Bewertung
Tobias Lindholm

The Good Nurse

Foto: Eddie Redmayne & Jessica Chastain, The Good Nurse - Copyright: JoJo Whilden / Netflix
Eddie Redmayne & Jessica Chastain, The Good Nurse
© JoJo Whilden / Netflix

Inhalt

Amy (Jessica Chastain) ist eine leidenschaftliche Krankenschwester und alleinerziehende Mutter, die immer die Nachtschicht übernimmt, um mehr Zeit mit ihren Töchtern Maya (Devyn McDowell) und Alex (Alix West Lefler) zu haben. Gleichzeitig hat sie auch noch eine schwerwiegende Herzerkrankung, die sie dazu zwingt weiterzuarbeiten, damit die Krankenversicherung irgendwann greift. Dennoch liebt sie ihren Job und bringt für ihre Patienten auch in der härtesten Schicht noch Empathie auf. Deswegen versteht sie sich mit dem neuen Kollegen Charlie (Eddie Redmayne) auch hervorragend, denn er scheint aus einem ganz ähnlichen Holz geschnitzt zu sein. Er findet auch ihre Erkrankung heraus und unterstützt sie nur noch mehr. Deswegen trifft es Amy hart, als der Verdacht gegen Charlie aufkommt, dass er bewusst Tode von Patienten herbeiführt. Doch sie will auch Gerechtigkeit und schließt sich mit der ermittelnden Polizei zusammen, auch wenn es eine Gefahr für sie selbst und ihre Kinder ist.

Kritik

Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich die deutsche Eigenproduktion "Das weiße Schweigen" mit Julia Jentsch und Kostja Ullmann in den Hauptrollen gesehen habe. Die Parallelen zu "The Good Nurse" sind groß, denn beide Filme beruhen auf wahren Fällen, spielen im Gesundheitssystem, wo jeweils der Pfleger durch unzulässige Medikamentengabe Patiententode herbeigeführt hat, wo es durchaus gewisse Verdächtigungen gegeben hat, doch nie jemand gehandelt hat, bis zwei Frauen mutig genug waren, Licht ins Dunkel zu bringen. Für mich ist der größte Unterschied zwischen den beiden Filmen die Motivation des Täters, denn in "Das weiße Schweigen" war das sehr offensichtlich. Pfleger Rico (der auf dem Fall Niels Högel beruht) hat Medikamente gespritzt, um Kammerflimmern herbeizuführen und sich dann als Retter in der Not aufzuspielen, indem er immer der erste am Krankenbett war, um die Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten. Oft genug hat er die Patienten wiedergeholt, aber oft zu viel hat er sie auch verloren. In "The Good Nurse" ist das Motiv undurchsichtig und das gilt auch für den wahren Fall, da Charles Cullen sich nie definitiv dazu geäußert hat. Das lässt "The Good Nurse" größeren Schauspiel, was dann auch wieder die Besetzung der Hauptrollen noch einmal wichtiger macht, denn die Aufgabe ist klar: keine definitive Lösung anbieten, aber viele mögliche Lösungen und das geht eben nur über großes schauspielerische Talent, wo das Gesamtpaket mehr sagt als die gesprochenen Worte.

In dem Sinne wurde Redmayne natürlich genau richtig besetzt. Er hat sein Talent als Kritikerliebling schon oft genug bewiesen und als Charles Cullen gibt er seiner Figur unheimlich viele Facetten mit, die zwischen absolutem Schrecken und tiefem Mitgefühl schwanken. Charlie, wie er immer genannt werden wollte, hat etwas an sich, was schon zahlreichen Serienkillern vor und nach ihm in die Karten gespielt hat, denn er hat ein schmächtiges und harmloses Aussehen, so dass ihm die Mehrheit der Menschheit wohl intuitiv nicht zutrauen würde, einer Fliege etwas zuleide tun zu können. Wenn man sich mit dem Inhalt des Films im Vorfeld ein wenig auseinandergesetzt hat, dann wird schnell deutlich, hier geht es um das Wiedergeben einer wahren Geschichte und nicht darum, die schrecklichen Taten als spannenden Thriller zu inszenieren. In dem Sinne ist von Anfang an – und der Film beginnt im Jahr 1996 – klar, dass Charlie Menschen tötet. Schon diese Szene, wo er ans Krankenbett eilt, um die Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten, um dann zurückzutreten, wenn andere übernehmen, verursacht Gänsehaut, denn er schaut gerade den Folgen seiner eigenen Tat zu. Nach einem Zeitsprung von sieben Jahren fängt Charlie dann in dem Krankenhaus an, wo Amy arbeitet. Auch hier nistet sich das Unbehagen zunächst ein, denn es sind eben sieben Jahre vergangen und man kann sich ausmalen, dass Charlie in dieser Zeitspanne fleißig war.

In dem Moment, in dem Charlie aber richtig mit Amy zu interagieren beginnt, wandelt sich das Bild ein wenig, denn er erweist sich als empathisch und sehr hilfsbereit und im Grunde tun sich auch keine Zweifel auf, dass er das nur vorgibt. Seine Persönlichkeit wirkt aber noch stärker, weil Amy in einer außergewöhnlichen Situation steckt, denn sie ist herzkrank und wird irgendwann ein neues Herz brauchen. Doch da sie alleinerziehend ist, ist sie auf ein Einkommen angewiesen und vor allem ist sie darauf angewiesen, es noch vier Monate weiter zu schaffen, damit sie dann ein Jahr angestellt und Ansprüche auf die Krankenversicherung hat. Es ist schon hart, wenn man die Szenen sieht, in denen Amy ihre Patient*innen alleine umlagert und danach sich immer erstmal zurückziehen muss, um die Anstrengungen abflauen zu lassen, bevor ihr das Herz regelrecht aus der Brust springt. Bislang ist es gut gelungen, ihren Zustand vor den anderen zu verbergen, doch Charlie kommt schnell dahinter und ist nicht als unterstützend. So sehr wie die beiden aneinanderwachsen, so sehr will sich auch der oder die Zuschauer*in einreden, dass es doch ein echt ehrlicher Kerl ist. Parallel passieren aber diese Tode auf der Station und das ruft einem immer wieder in Erinnerung, was Charlie treibt und man studiert ganz genau seine Mimik, als die ganze Belegschaft einberufen wird, nachdem es den auffälligen Tod einer jungen Patientin gegeben hat und diese ist einfach nur undurchdringlich.

Auch wenn die Story an sich sehr simpel ist, so hängt man fasziniert vor dem Bildschirm, weil die Ernsthaftigkeit der Situation fesselt, aber auch weil man verstehen will, was nicht verstanden werden kann. Alles gipfelt schließlich in die Endphase des Films, in der Amy sozusagen undercover geht. Charlie weiß nicht, dass sie es war, die für die beiden Ermittlungsbeamten Danny Baldwin (Nnamdi Asomugha) und Tim Braun (Noah Emmerich) entscheidende Hinweise geliefert hat und nun nur noch mehr braucht, damit auch Staatsanwalt Ellis (Shaun O'Hagan) agieren kann. Auch wenn man weiß, dass Charlie kein Täter ist, der in dem Sinne 'selbst Hand anlegt', dennoch war es eine schaurige Situation, wenn Amy gleich mehrfach auf ihn getroffen ist, wohlwissend, was er tut und dennoch seine Freundin spielen musste. Als Charlie einmal auf den Tisch haut, um kurz danach aber weiterzumachen, als wäre nie etwas gewesen, gruselig beeindruckend. All diese aufgestauten Emotionen werden in eine finale Befragung von Charlie mit hineingetragen und spätestens hier spielen Redmayne und Chastain alles aus, was sie können, denn Amy ist die Einzige, die Charlie wirklich packen kann. Wie verstört und in sich versunken er ist, wurde schon in dem ebenso beeindruckenden Verhör durch Baldwin gezeigt, aber hier hat der Polizist unnachgiebig agiert, Amy punktet aber mit Empathie. Vielleicht ist genau das bei ihm angekommen, weil es eine Eigenschaft war, die er auch ausgestrahlt hat und vielleicht selbst viel zu wenig erfahren hat. Zudem hat man deutlich gemerkt, dass Amy hin- und hergerissen war, weil sie einerseits Angst und Abscheu verspürt hat, aber andererseits auch sich immer wieder daran erinnert hat, was er für die Patienten, für ihre Familie und für sie sich selbst richtig gemacht hat. Genau das ist auch die Emotion, die bei uns als Zuschauer*innen zurückbleibt, denn er musste verurteilt werden, aber es ist nicht so, als hätte man hinter die Fassade eines Monsters geguckt, auch wenn die vermutliche Opferanzahl eine andere Sprache spricht.

Auch wenn "The Good Nurse" auf einer wahren Gegebenheit beruht und die Krankenschwester auch selbst in die Produktion involviert war, so ist es eine fiktionalisierte Version und das merkt man in einigen Situationen, weil die Rollen sehr klar verteilt sind. Amy als die Heldin, Linda Garran (Kim Dickens), die Krankenhauschefin als die Antagonistin und alle anderen irgendwo dazwischen, aber das habe ich nicht allzu kritisch gesehen, denn man hat der Geschichte dennoch ihren Wahrheitsgehalt angemerkt. Auch wenn es übertrieben erscheinen mag, wie viele Krankenhäuser Charles Cullen bei seinen Taten zugesehen haben, so braucht man nur die deutsche Parallelgeschichte hinzuziehen und es wird augenscheinlich, dass selbst das Absurdeste auf einmal wahr sein kann. Aus diesem Grund finde ich einen solchen Film auch so wichtig und da wir hier auch das das Thema Gesundheitswesen haben, schließe ich gerne an Dopesick von Hulu an, wo es um einen pharmazeutischen Skandal geht, der aber mit den Vergehen in den Krankenhäusern Hand in Hand geht. Ich will hier wahrlich nichts aufwiegeln, aber solche Filme zeigen eben auch deutlich, dass man sehr bewusst durchs Leben gehen muss. Solche Filme sollen auch keine Vorurteile initiieren und verstärken, aber es ist nur ein Beispiel von vielen, dass man keinesfalls wegsehen darf.

Fazit

"The Good Nurse" mag mit starken fiktionalen Elementen aufgearbeitet worden sein, aber die Begebenheit hinter diesem Film ist sehr, sehr echt und es ist wichtig, dass solche Ereignisse aufgearbeitet werden. Dazu sind die beiden wichtigsten Rollen schauspielerisch grandios besetzt worden und es entsteht eine fast schon schaurige Atmosphäre angesichts der Tatsache, dass die Taten und die Wesensarten von Charles Cullen nicht zusammen zu passen scheinen. Genau das unterstreicht aber, wie sensibel solche Thematiken sind und wie wichtig es ist, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen.

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Lena Donth - myFanbase
30.10.2022

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