Bewertung
Jeremy Saulnier

Blue Ruin

"The keys are in the car."

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Inhalt

Dwight (Macon Blair) ist obdachlos und schlägt sich mit kleineren Gaunereien wie Einbrüchen oder Diebstahl durch. Als er eines Tages von der Polizei aufgegriffen und ihm auf der Wache eröffnet wird, dass der Mörder seiner Eltern vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird, macht sich Dwight auf, um sich an ihm zu rächen und löst damit eine Gewaltspirale sondergleichen aus.

Kritik

"Blue Ruin", so die Aussage von Regisseur Jeremy Saulnier, ("Murder Party - Alle werden sterben!") ist ein Synoym für ein Debakel. Damit hat man bereits vielleicht die Quintessenz des Films umrissen, ohne allzu viel vom weiteren Geschehen zu verraten. Denn der Film, der in Cannes 2013 seine Weltpremiere feierte und dabei direkt den FIPRESCI-Preis gewann, also jenen Filmpreis, der von der namensgebenden internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung vergeben wird, ist als steter Abstieg in die Dunkelheit, als eine sich verstärkende Eskalation von Gewalt und als Reise ins Verderben des Hauptcharakters zu sehen. Hier ist nichts geschönt, es gibt keine höhere Moral von der Geschicht', keine Erlösung und auch keine immanente Coolness, die es dem Zuschauer ermöglichen würden, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf das Geschehen selbst.

Selbst Dwight als Hauptfigur bekommt praktisch keine Hintergrundgeschichte. Man startet mit ihm als jemand, der als Außenseiter von seiner Umgebung praktisch gar nicht wahrgenommen wird und es offensichtlich auch genau so haben möchte. Er isst aus Mülltonnen, klaut sich für ihn wichtige Gegenstände zusammen, bricht in die Häuser anderer ein, um endlich mal wieder zu baden, sammelt aber auch Dosen, um das damit einher gehende Pfand für kleinere Einkäufe zu nutzen. Nachts schläft er schließlich in seinem Wagen. Es ist letzten Endes nicht final bekannt, warum er dieses Leben führt, auch wenn der Film die Möglichkeit gibt, dies für sich selbst zu erklären. Dazu kommt, dass Dwight beileibe nicht sympathisch ist. Diese Verknüpfung führt dazu, dass es grundsätzlich extrem schwer ist, hier entsprechendes Interesse für ihn aufzuwenden. Das Identifikationspotenzial bleibt ohnehin einen großen Teil der eineinhalb Stunden auf der Strecke, was aber per se nicht weiter schlimm ist. Dementsprechend ist es für Hauptdarsteller Macon Blair Bürde und Herausforderung zugleich, Dwight Leben einzuhauchen und ihn gleichzeitig interessant genug zu verkörpern, damit der Zuschauer auch tatsächlich nicht früh gelangweilt ist.

Macon Blair, der vorher nie nennenswert in Erscheinung getreten ist, hat sich mit einer der besten Schauspielleistungen des Jahres 2014 zweifellos für höhere Aufgaben und prestigeträchtigere Rollen beworben. Dwight als Außenseiter, der soziale Interaktionen jeglicher Art nicht gewohnt ist, gleichzeitig einen tiefen Hass schürt gegen den Mörder seiner Eltern und tiefentschlossen ist, sich zu rächen, ist mit der Situation sichtlich überfordert. Gerade diese Mischung aus allgemein charakterlicher Unsicherheit, gleichzeitiger situativer Bestimmtheit und einem darüber hinaus durchaus annehmbaren moralischen Kompass macht ihn dann eben doch zu einem faszinierenden Charakter, dessen Zerrissenheit von Blair exzellent dargestellt wird.

"Blue Ruin" ist ein ruhiger wie spannender Film, einer, der durch die grandiose Leistung von Regisseur, Drehbuchautor und (!) Kameramann Saulnier die Daumenschrauben anlegt und immer weiter dreht, bis die Spannung nicht mehr auszuhalten ist. Dies gelingt ihm mit einer famosen Kameraführung, die meist auffällig statisch ist und gerade dann, in Verbindung mit einem ruhigen, aber durchaus präsenten Score, für die nötige Nüchternheit sorgt, wenn die Gewalt auf der Leinwand eskaliert. Sicherlich, es fließt Blut und dies nicht zu knapp. Aber sie ist nicht mehr als Mittel zum Zweck, damit Dwight und dessen Umfeld zum gesetzten Ziel kommen. Die Gewalt ist ungeschönt und gerade deshalb so erschreckend, weil sie genau so gezeigt wird, wie sie wirklich ist – unästhetisch.

Auffällig ist, dass "Blue Ruin" trotz eben doch nur 90 Minuten Laufzeit kein wahnsinnig rasanter Film ist und auch nicht unbedingt das, was man mit einem klassischen Thriller in Verbindung bringen würde. Dafür ist die Hauptfigur zu gewöhnlich, die Gewalt in ihrem Realismus zu schockierend und die Sympathiefrage auch nur bedingt geklärt. Schade ist in dem Zusammenhang, dass der Cleland-Clan letzten Endes nur als nahezu undefinierbare Gesamtmasse präsentiert wird und hierbei gar nicht der Versuch unternommen wird, mehr aus ihnen zu machen als unsympathische Waffennarre und Rednecks. Klar, der Fokus, den Saulnier legen möchte, ist zwangsläufig ein anderer. Vielleicht funktioniert auch deshalb Dwight als Charakter so gut. Aber etwas mehr Komplexität bei den Nebenfiguren wäre dennoch wünschenswert gewesen. Ebenso verliert sich "Blue Ruin" im Mittelteil in das eine oder andere Thriller-Klischee und weist vereinzelt Längen auf.

Fazit

"Blue Ruin" beginnt und endet unheimlich stark und kann eine der besten schauspielerischen Leistungen des Jahres präsentieren. Ein schnörkelloser Thriller mit wunderbarer Kameraführung, der nichts schönt, sich aber vereinzelt abgegriffener Genreelemente bedient und in dem Versuch, die Stimmung des Hauptcharakters immerzu einzufangen, manchmal zu sehr das Geschehen bremst. Am Ende bleibt aber dieser durch Kickstarter finanzierte Film ein vielversprechendes Werk eines aufstrebenden Regisseur, dessen neues Werk bereits den einen oder anderen Hollywoodstar rekrutieren konnte.

Andreas K. - myFanbase
08.11.2014

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