Bewertung

Frau im Dunkeln

Foto: Olivia Colman, Frau im Dunkeln - Copyright: 2021 Netflix, Inc.
Olivia Colman, Frau im Dunkeln
© 2021 Netflix, Inc.

Inhalt

Leda (Olivia Colman) ist eine geschiedene Frau, die ihrem Job als Professorin für italienische Literatur voll ergeben ist. Als ihre beiden erwachsenen Töchter nach Kanada ziehen, um dort in der Nähe ihres Vaters zu wohnen, sieht sie sich mit Einsamkeit konfrontiert. Um dem Gefühl zu entkommen, versucht Leda in Griechenland, in einer kleinen Küstenstadt, Ablenkung und Erholung zu finden. Doch nach einigen Tagen trifft eine amerikanische Großfamilie ein und mit der Ruhe ist es vorbei. Als plötzlich ein Kind verschwunden ist, löst das in Leda Erinnerungen aus, die sie vergraben dachte, und so muss sich den Entscheidungen stellen, die sie selbst als junge Mutter getroffen hat.

Kritik

Die italienische Autorin Elena Ferrante, die seit den 1990er Jahren erfolgreich als Romanautorin ist, schreibt oft intensive und intime Porträt über Frauenfiguren, kein Wunder also, dass sie beispielsweise für ihren Roman "Frau im Dunklen" (Original: "La figlia oscura") früh angekündigte, diesen nur unter der Regie einer Frau verfilmen zu lassen. Gesagt, getan: die US-amerikanische Schauspielerin Maggie Gyllenhaal, die sich nach einer langjährigen Karriere vor der Kamera zunehmend hinter der Kamera betätigt, hat den Zuschlag erhalten. Sie selbst hat das Drehbuch adaptiert und dann im Regiestuhl Platz genommen, was wohl ganz in Ferrantes Sinne gewesen sein wird. Sie hatte nun die Aufgabe, die anspruchsvolle Vorlage für die große Leinwand zu inszenieren und hat sich dafür die Unterstützung von Olivia Colman geholt, die die Hauptrolle der Leda bekleidet. Eine wirklich weise Entscheidung, denn wenn man die letzten Jahre bedenkt, so zeigt sich, dass inzwischen alles zu Gold wird, wo die Britin beteiligt ist. Das zeigt sich auch hier wieder, weil es in diesem intimen Frauenporträt wenig um Dialoge geht, sondern viel mehr um das, was abseits davon transportiert wird und da braucht man einfach eine schauspielerische Wucht wie Colman, die mit ganz wenig doch so viel erzählt.

"Frau im Dunklen" (Original: "The Lost Daughter") ist insgesamt ein Film, der viel über die Zwischenebenen beiträgt. Oft sind es nur visuelle Momente, die dem Film eine neue Wendung mitgeben, was definitiv eine Kunstform für sich darstellt. Dennoch lassen sich deutlich zwei Ebenen herausarbeiten, die den Film speziell charakterisieren. Zunächst haben wir ein generelles Frauenbild. Leda ist Akademikerin, die jung mit ihrem Ehemann Joe (Jack Farthing) die zwei Töchter Bianca (Robyn Elwell) und Martha (Ellie Mae Blake) bekommen hat, doch mit dem Karrierestreben hat das nicht immer übereingepasst. Aber Leda ist eine Frau, die sich nicht einfach ihrem Schicksal ergibt, sondern für ihren Erfolg kämpft. Hier kommt gleich der zweite Aspekt hinzu, denn auch die Mutterrolle wird beleuchtet. Die Diskussion, ob eine früh wieder arbeitende Mutter eine Rabenmutter sei, ist nicht neu und wird leider immer wieder geführt. Aber das dies keine pauschale Aussage ist, die man treffen kann, sollte völlig klar sein, denn es gibt auch Frauen, die sich auf ein Hausfrauendasein einlassen und dennoch keine besseren Mütter sind. Deswegen wird hier das klassische Bild einer Mutter auch beleuchtet, denn es wird schnell deutlich, dass Leda es nicht spielerisch leicht geschafft hat, beide Rollen unter einen Hut zu bekommen und sich daher entscheiden musste.

In der Gegenwart sehen wir eine Leda, die zwar in sich zu ruhen scheint, aber unter der Oberfläche brodelt es aus mehreren Gründen. Wir erleben eine einsame Frau, die mit fast 50 die harte Lektion gelernt hat, dass ihre Entscheidung für die Karriere ihre Kinder von ihr entfremdet hat. Ihre Karriere hat sie zwar immer noch, doch das füllt sie alleine nicht mehr aus. Hinzukommt, dass sie auch nicht mehr die junge Leda ist, die ihren Professor Hardy (Peter Sarsgaard) an der Universität verführen konnte und rauschende Nächte verbracht hat. Sie ist eine langsam alternde Frau, die gemäß dem Titel zunehmend in die Dunkelheit übertritt und mehr und mehr verschwindet. Auch wenn Leda nach Griechenland nicht aufgebrochen sein wird, um wieder alte Zeiten aufleben zu lassen, so sagt sie auch nicht nein, als in dem (noch) leeren Küstenort zunächst die Aufmerksamkeit von Vermieter Lyle (Ed Harris) und Strandaufseher Will (Paul Mescal) ganz alleine bei ihr zu liegen scheint. Man merkt, dass Leda flirtet, doch es ist oft unbeholfen und aus ihrer Sicht wohl auch falsch empfunden. Als dann die amerikanische Familie mit griechischen Wurzeln, die in den Urlaubsort zudem auch Geschäftskontakte pflegt, einfällt, fällt zunehmend ins Auge, dass Leda keine Frau mehr ist, die im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und alles um den Finger wickeln kann. Sie wäre das gerne noch, aber die patriarchisch ausgerichtete Familie macht sich so breit, so dass sie schwer kämpfen muss, um für sich einzugestehen. Natürlich ist es so, dass die Familie ein verachtenswertes Frauenbild hat, denn Frauen wie Nina (Dakota Johnson) und Callie (Dagmara Dominczyk) sind nie wirklich frei, sondern stehen unter ständiger Bewachung, aber leider wissen wir, dass so ein Frauenbild gar nicht wenig verbreitet ist, weswegen man gerade als Zuschauerin nachempfinden kann, warum Leda immer verzweifelter wird. Denn sie wird nicht respektiert, sie verschwindet im Schatten.

Für mich aber definitiv der spannendere Aspekt war der Blick auf die Mutterschaft. Das ist – so kommt es einem oftmals vor – eine heilige Konzeption, an der nicht gerüttelt werden darf, aber das Mutterdasein ist nicht immer nur rosarot. Leda wird durch Nina daran erinnert, deren Tochter Elena (Athena Martin Anderson) voll auf ihre Mutter versessen ist, ihr aber keine ruhige Minute lässt. Ledas Blick klebt auf den beiden und so schauen wir als Zuschauer*innen dahin und wer kennt es nicht, wenn Kinder einfach mal nur zu viel sind. Dieses Gefühl wird verstärkt, als wir zunehmend in Ledas Erinnerungen eintauchen. Ich bin froh, dass für die jüngere Version nicht auch Colman genutzt wurde, wie man es leider immer noch in einigen Produktionen sieht. Denn hier Jessie Buckley zu nehmen, unterstützt die Authentizität. Zwar ist das kein Casting à la "This Is Us", wo man immer wieder positiv erschrocken ist, wie unheimlich ähnlich sich die verschiedenen Altersvisionen sind, aber dennoch verstärkt das Überblenden der unterschiedlichen Zeiten das Gefühl, ja, das ist ein und dieselbe Frau. Hier erleben wir auch intensiv mit, wie die glücklichen Familienmomente eher rar gesät sind und wie oft Leda am liebsten die Wände hochgehen würde, weil ihr kein Moment für sich bleibt. Sie hat sich damals ihre Freizeit genommen und war drei Jahre von den Kindern weg, um ihre Karriere voranzutreiben.

Dass Leda heute noch mit dieser Entscheidung hadert, wird klar deutlich, wenn man ihr nur ins Gesicht guckt und sieht, wie sie alles beobachtet. Hier kommt nun besonders großartig die Schauspielkunst von Colman ins Spiel, denn wenn sie in langen Passagen gar nichts sagt, nur beobachtet, dann könnte so eine Figur schnell im Hintergrund verschwinden. Während Leda das für die anderen tut, bleiben wir aber stets bei ihr, denn es ist klar, es geht um ihre Geschichte. Was sicherlich auch noch ein besonders interessanter Aspekt ist, das ist der Umgang mit der Puppe. Nachdem Elena mit der Puppe kurzfristig verschwunden war, hat Leda diese Puppe, nachdem sie das Mädchen gefunden hatte, zurückbehalten. Immer und immer wieder geht es um die Puppe und man begreift, diese ist das Symbol schlechthin. Leda beobachtet, wie Elena nach und nach wahnsinniger wird, weil sie ihre geliebte Puppe nicht mehr hat und dadurch erst recht ihrer Mutter keine Ruhe mehr gönnt. Und dennoch sagt und macht sie nichts. An dieser Stelle ist es herrlich, dass es dazu nicht DIE eine Interpretationsweise gibt. Vielleicht will Leda die Puppe absichtlich zurückhalten, um Nina endgültig in die Position zu drängen, in der sie sich selbst wiedergefunden hat. Vielleicht es ist aber auch einfach ein Trauma und Leda ist eh völlig unfähig, dazu noch eine rationale Entscheidung zu treffen. Aber was bleibt? Ein roher Blick auf die Mutterschaft, wo auch mal gesagt werden darf, dass es einer Frau zu viel ist. Es werden dennoch auch immer Schuldgefühle dabei sein. Aber das Schöne ist am Ende des Films, das Verhältnis zwischen Mutter und Kindern kann noch so belastet sein, das ewige Band bleibt eben doch. Angesichts dieses dann sehr runden Endes sowie der tollen Schauspielführung will ich natürlich auch Gyllenhaal ein Kompliment aussprechen, weil sie diesen atmosphärischen Film wirklich eindrücklich inszeniert hat.

Fazit

"Frau im Dunklen" ist ausschließlich ein Drama der ruhigen Momente, die dann erstmal fesselnd inszeniert werden müssen. Das ist Maggie Gyllenhaal bei ihrem Debüt wirklich eindrucksvoll gelungen. Mit Olivia Colman hat sich aber auch den Garanten auf Gelingen ins Boot geholt; diese Frau ist auch einfach der Wahnsinn! Auch thematisch ist ein wirklich nachdenklich machendes Frauenporträt gelungen; gerade der Blick auf Mutterschaft war ehrlich und dadurch so wichtig. Wer den intimen Blick auf Leda und ihre Geschichte also wagen will, nur zu!

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Lena Donth - myFanbase
04.01.2022

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