Bewertung
Richard Linklater

Boyhood

"Life doesn't give you bumpers."

Foto: Copyright: 2014 Universal Pictures International
© 2014 Universal Pictures International

Inhalt

Der junge Mason (Ellar Coltrane) wächst zusammen mit seiner Mutter Olivia (Patricia Arquette) und seiner Schwester Samantha (Lorelei Linklater) in einer texanischen Kleinstadt auf und steht auch noch in engem Kontakt mit seinem Vater Mason Sr. (Ethan Hawke), der versucht, nach der Scheidung weiterhin eine wichtige Rolle im Leben seiner Kinder zu spielen. Über eine Zeitspanne von zwölf Jahren durchläuft Mason die verschiedenen Stationen des Erwachsenwerdens und reift langsam zum Mann heran.

Kritik

Filme und auch Serien über das Erwachsenwerden gibt es viele in unterschiedlicher Qualität und sie erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit, ist das Erwachsenwerden doch ein universales Thema, mit dem sich im Grunde alle Zuschauer in irgendeiner Form identifizieren können. Die Entwicklung eines menschliches Individuums über eine längere Zeitspanne authentisch und aufrichtig darzustellen, ist aber ein nicht immer ganz leichtes Unterfangen, da es sich in einem kurzen Produktionszeitraum von ein paar Monaten nur schwer umsetzen lässt. Diese Problematik hat der amerikanische Filmemacher Richard Linklater aufgegriffen und erfolgreich umgangen, indem er seine filmische Studie über das Erwachsenwerden eines amerikanischen Jungen über 12 Jahre drehte und seinem Hauptdarsteller dabei durch die Kamera beim Erwachsenwerden zuschaute. Dieses ambitionierte Unterfangen mündet schließlich in einem fast dreistündigen Film über das Leben und den Wandel der Zeit. Linklater ist damit ein Ausnahmewerk gelungen, was in dieser Form in der Filmgeschichte bisher einzigartig ist.

Eine ganz besondere Stärke dieser weitreichenden filmischen Erzählung ist der stets subtile Tonfall, mit der das Leben und Leiden dieser amerikanischen Familie dargestellt wird. Hier konzentriert man sich eher auf assoziative Kleinigkeiten, als auf eine große übergreifende Handlung. Linklater sucht und findet die Poesie des Alltags, spart aufdringlichen Pathos sorgsam aus und verzichtet glücklicherweise auch auf allzu große klischeebeladene Bilder. Der Film ist immer dann am stärksten, wenn Kleinigkeiten des Lebens, die vielen bekannt vorkommen werden, eingefangen werden: Es geht um geschwisterliche Streitereien, das kindliche Spielen und Toben im Freien, der erste Kontakt mit Alkohol und das angetrunken nach Hause kommen, die erste Liebe, unliebsame Schulwechsel, das Zurechtkommen mit dem neuen Lebenspartner der Mutter, das generelle Auseinandersetzten mit der älteren Generation der Eltern und allgemeine Aspekte von Leid, Freude und Liebe im romantischen, wie auch familiären Sinne. Ganz besonders gelungen ist schließlich auch die Auseinandersetzung mit dem Abschluss der Lebensphase Jugend und dem damit verbundenen Ausziehen aus dem Elternhaus.

Dabei wird die 12 Jahre umspannende Geschichte zwar aus der Perspektive des jungen Mason erzählt, nebenher wird aber auch die Geschichte einer mittelständischen amerikanischen Familie glaubhaft über einen langen Zeitraum dargestellt. Dabei beeindruckt vor allem auch die von Patricia Arquette ehrlich, aufrichtig und vielschichtig verkörperte Mutterfigur: Ihr ganz persönlicher Kampf mit falschen Lebensentscheidungen, Triumphen und Niederlagen geht einem schließlich ganz besonders ans Herz. Aber auch die restliche Besetzung ist perfekt gewählt: Der Linklater-erfahrene Ethan Hawke spielt überzeugend eine leichte Variation seiner legendären Figur aus der "Before"-Trilogie und die Tochter des Regisseurs, Lorelei Linklater, begeistert mit viel authentischem Charme. Das Zentrum des Films bildet aber der zu Drehbeginn noch blutjunge Ellar Coltrane, der über die Zeitspanne der Dreharbeiten auch selbst erwachsen geworden und als Schauspieler gereift ist. Diese Entwicklung mitzuerleben ist schon ein kleines filmisches Wunder für sich. Ob Coltrane der Schauspielerei treu bleiben wird, steht noch nicht fest, mit diesem Erstlingswerk hat er aber sicherlich gute Voraussetzungen für eine große Filmkarriere geschaffen.

Insgesamt ist dies wieder einer jener Filme, der eine permanente Gänsehaut verursacht, der einen zum Lachen und zum Weinen bringt und in vielen Momenten wahrhaftig glücklich macht. Ein großer, kleiner Film und der wohl endgültige Film über das Erwachsenwerden. Nachdem Richard Linklater mit der "Before"-Trilogie die Entwicklung einer Liebe nachzeichnete, folgt nun die Entwicklung eines Menschenlebens in Kindheit und Jugend. Ein filmischer Traum, den man am besten auf der ganz großen Leinwand selbst erleben sollte. So schön und aufrichtig ehrlich war Kino schon lange nicht mehr.

Fazit

Regisseur Richard Linklater ist mit seinem Jahre umspannenden Filmprojekt "Boyhood" ein großes Risiko eingegangen, er hat viel gewagt und schließlich alles gewonnen. Über "Boyhood" wird man noch lange sprechen, dieser Film wird bleiben. Das war schon bei der Deutschlandpremiere im Februar auf der Berlinale deutlich zu spüren, wo der Film frenetisch gefeiert wurde und schließlich den Silbernen Bären für die beste Regie mit nach Hause nehmen konnte. Selbst das kritische Berlinale-Publikum war zu Tränen gerührt und dies wird dem breiten Kinopublikum wahrscheinlich nicht anders gehen.

Moritz Stock - myFanbase
03.06.2014

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