Bewertung
Daina Reid

Run Rabbit Run

Foto: Sarah Snook & Lily La Torre, Run Rabbit Run - Copyright: Sarah Enticknap/Netflix
Sarah Snook & Lily La Torre, Run Rabbit Run
© Sarah Enticknap/Netflix

Inhalt

Als Frauenärztin kennt sich Sarah (Sarah Snook) bestens mit dem Kreislauf des Lebens aus, doch auf einmal muss sie feststellen, dass sich ihre siebenjährige Tochter Mia (Lily LaTorre) sehr seltsam verhält und auf einmal behauptet, Alice zu heißen. Sarah muss sich ihren eigenen Überzeugungen und vor allem einem Geist der Vergangenheit ganz neu stellen.

Kritik

Horror ist das Genre, was ich wirklich nur auf Armeslänge an mich heranlasse und dann auch unter der strikten Bedingung, alles nur am helllichten Tag zu sehen. Als ich "Run Rabbit Run" bei Netflix entdeckt habe, war ich aber gleich irgendwie fasziniert, was auch daran liegen mag, dass für die Hauptrolle ursprünglich Elisabeth Moss vorgesehen war, die aus terminlichen Gründen das Projekt aufgeben musste. Stattdessen wurde Sarah Snook gecastet. Das hat mich so gepackt, denn Moss ist eine schon mehrfach ausgezeichnete Dramaschauspielerin, die vor allem mit "The Handmaid's Tale - Der Report der Magd" Eindruck hinterlassen hat. Snook ist dank des riesigen Erfolgs von "Succession" aber auch eine echte Hausnummer, die möglicherweise für die finale vierte Staffel auch mal solo ausgezeichnet wird. Das hat mir also sehr deutlich gezeigt, dass diese Rolle der Sarah unbedingt mit einer sehr fähigen Schauspielerin besetzt werden sollte. Sowas verrät einem dann doch deutlich, dass kein plumper Horrorfilm zu erwarten ist, der nur auf die Schreckensmomente setzt, sondern dass es eher ein psychologischer Horrorfilm oder vielleicht einfach nur Thriller ist.

"Run Rabbit Run" hat es von Anfang an geschafft, eine spezielle Atmosphäre zu erzeugen. Auch wenn der Film eigentlich mit einem freudigen Ereignis ansetzt, denn Mia feiert ihren siebten Geburtstag, liegt gleich etwas in der Luft, was sich nur schwer ignorieren lässt. Es sind viele Komponenten, die dazu beitragen. Es ist sicherlich vor allem die musikalische Untermalung, die einem stetig suggeriert, dass keine großen Freudenmomente zu erwarten sind. Es sind aber auch die Landschaftsaufnahmen von Australien, die immer durch die Autofahrten von Mutter und Tochter eingeblendet werden. Australien hat eine sehr vielseitige Vegetation anzubieten, aber für Horror und Thriller eignet es sich natürlich hervorragend, die endlosen Weiten zu zeigen, die aufgrund der trockenen Landschaft aber eher etwas Trostloses suggerieren. Man stellt sich dabei sofort selbst in dieser Umgebung vor, wie man dann auch noch die Musik im Ohr hat und es ist klar, da würde man auf Anhieb gerne verschwinden. Zuletzt trägt natürlich auch die Kinderdarstellerin LaTorre zu diesem Eindruck bei. An ihrem Geburtstag wirkt sie noch kindlich unbedarft, doch über Nacht scheint sich ein Schalter umzulegen. Es ist auch schwer zu beschreiben, wie LaTorre dann als Mia eine gewisse Gänsehaut erzeugt, denn es ist vor allem ihre stille Präsenz, die alles zu beobachten scheint und die dann auch immer fordernder wird. Dennoch ist diese Atmosphäre für mich wirklich gut ertragen zu gewesen, es hat was mit mir gemacht, aber groß erschreckt hat es mich nicht.

Bei "Run Rabbit Run" bin ich neben dieser gelungenen Atmosphäre schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass es ein Film ist, der keine Antworten geben will, sondern liebe viele Interpretationsmöglichkeiten anbieten möchte. Das hat umgekehrt zur Folge, dass die charakterliche Darstellung von Sarah und das Verständnis für ihre Denkweise eher im Verborgenen bleibt. Das macht die Bewertung dieses Films dann doch sehr komplex, weil beide Seiten ihre Vor- und Nachteile haben. "Run Rabbit Run" erzählt vor allem von Sarah und ihrem verborgenen Trauma, das sich beständig und hartnäckig an die Oberfläche kämpft, nachdem es jahrzehntelang ganz tief verborgen war. Mia ist für die Geschichte daher nicht als Person selbst wichtig, sie hat eigentlich nur eine Funktion. Wenn die Handlung dann so einseitig den Fokus auf eine Figur legt, dann ist es zumindest in Frage zu stellen, dass der Zugang zu Sarah so schwer zu erreichen ist. Hannah Kent ist mit dem Drehbuch bemüht, möglichst viel zu dem erlittenen Trauma im Verborgenen zu halten. Das ist durchaus verständlich, denn der Film hätte nicht funktioniert, wenn von Anfang an alle Karten auf dem Tisch gelegen hätten. So zeigt sich aber schnell, dass es schwer ist, Sarah wirklich zu greifen zu bekommen. Das wird auch dadurch verstärkt, dass der Film viele wiederholende Elemente hat, ohne dass bei Sarah scheinbar irgendwelche großen Zweifel entstehen. Sie flippt dann einmal aus, legt sich aber wieder abends zu Mia ins Bett oder lässt ihr sonst eine liebevolle Geste zuteil werden. Das ereignet sich aber wieder und wieder, ohne dass Mias verändertes Verhalten irgendeine Konsequenz hätte. Es ist auch augenscheinlich, dass Sarah nicht mit Pete (Damon Herriman), Mias Vater, von dem sie getrennt lebt, darüber spricht. Das ist dann tatsächlich doch ein nerviger Aspekt des Films, weil es in den eigenen Fingerspitzen kribbelt, etwas dagegen zu machen, aber Sarah tut nichts. Das ist dann ein wenig die Herausforderung, sie als Figur wirklich zu verstehen. Am Ende tut sich eine Erklärung auf, aber es löscht natürlich nicht den Weg dorthin aus.

Trotz des ganzen Unverständnisses für Sarahs Handlung zwischendurch, zumal ihr Verhalten irgendwann auch so impulsiv erscheint, dass Kindeswohlgefährdung durchaus ein Thema ist, ist sie natürlich fantastisch gespielt und das war ja im Grunde das, was ich mir auch erhofft habe. Snook spielt diese ganzen Facetten von Sarah sehr überzeugend und sie gibt mit ihrer Art natürlich auch Raum für die diversen Interpretationsmöglichkeiten. Verändert sich Mias Verhalten tatsächlich? Ist es eine Heimsuchung? Ist es nur Sarahs Imagination, die verrückt spielt? Was passiert überhaupt wirklich und was ist vielleicht auch nur eingebildet? Eindeutig ist eigentlich nur, dass Mias Geburtstag diesen Wendepunkt auslöst und dass eben der gefundene Hase eine große Symbolkraft ausstrahlt. Das war aber tatsächlich ein Punkt, der mich eher gestört hat. Man kann sich auch zu dem Hasen oder Kaninchen seine ganz eigenen Gedanken machen, natürlich, aber ich fand nicht, dass ein wirklicher roter Faden dazu zu erkennen war. Ich hatte mir auch zu der Vergangenheit eine Interpretationsmöglichkeit erhofft, was dann ausblieb. Man sieht also auch hier, dass der Film sich auf einem sehr schmalen Grat dessen bewegt, wo es zu viel Raum für Interpretationen gibt. Ich bin einfach eher ein Typ der Antworten. Der Film brauchte aber Spielraum, ich fand aber, er hat zu viel bekommen und nimmt dadurch wieder etwas Wirkung.

Fazit

"Run Rabbit Run" erzeugt von der ersten Minute an eine spezielle Atmosphäre, die sich konsequent durch den Film zieht und so kein Entziehen erlaubt. Die schauspielerische Leistung ist sehr beeindruckend, sowohl von Snook als auch die unheimliche Präsenz, die Nachwuchsstar LaTorre erzeugen kann. Jedoch ist es dem Drehbuch nicht gelungen, genau das richtige Maß an Antworten und Interpretationsspielraum zu liefern. Dadurch wirken manche Handlungen zu wiederholend und die Gefühlsebene bleibt so auch eher verschlossen. Dennoch insgesamt ein Einschalten wert.

Zum Netflix-Special auf myFanbase

Lena Donth - myFanbase
02.07.2023

Diskussion zu diesem Film