The End of an Era
"Mad Men" im Wandel der Zeit

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Müsste man die Entstehungsgeschichte von "Mad Men" in lediglich zwei Worten zusammenfassen, so läge wohl der Ausdruck "schwere Geburt" nahe. Immerhin verging beinahe ein Jahrzehnt zwischen der anfänglichen Idee zur Serie und dem Zeitpunkt, als sie tatsächlich über die Fernsehbildschirme flimmern sollte.

Foto: Matthew Weiner, Mad Men - Copyright: AMC
Matthew Weiner, Mad Men
© AMC

Ihren Ursprung nahm die ereignisreiche Geschichte des heutigen Kritikerlieblings im Jahre 1999, als Serienschöpfer Matthew Weiner als unterforderter Drehbuchautor bei der Ted-Danson-Sitcom "Becker" tätig war und sich nach einer anspruchsvollen neuen Herausforderung sehnte. So kam es, dass er jede freie Minute neben seinem eigentlichen Job nutzte, um akribische Recherchen über die 1960er-Jahre anzustellen, die ihn seit jeher fasziniert hatten. 2001 brachte er seine gesammelten Erkenntnisse dann in Form eines Pilotskripts über die fiktive Agentur Sterling Cooper, die stellvertretend für die in den Sixties boomende Werbeindustrie entlang der New Yorker Madison Avenue steht, zu Papier. Das fertige Werk präsentierte Weiner stolz seinen Agenten und anderen Vertretern der Fernsehindustrie, doch die Reaktionen bewegten sich stets irgendwo zwischen höflicher Ablehnung und völliger Ignoranz. Immerhin öffnete ihm das Drehbuch aber Tür und Tor zu einem Autorenjob, um den ihn damals sicherlich so mancher Berufsgenosse beneidete: David Chase, seines Zeichens Schöpfer des revolutionären HBO-Mafiadramas "The Sopranos", war von Weiners "Mad Men"-Skript dermaßen angetan, dass er ihn im Vorfeld der fünften Staffel kurzerhand in den Autorenstab holte.

Foto: Jon Hamm, Mad Men - Copyright: AMC
Jon Hamm, Mad Men
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Hinter den Kulissen von "The Sopranos" sammelte Weiner wertvolle Erfahrungen, was die harte Arbeit an einem Qualitätsdrama anbelangt. Sein großes Ziel blieb jedoch nach wie vor die Umsetzung seiner eigenen Serienidee, weshalb er, als sich das Ende des damaligen HBO-Aushängeschilds abzeichnete, erneut auf die Suche nach Interessenten an "Mad Men" ging. Nachdem weder HBO noch Showtime noch FX bereit waren, dem Werbedrama eine Chance zu geben, landete das Pilotskript letztendlich auf Umwegen bei den Programmverantwortlichen von AMC, einem bis dahin weitgehend unerfahrenen Sender, was die Entwicklung von eigenständigen Serienformaten betrifft. Die Geschichte rund um Don Draper und Konsorten erschien dem Nischensender aber vielversprechend genug, um trotz beschränkter Mittel und fehlender Erfahrung einen Vorstoß in die oberste Serienliga zu wagen. AMC ging dabei sogar so weit, mangels Investoren den mehr als 3 Mio. US-Dollar teuren Pilotdreh aus der eigenen Tasche zu finanzieren. Lediglich eine Bedingung musste Weiner im Vorfeld aus inhaltlicher Sicht noch erfüllen: Dem Hauptcharakter sollte eine spannende Hintergrundgeschichte auf den Leib geschrieben werden, die den Zuschauer eine ganze Staffel lang bei der Stange hält. Binnen zwei Monaten leistete Weiner dem Wunsch folge, indem er ein längst verworfenes Drehbuch mit dem Titel "The Horseshoe" als Basis für einen neuen Handlungsbogen über Dick Whitman, die wahre Identität des Protagonisten Don Draper, heranzog. Beeindruckt gab AMC daraufhin grünes Licht und brachte den Stein - sieben Jahre nach Entstehung der Idee für "Mad Men" - endgültig ins Rollen.

Foto: Mad Men - Copyright: AMC
Mad Men
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Von diesem Moment an ging es Schlag auf Schlag, beginnend mit dem Casting für die Serie. Obwohl es im Vorfeld vereinbart war, für die Hauptrollen auf eher unbekannte Gesichter zu setzen, musste Weiner einiges an Überzeugungsarbeit leisten, um seine Wunschkandidaten, allen voran Jon Hamm, AMC gegenüber durchzusetzen. Kaum war diese Hürde genommen, gingen in den New Yorker Silvertop Studios innerhalb von zwei Wochen die Dreharbeiten für die Pilotfolge über die Bühne. Da die zweigeteilte finale Sopranos-Staffel zu dem Zeitpunkt pausierte, bekam Weiner von David Chase großzügigerweise dessen komplette Filmcrew für den Dreh zur Verfügung gestellt. Das Endprodukt war dermaßen überzeugend, dass sich in Form von Lionsgate TV auch endlich ein interessiertes Produktionsstudio für die restlichen Episoden von Staffel 1 fand. Weiner wandte sich derweil wieder "The Sopranos" zu, brachte die letzten Folgen unter Dach und Fach, und übersiedelte unmittelbar danach an die Westküste. In Los Angeles angekommen, trommelte er einen Autorenstab zusammen, holte mit Josh Weltman und Bob Levinson zwei etablierte Werbefachmänner als Berater an Bord und war persönlich in jedes noch so kleine Detail der weiteren Dreharbeiten in den Los Angeles Center Studios involviert. Noch während die Arbeit an den letzten Episoden von Staffel 1 in vollem Gange war, rührte AMC bereits kräftig die Werbetrommel für die Premiere von "Mad Men" und setzte dabei primär auf die Marke Weiner ("created by the Executive Producer of The Sopranos").

Foto: Mad Men - Copyright: AMC
Mad Men
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Am 19. Juli 2007 war es endlich so weit: "Mad Men" ging in den USA offiziell ins Rennen um die Gunst der Zuschauer, anfangs noch donnerstagabends. Knapp über eine Million Haushalte schalteten damals ein, um einen ersten Blick auf das neue Drama zu werfen. Dank einer gelungenen Mischung aus cineastischer Optik, cleveren Dialogen und famosem Schauspiel dauerte es nicht lange, bis die US-Kritikerlandschaft den Neustart zum Überraschungshit der damaligen TV-Season erklärte. Inhaltlich wurde in der ersten Staffel der Zeitraum von März bis November 1960 abgedeckt, wobei fiktive Handlungsstränge - vor allem die Enthüllung von Don Drapers wahrer Identität und Peggy Olsons rasanter Aufstieg von der Sekretärin zur Werbetexterin - mit realen Ereignissen wie der Präsidentschaftswahl zwischen Kennedy und Nixon verknüpft wurden. In den Feuilletons und bei so manchem US-Modelabel löste dies eine veritable Nostalgiewelle aus, denn plötzlich schienen die Sixties wieder in aller Munde zu sein. Honoriert wurde das stimmige Gesamtkunstwerk sowohl mit einem Golden Globe als auch mit einem Emmy in der Kategorie "Bestes Drama". Das Staffelfinale hatte Weiner auf Wunsch von AMC übrigens kurzfristig umgestaltet: War ursprünglich ein versöhnliches Ende für die Drapers geplant, so findet Don am Thanksgiving-Wochenende 1960 letztlich ein leeres Zuhause in Ossining vor, untermalt von Bob Dylans "Don't Think Twice, It's Alright".

Foto: Mad Men - Copyright: 2008 Frank Ockenfels/AMC
Mad Men
© 2008 Frank Ockenfels/AMC

Das Medienecho in Bezug auf "Mad Men" war nach dem ersten Emmy-Gewinn enorm, ebenso wie das Interesse am weiteren Verlauf der Handlung. Die Neugier der Fans wurde jedoch erst am Abend des 27. Juli 2008 gestillt, als der sehnsüchtig erwartete Auftakt der zweiten Staffel ausgestrahlt wurde, und zwar auf dem prestigeträchtigen Sendeplatz am Sonntagabend. Davor hatte Weiner penibelst darauf geachtet, dass keinerlei Details an die Öffentlichkeit dringen, darunter die Tatsache, dass Staffel 2 - nach einem Zeitsprung von ungefähr 15 Monaten - am Valentinstag 1962 ansetzte. Bewusst wurden die Zuschauer außerdem über einige offene Aspekte aus Staffel 1 im Unklaren gelassen, insbesondere den Verbleib von Peggys Baby, der sich erst mehrere Folgen (und eine falsche Fährte) später aufklärte. Die Spoiler-Paranoia Weiners wurde infolgedessen zu einem regelrechten Markenzeichen der Serie und sorgte vor allem in Form der kryptischen, nichtssagenden Episodenteaser für Amüsement unter den Fans. Handlungstechnisch wurde einerseits der Agenturalltag bei Sterling Cooper konsequent fortgeführt, mit John Slattery als neuem Mitglied im Hauptcast und Duck Phillips (Mark Moses) als verbittertem Rivalen von Don. Andererseits wurde die fragile Draper-Ehe verstärkt in den Vordergrund gerückt und Anna Draper als enge Vertraute aus Dons Vergangenheit enthüllt. Den dramatischen Höhepunkt erreichte Staffel 2 vor dem Hintergrund der Kubakrise sowie der geplanten Übernahme der Werbeagentur durch den britischen Rivalen PPL im Oktober 1962. Belohnt wurde die Tatsache, dass das hohe Niveau der Serie mühelos gehalten werden konnte, mit dem zweiten Emmy-Sieg in Folge.

Foto: Mad Men - Copyright: Frank Ockenfels/AMC
Mad Men
© Frank Ockenfels/AMC

Nach dem Ende der zweiten Staffel kam es erstmals zu gröberen Unstimmigkeiten zwischen Weiner, dem Sender und Lionsgate. Während ersterer nämlich sowohl in kreativer als auch in finanzieller Hinsicht bessere Vertragsbedingungen forderte, verlangte AMC, die Episoden in Zukunft um zwei Minuten zu kürzen, um mehr Werbung senden zu können. Letztlich konnte allerdings eine Einigung gefunden werden, und "Mad Men" kehrte in gewohnter Länge zurück, wenn auch fast einen Monat später als sonst, und zwar am 16. August 2009. Die Anhänger der Serie ließen sich davon nicht beirren und zelebrierten den Auftakt der dritten Staffel mit einer großen Premierenparty auf dem Time Square in New York. Längst hatte sich die Serie einen Fixplatz unter den Qualitätsgaranten der amerikanischen Fernsehlandschaft erobert, nicht zuletzt dank ihrer großartigen Frauencharaktere, die man in vielen Vergleichsformaten vergeblich suchte. Dieser Umstand spiegelte sich auch hinter den Kulissen wider: Sieben der neun Autoren der dritten Staffel waren Frauen - ein im Branchenschnitt durchaus ungewöhnliches Verhältnis. In puncto Handlung ebnete das dritte Serienjahr, welches die Zeit vom Frühjahr bis zum Dezember 1963 abdeckt, den Weg für große Veränderungen, sowohl in beruflicher Hinsicht (spontane Gründung der neuen Werbeagentur SCDP) als auch auf privater Ebene (endgültiges Aus der Draper-Ehe). Und obwohl die Konkurrenz wahrlich nicht schlief und AMC in Form von "Breaking Bad" längst einen zweiten, hauseigenen Kritikerliebling am Start hatte, saß "Mad Men" auch im dritten Jahr fest auf dem Emmy-Thron.

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