Bewertung

Review: #6.18 Das Ende (2)

[Dies ist der zweite Teil der Review zu "The End". Den ersten Teil gibt es hier!]

Neben dem großen Wiedersehen drei der wunderbarsten Paare von "Lost", Jin/Sun, Charlie/Claire und Sawyer/Juliet (Penny/Desmond sowie Hurley/Libby hatten schon das Vergnügen), gibt es aber noch zwei andere zentrale Beziehungen, die in dieser Episode ein versöhnliches Ende finden: Zum einen die beiden ewigen Kontrahenten Jack und Locke, der Mann der Wissenschaft und der Mann des Glaubens, die stets gegeneinander standen und letztlich doch auf einer Seite endeten. Dass Jack in seinem "Fegefeuer" die Chance bekommt, Locke zu helfen und zu heilen, ist wie eine Heilung für ihn selbst: "If I can fix you Mr. Locke, that's all the peace I need", so Jack in dem überragenden Dialog mit Locke vor der OP. So ist es Jack, der Locke seinen Moment der Erkenntnis ermöglicht, was in einem wunderbaren Kontrast dazu steht, dass auf der Insel Locke Jack die Augen geöffnet hatte, auch wenn Jack dies erst nach Lockes Tod erkannt hat. Denn so sagt Jack ganz richtig zu Smokelocke: "Turns out [Locke] was right about most everything. I just wish I could've told him that while he was still alive."

Zum anderen haben wir das finale Aufeinandertreffen zwischen Locke und Ben, für mich eine der faszinierendsten Beziehungen, die "Lost" uns je geboten hat. Was für eine besondere Person Locke wirklich ist, zeigt sich vor allem in seiner Mühelosigkeit, seinem Mörder Ben zu verzeihen. Locke ist definitiv eine der tragischsten Figuren der Serie, ein Mann, der stets mit äußeren und inneren Hindernissen zu kämpfen hatte und letztlich so verzweifelt war, dass er sich selbst umbringen wollte. Zumindest im Leben nach dem Tod hat Locke nun endlich seinen inneren Frieden gefunden und hilft Ben durch seine Vergebung, dass auch dieser mit sich selbst ins Reine kommt. Ben jedoch braucht dazu noch Zeit und ist daher noch nicht bereit, zu den anderen in die Kirche zu gehen. Eine großartige Szene und ein erneuter Beweis dafür, was für besondere, vielschichtige und komplexe Seriencharaktere sowohl Locke als auch Ben waren.

"Why did you take the job, Jack?" – "Because I was supposed to."

Vergebung ist jedoch nicht das einzige Thema, das in "The End" eine wichtige Rolle spielt, vielmehr stürzt man sich so tief in philosophische Gefilde wie selten zuvor. So wird die Frage nach dem Schicksal und dem freien Willen, die uns sechs Staffeln lang in "Lost" begleitet hat, letztlich mit einem Jein beantwortet: Zwar haben wir einerseits ein Ja auf der Seite des Schicksals durch Jacks vehemente Überzeugung, dass er dazu bestimmt sei, Jacobs Posten anzunehmen und durch die vielen Verkettungen von Ereignissen, die die Losties zur Insel gebracht haben. Doch diesem Ja steht auch ein Nein gegenüber: Jacobs Überzeugung, die Leute aus freiem Willen entscheiden zu lassen und letztlich auch all die Entscheidungen, die die Losties aus freier Hand getroffen haben. Im Kampf Schicksal gegen freier Wille lässt Team Darlton keinen als Gewinner vom Feld ziehen und öffnet damit erneut Raum für Interpretationen und Diskussionen.

Eine weitere zentrale Frage wird von Desmond gestellt, dem Einzigen, der schon einen Blick in das Leben nach dem Tod geworfen hat. So sagt er zu Jack: "This doesn't matter, you know". Desmond scheint bereits halb mit seinem irdischen Leben abgeschlossen zu haben und wartet nur darauf, das wunderbare Leben zu genießen, das er in seinem Flashsideway gesehen hat. Durch Desmond hinterfragen die Macher gezielt, ob es überhaupt einen Sinn hat, sich im Leben anzustrengen, wenn man danach eh stirbt und die Aussicht auf ein glückliches Weiterleben hat. Jack – und mit ihm Team Darlton – beantwortet Desmonds Frage aber mit einem klaren "All of this matters." Ja, es hat einen Sinn. Ja, all dies ist von Bedeutung. What happened, happened. So auch alles, was in den vergangenen sechs Jahren auf der Insel passiert ist.

"It looks like you were wrong." – "Looks like you were wrong, too."

Diese sechs Jahre "Lost" führen Locke, Jack und Desmond schließlich in die mysteriöse Höhle, das Herz der Insel. Wie hier bewusst die Geschehnisse aus dem Finale der ersten Staffel gespiegelt werden, ist einfach eine große kreative Leistung, vor allem aber auch, da einem so nochmal besonders klar wird, wie weit die Charaktere – vor allem Jack und Locke – seither gekommen sind. Jack hat sich zu einem Mann des Glaubens entwickelt und Locke... nun ja, der ist tot. Was nun aber genau passiert, als Desmond das Licht auslöscht, können wir leider nur vermuten. Ist damit die Essenz der Insel tot? Ist das Gute zerstört? Gibt es nun keine Möglichkeit mehr, in das Leben nach dem Tod zu gelangen? Eine Frage, die Team Darlton gerne hätte beantworten können, da man sich so als Zuschauer manchmal der Schwere der Situation nicht wirklich bewusst werden konnte. Das vage "And if the light goes out here... it goes out everywhere" der Mutter aus #6.15 Übers Meer bleibt leider unzufriedenstellend und die Frage, was das Licht nun ist, unbeantwortet.

Sicher ist nur, dass Smokelocke und Jack mit dem Erlöschen des Lichts ihre Unsterblichkeit verloren haben, sodass es zwischen ihnen zu einem epischen, wirklich grandios inszenierten Showdown kommt. Es ist alles dabei: Regen, Erdbeben, Klippen, Blitze, der ultimative Endkampf. Dass Kate hier letztlich mit einem coolen "I saved you a bullet" dafür sorgt, dass Smokelocke stirbt, ist ein toller Moment für den Charakter, der viele ihrer alten Fehler wieder wettmacht.

So spaltet sich die Gruppe ein letztes Mal. Jack will zurück zur Höhle und findet in Hurley einen treuen Unterstützer und Freund, während Ben aus seiner Loyalität zur Insel heraus handelt und Jack begleitet. Sawyer und Kate verabschieden sich von ihm, und letztere schafft es endlich, Jack ihre Liebe zu gestehen. Damit ist das Ende für Jack und Kate ebenfalls ein glückliches, auch wenn Kate Zeit ihres Lebens nie wieder mit Jack zusammen sein würde und erst nach ihrem Tod wieder auf ihn trifft. Während Sawyer und Kate es schaffen, gemeinsam mit Claire, Miles, Richard und Frank wegzufliegen, opfert sich Jack für die Insel und schließt damit seine immense Entwicklung, die er seit Staffel 1 durchlaufen hat, mit einem starken Moment ab.

"I died too."

Am Ende von "The End" stehen sich schließlich die Flashsideways und die Echtzeitereignisse auf wunderbare Weise gegenüber, denn während das Wiedersehen der Losties in der Kirche eine unglaublich schöne, glückliche Szene ist, so ist Jacks Tod auf der Insel voller bittersüßer Tragik. Spiegelbildlich zur ersten Szene der Serie sehen wir einen verletzten Jack, der durch den Bambuswald taumelt, schließlich auf den Boden sackt und sich mit Vincent an seiner Seite darauf vorbereitet, zu sterben. Doch dann sieht er das Ajira-Flugzeug über sich hinwegfliegen, lächelt glücklich... und lässt los. "Lost" gibt uns hier eine in jeder Hinsicht phänomenale Schlussszene, die den Kreis zur ersten Staffel perfekt schließt.

Was hat "The End" nun alles geleistet? Es hat jedem Charakter einen gebührenden Abschluss gegeben, die (fast immer) stringente Erzählung in einem äußerst spannenden Höhepunkt kulminieren lassen, die philosophischen Grundfragen, die die Serie immer getragen haben, auf interessante Weise weitergesponnen und beantwortet, und letztlich unheimlich packende 105 Minuten Fernsehunterhaltung geliefert. Natürlich haben auch die kritischen Stimmen ihre Berechtigung, denn ja, man kann die "einfache" Auflösung der Flashsideways bemängeln, das "Happy End" der Serie, das Stehenlassen vieler Fragen und Geheimnisse, das offene Ende des Finales. Doch trotz einiger Defizite ist das Finale letztlich ein imposantes und damit ein fantastisches Ende für eine fantastische Serie. Nach sechs Jahren voller Dramatik, Frustration, Momenten tiefer Traurigkeit und großer Freude, und einer wachsenden Faszination für die unglaublichen Mysterien der Insel, ist die letzte Klappe für "Lost" gefallen. Und auch wenn dieses Finale einige Mängel hatte: Würde ich zum 22. September 2004 zurückflashen, so würde ich zweifellos wieder mit Oceanic Air 815 mitfliegen.

Maria Gruber - myFanbase

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