Bewertung

Review: #3.01 Sechs oder keiner

Foto: Claire Danes, Homeland - Copyright: 2013 Showtime
Claire Danes, Homeland
© 2013 Showtime

Die dritte Staffel "Homeland" dürfte sicher die werden, die endgültig über das weitere Ansehen der Serie im Pantheon der großen TV-Dramen entscheidet. War die erste Staffel noch fast durch die Bank weg sehr positiv aufgenommen wurden und hat sie nicht nur bei den Emmys abgeräumt, sondern auch angedeutet, dass hier vielleicht die nächste Generation an Dramaserien begründet wird, wurden mit der zweiten Staffel dann doch einige Zweifel deutlich. So gab es mit dem Verlauf dieses zweiten Jahres immer lauter werdende Kritik und Probleme, die durchaus auch schon vorher existent waren, wurden so aber noch mehr in den Vordergrund gespült. Dabei hat wohl jeder seinen eigenen Knackpunkt gehabt, an dem man das Vertrauen in die Serie, am Ende doch auf der richtigen Seite der Plausibilität zu landen, verloren hat. Für manche war dies schon das Überleben von Brody im ersten Staffelfinale, für andere der schlampige Mord am Schneider oder auch Danas Unfallflucht bis hin zum Mord per Herzschrittmacher oder der horrorfilmtauglichen Jagd auf Abu Nazir in den Tunneln. Für mich persönlich war es der viel zu starke Fokus auf die Liebe zwischen Carrie und Brody. Dabei hab ich gar nicht so sehr ein Problem damit, dass diese Gefühle als echt und stark präsentiert werden, im Gegenteil, die wahnsinnige Intensität dieser Verbindung hat immer einen besonderen Reiz der Serie ausgemacht. Problematisch wird es, wenn die eigentlich kühlen Köpfe hinter der Kamera beginnen, ebenfalls mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand zu denken und sich in dieses Paar verlieben. So lange man als Serie den nötigen Abstand besitzt, um zu erkennen das Carrie zwar in Brody verliebt ist, das aber noch lange nicht heißt, dass diese Beziehung wirklich etwas Romantisches oder ganz simpel etwas Gutes ist, habe ich kein Problem mit einer Erkundung der Beziehung. Wenn man mir dann aber klar machen will, dass ich die Dinge für bahre Münze nehmen soll, eben weil Brody Carrie liebt und sie irgendwie füreinander bestimmt sind, dann fühle ich mich doch wie im falschen Film.

Einige der Probleme, die den zweiten Teil der vorangegangenen Staffel belasteten, hat man sicher erkannt, so ist es ein gutes Zeichen, dass Brody in der ersten Episode komplett abwesend ist. Ich bin wirklich froh, dass wir hier nicht noch einen Nebenhandlungsstrang mit den Abenteuern von Nicholas Brody auf der Flucht zu sehen bekommen, aber dennoch hat man mit dieser Premiere meine großen Bedenken leider nicht ausräumen können. Zumal ja Damian Lewis auch weiterhin im Hauptcast verbleibt. In manchen Belangen sind sogar einige neue Sorgen dazugekommen. Denn was mir in dieser Episode komplett gefehlt hat, war irgendein Bewusstsein für die tatsächlichen Auswirkungen des Geschehens und in Bezug darauf die moralische Verantwortung unserer Protagonisten für die vorgefallenen Dinge.

Lassen wir aber erst einmal Revue passieren, was passiert ist. Die (fiktive) USA ist hier Opfer eines fatalen Terroranschlags geworden, der 219 Menschen das Leben gekostet hat, darunter die komplette Führungselite der CIA. Das wäre der bedeutendste Terroranschlag für die USA nach dem 11. September, noch dazu auf eigenem Boden. Das Land stände unter solchen Umständen unter Schock, davon fehlt mir in dieser Episode leider jegliches Gefühl, die Tragweite dieses Dramas kommt in meinen Augen viel zu kurz. Dazu kommt, dass hier die Geschichte durch einen vom Senat eingesetzten Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden soll, der wie es zumindest angedeutet wird, wohl das Ziel hat, die CIA aufzulösen, bzw. zumindest deren Daseinsberechtigung in Zweifel zu ziehen. Und an der Stelle beginnen meine argen Zweifel. Die CIA ist also direkt Opfer eines von ausländischen Terrorzellen geplanten Angriffs geworden und die Reaktion der Regierung ist es, die CIA selbst abschaffen zu wollen? Wirklich, ist das allen Ernstes das Dilemma, um was ich mir Sorgen machen soll? Man muss sich einmal verdeutlichen, dass es in den USA ganze 16 voneinander unabhängige Geheimdienste gibt und gerade nach einer solchen Attacke sind die Reflexe doch eigentlich eher derart, dass nach mehr Sicherheit und damit auch mehr geheimer Ermittlung verlangt wird. Selbst wenn die Geheimdienste direkt als Quelle von enormen Ermittlungspannen gelten, werden diese doch nie von Regierungen in Frage gestellt, wenn dann doch meist von Organisationen, die eben außerhalb der führenden Strukturebenen stehen. Selbst die direkte politische Konkurrenz wagt sich in der Wirklichkeit nie an diese heilige Kühe, da mit einer in Frage Stellung eines derart essentiellen Geheimdienstes auch immer in gewisser Weise die Systemfrage mitschwingt. Wir brauchen nur so weit zu schauen, was sich hier bei uns in Deutschland der Verfassungsschutz in Sachen NSU alles erlauben konnte, ohne ernsthaft in Existenzängste kommen zu müssen.

Und "Homeland" möchte uns nun also als Zuschauer vormachen, die Reaktion der USA wäre es, nach einer solchen Attacke die CIA abschaffen zu wollen? OK, soweit so unglaubhaft auf elementarer Ebene. Aber ich soll als Zuschauer zumindest nach jetzigem Stand darauf hoffen, dass Saul und die CIA als die Sieger vom Platz gehen? Da tun sich bei mir doch wirklich große Sympathielücken auf, was ja nicht an Saul liegt, aber ganz viel damit zu tun hat, dass mir hier an keiner Stelle irgendwelches Unrechtsbewusstsein vermittelt wurde. Zwar können weder Saul noch Carrie als Individuen direkt etwas für den Anschlag, aber aufgrund der Verkettung der Umstände gibt es da durchaus einige Fragen zu klären. Wozu ein unabhängiger Untersuchungsausschuss durchaus ein probates Mittel wäre. Aber diese Möglichkeit wird uns als Zuschauer ja gar nicht präsentiert. Wir lernen die Befrager rund um Senator Lockhart als gnadenlos und kalt unseren "Helden" gegenüber kennen, wie sie direkte Angriffe ausüben, die die Protagonisten auf persönlicher Ebene treffen sollen. Dass diese Fragen aber eben ihre Berechtigung haben, erkennt leider keiner von ihnen an. Stattdessen ist sogar Saul damit beschäftigt, einzig das Dasein der CIA als Institution zu retten. Nicht das Land zu schützen, nicht den Anschlag wirklich aufklären, sondern einzig und allein die CIA als solche zu rechtfertigen. Er zeigt zwar in seiner typisch ruhigen, bedächtigen Art, dass er mit seiner Entscheidung, die Drahtzieher des Anschlags auszuschalten, ringt, aber die Tragweite einer solchen Aktion, die moralischen Fragen, die damit verknüpft sind, werden mir viel zu sehr unter den Teppich gekehrt. Aus meiner Sicht als informierter Bürger eines Staates, der ähnlich aufgebaut ist wie die USA, wäre eine derartiger Untersuchungsausschuss, wie er hier gezeigt wird, geradezu wünschenswert und die aktuelle politische Lage zeigt ja leider, dass die in Wahrheit existierenden Gremien ja eben gerade keine wirkliche Macht haben, am Status Quo etwas zu ändern. Vielleicht spielt hier der Mentalitätsunterschied zu den US-Bürgern eine Rolle, wenn mir dieses Szenario so bitter aufstößt. Zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls fühle ich mich komplett außerhalb der Gefühlswelt der Serie. Es wäre zumindest für mich absolut elementar, dass sich der Ausschuss nicht als der Staffel-Bösewicht herausstellt. Und vor allem muss die Serie deutlich machen, dass sie dessen Fragen als berechtigt akzeptiert. Sonst hat man mich als Zuschauer definitiv verloren.

Carrie selbst hat in dieser Episode zwar auch etwas wie mit ihrem Gewissen zu kämpfen, sie redet sich anscheinend ein, dass ihre Medikamente für ihr mangelndes Urteilsvermögen verantwortlich sind, gleichzeitig beharrt sie aber darauf, dass Brody definitiv unschuldig ist. Das geht für mich alles noch nicht so richtig zusammen, ich hoffe wirklich, dass man der Geschichte schnell etwas mehr Tiefe verleiht, denn leider spult man bei ihr gerade so etwas wie die Greatest Hits des destruktiven Verhalten der Carrie Mathison ab. Dazu gehört viel Alkohol, bedeutungsloser Sex, die Unfähigkeit auf gute Ratschläge zu hören, aber auch die Tatsache, dass sie sich mit ihrer Beziehung zu Brody, die nun einmal enorm kompliziert und durchaus auch sehr selbstzerstörerisch war, überhaupt nicht auseinander setzt. Vielleicht befinden wir uns bei all diesen Dingen erst am Anfang der Geschichte und die dritte Staffel wird sich nach und nach mit den komplexen Themen, die hinter den Dingen stehen, auseinandersetzten. Aber gerade bei "Homeland" war das bisherige Tempo durchaus immer sehr hoch und man hat mit eigentlich nie lange gewartet, in die Tiefe zu gehen. Da läuten bei mir doch enorm die Alarmglocken, an wie vielen Stellen man von uns als Zuschauer erwartet, uns der Moral der Serie einfach anzuschließen.

Exemplarisch für diese mittlerweile abhanden gekommene Tiefe steht für mich die Actionszene aus der Mitte der Episode, in der Peter Quinn als Teil eines weltweiten Killerkommandos damit beauftragt ist, auf Sauls Befehl hin einen der Strippenzieher des Anschlags zu ermorden. Früher einmal hat es "Homeland" ausgezeichnet, dass die gegnerischen Terroristen meist keine gesichtslosen Marionetten waren, die irgendjemand aus dem Hut zauberte, damit man sie dann von unseren Helden gejagt und zur Strecke gebracht werden konnten. Die Gegner waren Charaktere mit eigenen ganz spezifischen Eigenschaften. Hier sind es aber schlichte Platzhalter, die man eben ausschalten muss, damit die CIA einen Sieg erringen kann. Und die Art und Weise, wie Peter Quinn einerseits ganz allein ein hoch gesichertes Gebäude erst infiltriert und dann ohne Probleme das Ziel ausschaltet, ist einfach lächerlich. Wir sind doch hier nicht bei James Bond? Und dann inmitten all dieses vollkommen übertriebenen Heldentums muss Quinn noch damit konfrontiert werden, dass er trotz aller guten Vorsätze ein Kind erschossen hat? Tut mir leid, aber an der Stelle hätte ich fast laut losgelacht. Was sollte denn bitte das? Eine Prise moralisches Dilemma, um unser Gewissen anzuregen, aber auch nicht zu sehr, weil es Quinn eben leid getan hat? Reichen denn gefühlte zehn Tote allein bei Quinn vor Ort nicht aus, um unser Gewissen anzusprechen? Diese ganze Szene war jedenfalls derart übertrieben und auf erzählerischer Ebene derart stümperhaft und manipulativ, dass sie in einer Serie, die mir weniger am Herzen liegen würde, jedenfalls zum sofortigen Abbruch geführt hätte.

So habe ich aber noch ein klein wenig Hoffnung, dass man vielleicht doch im Verlaufe der Staffel in die moralischen Untiefen der Verantwortung der CIA, in Carries Dilemma in Bezug auf Brody und ihre Ermittlungen, oder irgendein Thema von Relevanz eintauchen wird. Das, was man bisher abliefert, ist ein 08/15- Thriller mit guten Darstellern, ohne ein Argument abzuliefern, eine der wirklich guten Dramen zu sein.

Auch die Tatsache, dass man sich weiterhin auf die Familie Brody konzentriert, die nun natürlich mit den Auswirkungen der Tatsache zu kämpfen hat, dass Brody als Terrorist und Verbrecher gesucht wird, bleibt für mich in ihren guten Vorsätzen stecken. Ich finde es ein wirklich spannendes Thema und ich halte sowohl Morena Baccarin als auch Morgan Saylor für mehr als fähig, dieses schwierige Dilemma glaubwürdig darzustellen. Bisher fehlt mir dort aber ebenfalls die wirkliche Tiefe und Tragweite der Situation. Zwar hat Dana wohl einen Selbstmordversuch begangen, da wir uns dem aber erst dann widmen, als Dana wieder aus der Therapie entlassen wird und wir niemals ihren Standpunkt zur Geschichte hören, hat man da noch nicht wirklich ein Gefühl dafür, wie es ihr mit all dem Wissen um ihren Vater geht. Und das wir uns bei ihrer schwieriger Situation schon wieder mit einer Jungsgeschichte herumschlagen müssen, ist geradezu frustrierend. Da gäbe es so viel zu erkunden, wie steht Dana zu Brodys Schuld oder Unschuld, wie steht es um ihr Verhältnis zu Jessica, wie geht sie mit der Außenwelt um. Und alles, was wir wirklich sehen, ist wie sie mit einem Jungen Nacktbilder am Handy austauscht? Da fehlen mir ehrlich gesagt die Worte. Jessicas Dilemma und ihre Art damit umzugehen, gefällt mir da schon ein klein wenig besser, besonders ihr Pragmatismus. Auch dass man Dinge wie die finanziellen Sorgen der Familie anspricht, ist ein positives Zeichen. Aber davon braucht es doch noch viel mehr von Bedeutung, damit es wirklich eine Wirkung entfalten kann.

Die Premiere der dritten Staffel hat mich also, wie man unschwer meinem Text entnehmen kann, ziemlich enttäuscht zurückgelassen. Sie konnte meine zahlreichen Sorgen um den weiteren Verlauf der Serie kaum zerstreuen, im Gegenteil, es sind neue dazugekommen. Aber mit aller positiver Gedankenkraft hoffe ich darauf, dass die meisten von mir angesprochenen Mängel in den nächsten Folgen thematisiert werden und sich nicht alles zum Schlechten entwickelt. So gebe ich mit Bauchschmerzen 5 Punkte, in der Hoffnung, dass mein Pessimismus unbegründet ist.

Cindy Scholz - myFanbase

Die Serie "Homeland" ansehen:


Vorherige Review:
#2.12 Wieder im Wald
Alle ReviewsNächste Review:
#3.02 Die Spur des Geldes

Diskussion zu dieser Episode

Du kannst hier oder in unserem Forum mit anderen Fans von "Homeland" über die Folge #3.01 Sechs oder keiner diskutieren.