Bewertung
Lee Fulkerson

Gabel statt Skalpell - Gesünder Leben ohne Fleisch

"Let food be thy medicine." - Hippokrates

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Inhalt

2007 starben allein in den USA mehr als 600.000 Menschen an den Folgen von Herzerkrankungen. Damit sind sie die Haupttodesursache, noch vor Krebs oder Unfällen. Zwei Drittel aller Erwachsenen in den Vereinigten Staaten gelten mittlerweile als übergewichtig oder fettleibig. Die Menschheit, nicht nur in den USA, wird immer ungesünder. Der Trend scheint nicht aufzuhalten zu sein. Auf anderen Teilen der Welt ist die Anzahl derer, die an Folgen von Herzerkrankungen sterben, jedoch verschwindend gering, Übergewicht ist nur sehr vereinzelt vorhanden. "Forks Over Knives" untersucht den Zusammenhang zwischen Ernährung und Krankheiten und kommt hierbei zu einer durchaus kontroversen Schlussfolgerung.

Kritik

Ja ja, die Veganer sind ein seltsames Völkchen. Verfilzte Haare, abgemagert, Poncho und Birkenstock. Es gibt kaum eine Bevölkerungsgruppe, die von derart vielen Klischees geplagt wird. Das eigentlich Interessante daran: Jeder, der halbwegs alles beisammen hat, weiß, dass das fiese Überzeichnungen sind. Aber wie sieht es mit dem berühmten Vitamin B12 aus, das Veganer unmöglich in ausreichender Menge zu sich nehmen können? Mit der ordentlichen Portion Calcium, die nur so ein schönes Glas Milch den menschlichen Knochen beschert? Mit dem tierischen Eiweiß, das dem pflanzlichen überlegen ist? Mit der Gefahr, der sich insbesondere kleine Kinder, Schwangere und ältere Menschen aussetzen, wenn sie auf jegliche Form von tierischen Produkten verzichtet?

Ist ja ganz schön, was die für die Tiere machen, aber Veganer leben nun einmal ungesund, so das Meinungsbild der breiten Öffentlichkeit. Dass es zuhauf angereicherte Lebensmittel oder Präparate gibt, die Vitamin B12 enthalten, ist den meisten nicht bekannt. Dass das tierische Eiweiß in der Milch dazu führt, dass ein Teil des zugeführten Calcium dem Körper wieder entzogen wird, weswegen es sich sogar explizit empfiehlt, auf pflanzliche Produkte für die tägliche Calciumaufnahme zu setzen, sowieso nicht. Denn "die Milch macht's". Oder dass Gorillas und Elefanten in etwa die gleiche Eiweißmenge benötigen wie Menschen, diese aber bekanntermaßen Pflanzenfresser sind und darüber hinaus auch noch über größere Muskelmasse verfügen, die mit Proteinen versorgt werden will. Und natürlich entwickeln Menschen in bestimmten Phasen ihres Lebens nicht plötzlich Mangelerscheinungen, wenn sie sich ausgewogen vegan ernähren.

Aber kostenintensive Marketingstrategien der Fleisch- und Milchlobby führten nicht nur dazu, dass nahezu jeder davon überzeugt ist, dass den Veganern doch irgendwas von den wertvollen Nährstoffen fehlen muss. Selbst der überwältigende Großteil an Ärzten betet das Mantra der Notwendigkeit tierischer Produkte für eine gesunde Ernährung Tag für Tag herunter, vor allem dadurch bedingt, dass sie im Studium praktisch nichts über Ernährung lernen und im Gegenzug dafür belohnt werden, wenn sie Medikamente verschreiben. Der Dokumentarfilm "Forks Over Knives" holt genau dort den Zuschauer ab. Er verschwendet gar keinen Gedanken daran, wie verachtend, grausam und brutal Massentierhaltung ist, welche Nachteile sie für die Umwelt hat und wie sie zum weltweiten Hungerproblem beiträgt oder dass auch Tiere in Biohöfen nicht zu Tode gestrichelt werden. Die Bilder dazu kennt ohnehin jeder, zur weiteren emotionalen Abstumpfung muss man ja nicht auch noch beitragen.

Regisseur Lee Fulkerson, der bis auf ein paar TV-Dokumentationen bisher kaum in Erscheinung getreten ist, konzentriert sich bewusst nur auf die gesundheitlichen Aspekte einer veganen Ernährung, weil diese Sichtweise nie wirklich im Mainstream angekommen ist. Er nutzt nicht einmal das böse V-Wort, kein einziges Mal. Lediglich im Interview mit einem (ganz und gar nicht ungesund aussehenden) UFC-Kämpfer fällt das Wort zweimal. Dementsprechend wird auch nur eine "auf Pflanzenprodukten basierende Vollwertkost" propagiert. Das mag ein wenig befremdlich wirken, aber wohl nur so konnte Fulkerson der unweigerlichen Stigmatisierung von Vegetarismus und insbesondere Veganismus zuvorkommen. Eigentlich ein Armutszeugnis in einer Zeit, in der der vielgepriesene Autor Jonathan Safran Foer vom "Tiere essen" schreibt, Alicia Silverstone die "Kind Diet" propagiert, Karen Duve einfach nur mal "Anständig essen" möchte und die pure Existenz von Personen des öffentlichen Lebens wie Sandra Oh, Lea Michele, Avril Lavigne, Joaquin Phoenix, Emily Deschanel, Mayim Bialik, Lisa Edelstein, Jared Leto oder Alec Baldwin mittlerweile eigentlich klargemacht haben sollten, welche Vorteile eine vegane Ernährung hat. Selbst der ehemalige US-Präsident Bill Clinton ernährt sich auf Anraten seiner Ärzte nach einer Bypassoperation mittlerweile vegan und fühlte sich nie besser. Anscheinend ist also tatsächlich ein etwas anderer Ansatz nötig.

Also beginnt er mit einer Korrelation, die den wenigsten bekannt ist – dem Konsum tierischer Produkte und dem, was man landläufig als typisch westliche Zivilisationskrankheiten bezeichnen könnte, allen voran Herzerkrankungen, Krebs, Arteriosklerose, Diabetes, Adipositas und Multiple Sklerose. Die wissenschaftliche Basis für diese Erkenntnis stellt das Buch von Dr. T. Colin Campbell mit dem Titel "The China Study" dar, das die Ergebnisse von zwei Jahrzehnten Forschung im Rahmen einer der am längsten laufenden wissenschaftlichen Forschungsarbeiten in der Geschichte der USA zusammenfasst, die es sich auf die Fahne geschrieben hat, den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit herzustellen. Und so wurden insgesamt 130 chinesische Dörfer mit 6.500 Erwachsenen und deren Familien und der Einfluss ihrer Ernährung auf die Gesundheit untersucht. Das eindeutige Ergebnis: Je mehr man sich von der typisch chinesischen Ernährung mit viel Gemüse und extrem wenig Fleischprodukten entfernte und sich einer typisch westlich geprägten Ernährung mit viel Fleisch annäherte, umso höher waren die Risiken für Herzerkrankungen.

Der Zusammenhang war klar, ebenso hat Dr. Campbell, der während des Films ausführlich zu Wort kommt, die Korrelation zwischen dem Konsum von Milchprodukten und Krebserkrankungen hergestellt. Laborratten wurden zwei unterschiedliche Portionierungen von Casein, dem Hauptprotein in Milchprodukten, zugeführt. Je nachdem, wie viel sie erhielten (5 % oder 20 %), waren die Risiken einer späteren Bildung von Tumoren drastisch erhöht. Hochinteressant an dieser Studie war jedoch, dass Dr. Campbell irgendwann die zwei Gruppen auch zwischendurch hin und her wechselte und das Wachstum von Tumoren entweder zunahm (20 %) oder sogar abnahm (5 %). Man konnte also Krebswachstum durch seine Ernährung maßgeblich beeinflussen! Eine ähnliche Entdeckung machte unabhängig von ihm Dr. Caldwell Esselstyn Jr. (ebenfalls prominent im Film vertreten) im Bereich von Herzerkrankungen. In "Forks Over Knives" wird dafür ein recht simples Beispiel in einer Graphik aufgeführt: Norwegen wurde von Nazideutschland zwischen 1933 und 1945 besetzt. In dieser Zeit entzogen die Nazis den Norwegern jeglichen Viehbestand. Die Herzerkrankungen im Vergleich zu den Vorjahren haben in dieser Zeit ein absolutes Minimum erreicht – bis sie nach 1945 wieder stark anstiegen, weil der Zugang zu Tierprodukten nun wieder vorhanden war.

"Forks Over Knives" ist voll von derartigen anschaulichen Beispielen und lässt neben Dr. Esselstyn Jr. und Dr. Campbell auch noch zahlreiche andere renommierte Ärzte zu Wort kommen, die deren Aussagen stützen. Dazu werden Menschen, die Diabetes oder eine Herzerkrankung haben, begleitet und die Ergebnisse von veganer Ernährung darauf erforscht. Man ahnt das Ergebnis schon: Erkrankungen werden rückgängig gemacht oder zumindest gestoppt. Selbstverständlich werden hierbei vor allem auch Extrembeispiele angeführt, um die Bedeutung der eigenen Botschaft zu unterstreichen. Das macht sie jedoch nicht weniger wahr und überzeugend. Ganz allgemein ist die transportierte Botschaft der große Pluspunkt des Films, anhand der alles ausgerichtet wird. Mitunter leidet darunter der rote Faden, da eine einheitliche Erzählstruktur nur selten zu erkennen ist. Einzig Regisseur Fulkerson und wie er seine Ernährung am Anfang des Films umstellt, um später die positiven Ergebnisse zu sehen, läuft im Hintergrund als fortlaufendes Merkmal ab, ist aber viel zu wenig präsent, um als roter Faden zu gelten. Hier ein Beispiel, da ein Interview, da eine Graphik. Es ist zwar mitnichten so, als würde man dadurch als Zuschauer mit dem Film nicht mehr mitkommen, aber die Wirkung, die er zu entfalten vermag, nimmt durch die eher unfokussierte Herangehensweise ein wenig ab.

Dazu kommt, dass man auch in anderen Bereichen die Unerfahrenheit nahezu aller Beteiligter merkt. Zu zeigen, wie Dr. Esselstyn Jr. und Dr. Campbell, beide mittlerweile in ihren 70ern, joggen gehen oder noch quietschfidel auf ihrer Farm arbeiten, und das nach dem Motto "sieh mal, wie gesund die zwei noch sind" stolz zu präsentieren, ist dann doch eine grobe Verkürzung von Umständen und zudem schlichtweg unnötig, weil dadurch in Anbetracht fehlender Fakten, die dazu mitgeliefert werden, auch nicht essentiell mehr zum Film beigetragen wird. Man ist zwar glücklicherweise meilenweit von einer manipulierenden Polemik eines Michael Moore ("Bowling for Columbine", "Fahrenheit 9/11") entfernt, aber solche Bauernfängermethoden, wenn auch zugegebenermaßen nur einige Sekunden lang, sollte eine Dokumentation nicht nötig haben.

Fazit

Über allem steht die Botschaft, und die kann nicht oft genug verbreitet werden. Inhaltlich erlaubt sich "Forks Over Knives" nicht einen Schnitzer, nur an der Inszenierung hapert es manchmal. Das hält den Film aber nicht davon, den wohl bedeutendsten filmischen Beitrag zum Thema Ernährung der letzten Jahre abzuliefern. "Forks Over Knives" sollte daher in der Tat von wirklich jedem gesehen werden. Je eher derartige Filme Einfluss auf den Mainstream haben, umso schneller sind die zahlreichen Ernährungsmythen, die uns tagtäglich umgeben, Relikte aus der Vergangenheit.

Andreas K. - myFanbase
18.09.2011

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