Bewertung
Jared Bush, Byron Howard & Charise Castro Smith

Encanto

Foto: Encanto - Copyright: Disney
Encanto
© Disney

Inhalt

Die Madrigals sind seit einem schweren Schicksalsschlag von der Magie begünstigt, so dass sie versteckt in den Bergen von Kolumbien ein magisches Haus besitzen, das ein Eigenleben führt und diesen wundervollen Ort, der nicht nur ihnen, sondern vielen mehr eine Heimat bietet, nennen sie Encanto. Jedes der Madrigal-Kinder besitzt eine eigene magische Gabe, nur bei Mirabel hat die Zeremonie nicht funktioniert, weswegen sie sich in ihrer großen Familie wie eine Außenseiterin fühlt. Als die Zeremonie für ihren jüngsten Cousin Antonio ansteht, werden alte Wunden aufgerissen, doch dann wird Mirabel darauf aufmerksam, dass die Magie zu verschwinden scheint. Und dann liegt es ausgerechnet an dem normalsten Familienmitglied, die Magie und damit die letzte Hoffnung zu retten.

Kritik

Jubiläum! "Encanto" ist bereits der 60. Animationsfilm der Meisterwerk-Reihe von Disney. Wenn man bedenkt, dass es 1937 mit "Schneewittchen und die sieben Zwerge" losging, dann ist das wirklich eine beeindruckende Zeitspanne, die aber auch aufzeigt, wie weit sich das große Animationsstudio seitdem entwickelt hat. Zuletzt war zudem der Trend zu beobachten gewesen, mit den Filmen immer mehr Diversität abzubilden und das vor allem im kulturellen Bereich. "Coco – Lebendiger als das Leben!" hat uns nach Mexiko, nach Nordamerika entführt, "Encanto" lädt nun nach Südamerika, genauer nach Kolumbien, ein. Jedoch kann man hier gleich sagen, dass das kulturell kein inhaltlicher Schwerpunkt ist, da die Geschichte inhaltlich auch in zig anderen Ländern hätte spielen können. Während "Coco" thematisch mit dem Día de Muertos (Tag der Toten) gearbeitet hat, ist eine solche Idee nicht im Zentrum von "Encanto". Dennoch wage ich mich mal aus dem Fenster zu lehnen und denke schon, dass das Setting sowie der Auslöser der Story durchaus eine aktuelle Zeitkommentierung darstellen. Amerika ist traditionell, aber auch aktuell von Migrationsströmungen geprägt. Von Vertreibung, von Schutzsuchung, von offenen Armen oder eben leider auch nicht. "Encanto" ist zwar nicht historisch auf eine Zeit festgelegt, weil es in einer phantastischen Welt spielt, die völlig losgelöst ist von einem historischen Kontext und dennoch kann man resultieren, dass es entweder um konkrete soziale Missstände in Kolumbien geht, oder eben um eine allgemeine Darstellung, die aber dennoch hochaktuell ist, weil es auf der ganzen Welt Millionen von Flüchtlingen gibt, die vertrieben werden und eine neue Heimat suchen. Auch wenn Disney hier nicht mit dem Holzhammer auf soziale Missstände aufmerksam macht, so ist es aber doch beeindruckend, dass sich das riesige Unternehmen inzwischen von klassischen Märchen wegbewegt und stattdessen immer aktuellere Themen anpackt und damit ein breites Publikum anspricht.

Die Madrigals waren auch Flüchtlinge, die durch das Geschenk der Magie eine neue Heimat gefunden haben, ihr Encanto in Form von Casita, wie das magische Haus liebevoll genannt wird. Die Welt, in der "Encanto" spielt, berührt sofort das Herz. Denn es ist eine sehr, sehr bunte Welt, die dauernd etwas für das Auge anbietet. Aber auch die Gestaltung des Hauses ist von so viel Liebe zum Detail geprägt, dass man wirklich alles wie ein Schwamm aufsaugt, weil es so faszinierend ist. Dennoch ist der Einstieg in die Geschichte nicht unbedingt einfach. Die Eindrücke sind immens, nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich. Es ist zwar für Disney üblich, kompliziertere Settings in Form einer kleinen Einleitung vorab anzusprechen, doch hier geschieht die zentrale Einordnung in Form eines Liedes. Dass unheimlich viele Disney-Lieder Kultpotenzial haben und nicht nur in Kinderzimmern rauf und runter gehört werden, ist bekannt. Daher verstehe ich auch, dass hier ein Lied stilistisch gewählt wurde, dennoch war es etwas problematisch. Wenn es in den letzten Jahren um Musicals und speziell spanische Klänge ging, dann führte kein Weg an Lin-Manuel Miranda vorbei, der also auch für "Encanto" bei allen Liedern seine Finger im Spiel hatte. Da er sehr eingängige und mitreißende Melodien schreibt, ist das auch erstmal kein Grund zum Klagen. Jedoch ist Miranda musikalisch auch mal in Richtung von Rap einzusortieren (Erinnerungen an seine Rolle bei "Dr. House" werden wach) und das merkt man der komponierten Musik stark an. Das verleiht den meisten Songs einen sehr modernen Touch, den ich gut finde, denn die Soundtracks müssen nun wahrlich nicht wie 1937 klingen. Wenn sich die Inhalte weiterentwickeln, kann das auch für die Musik gelten. Jedoch sind die Texte (hier konkret das Eingangslied "The Family Madrigal") stellenweise so schnell gesungen, dass man mit Hören und Verstehen synchron nicht hinterherkommt. Das wird genau dann zu einem riesigen Problem, wenn das Lied die Familienverhältnisse klären soll. Dementsprechend brauchte ich doch sehr lange, um alle Familienverhältnisse für mich genau zu sortieren. Hier sind die anfänglichen Sinneseindrücke als zu viel auf einmal, um sie bewusst reflektieren zu können.

Nach diesen Anfangsschwierigkeiten ist es aber kein Problem mehr, sich in der Handlung von "Encanto" einzufinden, denn diese wird entscheidend von der sehr sympathischen Protagonistin Maribel angetrieben. Disney hat ohnehin ein Händchen für weibliche Hauptfiguren, die in Erinnerung bleiben und Maribel ist dafür ein wahres Paradebeispiel. Sie strahlt vor Wärme, sie ist voller Liebe für ihre Familie, obwohl die es ihr nicht immer ganz leicht macht. Aber speziell die Beziehung zu ihren Eltern Julieta und Agustín ist sehr liebevoll und trotz einiger Widerstände weiß sie zumindest immer die beiden in ihrem Rücken. Aber gerade ihre liebevolle Nähe zu ihrem Cousin Antonio, der kurz davorsteht, das zu erreichen, was ihr verwehrt wurde, zeigt wie selbstlos Maribel ist und dass sie sich zum Wohle aller hintenanstellt. An ihr wird dann auf eine wunderschöne Art und Weise dargestellt, dass nicht unbedingt besondere Fähigkeiten einen zu einer Persönlichkeit machen. Auch wenn Luisa stark wie 30 Männer zusammen ist, auch wenn Isabela die Welt mit den schönsten Farben der Pflanzenwelt schmücken kann, sie und all die anderen Madrigals sind dadurch nicht zwangsweise die glücklicheren Menschen. Maribel ist mit keiner Gabe gesegnet, aber genau dadurch hat sie eigentlich die größte Gabe geschenkt bekommen, denn sie weiß, worauf es wirklich ankommt, auch wenn sie erst ein paar Mal stolpern muss, um das selbstbewusst für sich erkennen zu können.

So schön die Ausarbeitung von Maribel ist, so sehr fällt doch leider auf, dass die Familie Madrigal eigentlich zu groß ist, um allen die Aufmerksamkeit zuzuwenden, die sie eigentlich verdient hätten. Vermutlich wurde hier mehr auf Masse statt Klasse gesetzt, um mehr unterschiedliche Fähigkeiten visuell einbinden zu können. Aber so Figuren wie Tante Pepa, Cousin Camilo und Cousine Dolores sind im Grunde völlig untergetaucht. Sie gehörten dazu, aber eine eigene Geschichte hatten sie eigentlich nicht. Bei Maribels direkter Familienlinie ist das etwas besser gelungen. Zwar hätte ich mir auch von den Eltern etwas mehr inhaltliche Dominanz gewünscht, aber immerhin die Schwestern Luisa und Isabela durchlaufen beide ihre individuelle Krise. Denn beide haben sich zu sehr über ihre Gabe definiert bzw. Isabela wurde durch ihre Großmutter Alma zu sehr in diese Richtung gedrängt, ohne aber die Entfaltung ihrer Gabe mit ihrer eigenen Persönlichkeit verbinden zu können. Die Schwestern von Maribel haben so ähnliche Geschichten, aber doch ganz individuell verpackt und beides war wirklich nett mitanzusehen. Dennoch hätte die Balance insgesamt besser sein können. Faszinierend war aber wiederum, wie mit der Einbindung von Onkel Bruno getrickst wurde. Lange wurde er als Bösewicht inszeniert (siehe Nutzen von giftgrüner Farbe, Disney-Hinweis Nummer 1!), doch der Film geht hier nicht den Weg, der prophezeit wurde. Das hat mir wirklich gut gefallen, weil so die Geschichte im Grunde ohne einen klassischen Bösewicht auskommt. Es geht vielmehr darum, dass alles aus der Unsicherheit von innen heraus entsteht und dass die Besinnung auf das fehlt oder verloren gegangen ist, was im Leben wirklich zählt. Mit diesen schönen Botschaften ist es kein Wunder, dass Disney "Encanto" in der Weihnachtszeit auf den Markt entlassen hat.

Fazit

"Encanto" ist ein gelungenes Animations-Jubiläum für Disney. In eine farbenfrohen und magiereichen Geschichte brilliert eine starke Protagonistin sowie schöne Botschaften, die wie immer den aktuellen Nerv und Zeitgeist treffen. Die musikalische Untermalung ist wie immer schnell eingängig fürs Ohr, stilistisch auf eigenen Beinen stehend, aber leider stellenweise textlich schwer zu verstehen. Insgesamt aber ein neuer Disney-Klassiker, für den ich gerne eine Empfehlung ausspreche.

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Lena Donth - myFanbase
27.12.2021

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