Bewertung
Joshua Oppenheimer, Christine Cynn & Anonymous (Co-Regisseur)

Act of Killing, The

"It's all about finding the right excuse."

Foto: Copyright: 2014 Dogwoof Ltd. All Rights Reserved.
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Inhalt

Indonesien, in den Jahren 1965/1966: Nach einem Putschversuch der sogenannten "Bewegung 30. September" werden Mitglieder der "Partai Komunis Indonesia", der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI), deren Sympathisanten oder schlichtweg die, die der chinesischen Minderheit angehörten, durch Teile der indonesischen Armee unter der Führung von General Suharto systematisch ermordet. Innerhalb von einem Jahr sterben so zwischen 500.000 und eine Million Menschen. Von der westlichen Welt weitgehend unbeachtet bzw. teils sogar befürwortet, lassen sich die damaligen Täter bis heute in der Öffentlichkeit feiern und finden Unterstützung bis in die höchsten Regierungskreise. Für den vorliegenden Film wurden sie gebeten, ihre Taten in Form von Filmszenen nachzustellen.

Kritik

Filme über Massenmörder sind weit verbreitet, gerade über das Medium der Dokumentation. In der Regel kommen die Angehörigen oder Nachkommen der Opfer ausführlich zu Wort, selten gelingt es, auch die Täter selbst zu befragen. Was aber komplett ungewöhnlich ist, ist ein Film über die Täter und wie diese auch nach fast 50 Jahren noch mit dem prahlen, was sie damals initiierten. Wieso? Weil normalerweise spätestens nach einer derartigen nationalen Tragödie ein Umdenken in der Bevölkerung stattfindet und im Anschluss die Täter zur Rechenschaft gezogen werden, sodass sie kurze Zeit später im Gefängnis oder tot sind. Nicht so beim Massaker in Indonesien 1965/1966, einem schwarzen Fleck in der Geschichte Asiens. Bis zum heutigen Tag können sich die Täter unbeschadet innerhalb der Bevölkerung bewegen und erhalten sogar die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit weiter mit ihren Taten anzugeben. Sie werden von mächtigen paramilitärischen Gruppen des Landes unterstützt, zu deren stolzen Förderern sich unter anderem auch der aktuelle Vizepräsident und diverse Regierungsminister zählen. Die Kinder und Kindeskinder der Opfer dieser Taten werden auch heute noch verhöhnt und werden regelmäßig ermahnt, sich zu "benehmen" (was auch immer das heißen mag), weil sie sonst dasselbe Schicksal wie ihre Vorfahren erleiden würden.

Entsprechend befremdlich ist allein die Ausgangssituation, zwei bis gut zweieinhalb Stunden (beim sehenswerten Director's Cut) Massenmördern dabei zuzusehen, wie sie gefeiert werden und vor allem auch sich selbst feiern. Wenn sie gerade minutiös erzählen, auf welche Art und Weise sie Menschen töteten, dabei ein vernehmbares Leuchten in den Augen haben und ihr Umfeld sie immerzu darin bestätigt, dass das, was sie taten, nicht nur richtig, sondern geradezu heldenhaft war, dann ist das vor allem extrem schwer mit anzusehen. Das eigene (Un-)Rechtsbewusstsein verleitet bei dieser Ausgangssituation einen dazu, ein möglichst schnelles Ende herbei zu sehnen. Doch je länger der Film läuft, umso mehr entfaltet er eine ambivalente Faszination, bei der man sich selbst nicht sicher ist, ob es dieser extrem ungewöhnliche Blickwinkel ist, den man als Zuschauer einnehmen kann, oder ob der Kniff von Regisseur Joshua Oppenheimer, die Täter ihre eigenen grauenvollen Handlungen nachzustellen, dafür verantwortlich ist. Am Ende werden es sicherlich beide Aspekte sein, doch vor allem die Neuinszenierung der Gräueltaten ist inszenatorisch wie thematisch ein Glücksgriff.

Adi Zulkadry und vor allem Anwar Congo als zwei der berüchtigsten Mörder mit mehr als tausend Todesopfern, für die sie verantwortlich sind, werden ausführlich thematisiert und können ihre eigenen Erlebnisse nicht nur erzählen, sondern auch filmerisch umsetzen. Werden anfangs noch die Erfahrungen vergleichsweise realitätsnah verfilmt, pflegt man bald die eigenen Vorlieben für Mafiafilme oder Western mit ein. Und wenn gegen Ende der Versuch unternommen wird, die eigenen (Alp-)Träume einzufangen, macht "The Act of Killing" eine hochinteressante Entwicklung. Die Täter zeigen sich in ihren eigenen filmischen Ideen teils als Opfer und werden zum ersten Mal in ihrem Leben tatsächlich damit konfrontiert, wie es denn so ist - auf der anderen Seite. Mörder aus moralischer Sicht zu entlarven ist so wunderbar einfach und macht daher selten auch wirklich einen guten Film. Wenn sie es aber selbst tun, ohne dass sie sonderlich stark dazu angeregt worden wären, so ist das wirklich bedeutungsvoll. Natürlich, man müsste schon reichlich naiv sein zu denken, dass "The Act of Killing" mit seiner Herangehensweise letzten Endes zu einem fundamentalen Umdenken seitens der Täter geführt hätte. Aber sie ein wenig in diese Richtung zu schubsen und diesen Schlüsselmoment der Selbstreflexion in einer extrem eindrucksvollen Szene auch noch mit der Kamera einzufangen, ist aller Ehren wert. Und davon gab es wahrlich genug, angefangen bei diversen hochangesehenen Kritikern, bei denen "The Act of Killing" auf Platz 1 oder zumindest sehr weit vorne in den internen Bestenlisten des Jahres 2013 auftaucht, der Publikumspreis bei der letztjährigen Berlinale, die Nominierung zum besten Dokumentarfilm bei den Oscars 2014 oder allein der Umstand, dass der Film nach den ersten Vorstellungen von einigen der namhaftesten Dokumentarfilmer (unter anderem Werner Herzog und Errol Morris) schließlich mitproduziert wurde.

Während "The Act of Killing" sich wohltuend damit zurückhält, selbst eine urteilende Haltung einzunehmen, und stattdessen neutral das Gezeigte einfängt, handelt es sich natürlich trotzdem um einen hochpolitischen Film. Vor allem das Ausmaß, mit dem wie selbstverständlich auch die grauenvollsten Taten glorifiziert werden, stimmt nachhaltig bedenklich. Erschreckend ist aber auch die frühe Indoktrination der Jugend Indonesiens, um bereits zu Beginn ihres Lebens ein kommunistenfeindliches Stimmungsbild zu erzeugen – das sich letzten Endes nicht gegen Kommunisten richtet, sondern wie so oft gegen alle, die es wagen, die Regierung zu kritisieren. Allein die Tatsache, dass bis heute in den indonesischen Geschichtsbüchern vage von einer patriotischen Pflichterfüllung mit maximal 80.000 Opfern die Rede ist und jeder Versuch, die korrekte Historie abzubilden, von den militärischen und islamistischen Strömungen des Landes erfolgreich zunichte gemacht werden konnte, zeigt das Ausmaß der mangelnden Aufarbeitung dieser Zeit. Der Genozid, der sich vor knapp 50 Jahren in Indonesien abspielte, wird landläufig als einer der schlimmsten Massenmorde des 20. Jahrhunderts bezeichnet, was einmal mehr beweist, dass ein Film wie "The Act of Killing" schon allein deswegen immens wichtig ist, um einen Scheinwerfer auf diesen dunklen Fleck zu richten. Ironisch und schockierend zugleich ist dabei auch die Rolle der westlichen Welt, die heute gern diese Taten aufs Schärfste verurteilt, zur damaligen Zeit, als die Ausmaße des Massakers bereits bekannt waren, jedoch diese rigorosen Schritte gegen den vermeintlichen Kommunismus in den Himmel lobten.

Fazit

Oppenheimer zeigt eines der dunkelsten Kapitel der asiatischen Historie, das vor allem deshalb so nachhaltig erschreckt, weil wohl noch nie eindrucksvoller gezeigt wurde, dass man unter Zuhilfenahme einer jahrelangen konsequenten Verklärung von Unrecht und der systematischen Unterdrückung jeglicher Opposition gegen das eigene Luftschloss nicht immer aus der eigenen Geschichte lernen muss.

Andreas K. - myFanbase
08.02.2014

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