ist nun der neue Anführer der Anderen. Ben selbst begibt sich in die Tiefen der Erde, wo er mithilfe eines riesigen Rades einen Mechanismus in Bewegung setzt, den wir nur erahnen können... er bewegt die Insel. Diese wird in ein gleißendes Licht getaucht, verschwindet und Ben wird durch Zeit und Raum katapultiert und landet rund ein dreiviertel Jahr später auf der anderen Seite der Welt: in der Sahara.
"Have you come here to kill me, Benjamin?"
Doch wer glaubt, damit wäre die Sache getan, der irrt sich – der Kampf zwischen Ben und Widmore hat erst jetzt so richtig begonnen. Ben macht Widmore in London ausfindig und überrascht ihn im Schlaf. Doch anstatt ihn zu töten, überbringt er ihm die Nachricht, dass er Rache für den Mord an Alex nehmen wird. Ganz nach dem "Wie so mir, so ich dir"-Prinzip schwört Ben, dass er Widmores Tochter Penny umbringen wird. Doch Widmore entgegnet, dass er sie nie finden wird. Gleichzeitig sagt er, dass ihm die Insel gehören würde, woraufhin Ben wiederum meint, dass Widmore die Insel nie finden würde.
Der Dialog in #4.09 offenbart vieles über die Beziehung zwischen Ben und Widmore und gleichzeitig wirft er eine Menge Fragen auf: zunächst einmal wird deutlich, dass die Feindschaft zwischen Ben und Widmore eine tiefe ist, womöglich sogar eine, die einst einmal eine Freundschaft zwischen beiden Männern war. Wir können sogar vermuten, dass zwischen Ben und Widmore eine Art Vertrauensbasis wie zwischen einem Schüler und seinem Mentor bestand, so bezeichnet Widmore Ben eigenartigerweise als "boy". Weiterhin erfahren wir, dass ihr "Spiel" eine entscheidende Regel besitzt: sie können oder dürfen sich nicht gegenseitig umbringen. Bis zu Alex' Tod scheint es zudem so gewesen zu sein, als ob diese Regel auch für Nahestehende gegolten hat.
Es stehen also Pennys Leben und die Insel auf der Waagschale in Bens und Widmores gefährlichem Spiel. Gleichzeitig aber auch die Leben anderer Leute, die mit ihnen in Verbindung stehen. Dies muss Sayid schmerzlich erfahren, als Widmore seine Frau Nadia durch Ishmael Bakir umbringen lässt (so zumindest erzählt es Ben ihm). Ben nutzt Sayids Verlangen nach Rache und rekrutiert ihn für seine Zwecke: so wird Sayid zu Bens Werkzeug. Er tötet Mr. Avellino, einen von Widmores Männern, sowie Elsa (#4.02). Letztere war gleichermaßen auf Sayid angesetzt worden, um an Informationen über Ben zu gelangen, wie Sayid auf sie aufgesetzt worden war, um mehr über Widmores Pläne in Erfahrung zu bringen. Nach einer blutigen Schießerei tötet Sayid schließlich Elsa unter Tränen, da die beiden eine kurze Liebschaft verband.
"Then I suppose the hunt is on for both of us."
Wer also ist nun an der Reihe, den nächsten Schachzug durchzuführen? Es steht 1:1 zwischen Ben und Widmore: so brachte Widmore zwar Bens Tochter um, doch dafür verfrachtete Ben die Insel an einen neuen Ort (und womöglich auch in eine andere Zeit). Gleichstand also. Klar ist, dass dieses kleine "Spiel" zwischen den beiden Männern nicht ohne Folgen und Opfer bleiben wird. Alex, Avellino und Elsa, sie sind erst der Anfang – der Anfang eines sehr gefährlichen, ja wohl gar tödlichen Spiels.
Widmore: That island's mine, Benjamin. It always was. It will be again.
Ben: But you'll never find it.
Widmore: Then I suppose the hunt is on for both of us.
Ben: I suppose it is. Sleep tight, Charles.
Maria Gruber - myFanbase
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