Laurence Anyways
"C'est une révolte?" – "Non Sir, c'est une révolution."
Inhalt
Seit zwei Jahren sind Laurence (Melvil Poupaud) und Fred (Suzanne Clément) zusammen und genießen ihr gemeinsames Leben. Sie lieben sich heiß und innig, teilen ihre Verrücktheiten und Träume, ihre Fehler und Erfolge. Dann jedoch rückt Laurence eines Tages mit einer Wahrheit heraus, die seines und auch Freds Leben für immer verändert: Er fühlt sich im falschen Körper gefangen und will eine Frau werden. Laurence will diese Verwandlung vollziehen, auch wenn er weiß, dass dies von Fred alles abverlangen wird. Denn trotz Laurence' Offenbarung sind die Gefühle der beiden füreinander immernoch die gleichen, doch die Frage ist, ob ihre Liebe dieser Veränderung standhalten kann...
Kritik
Xavier Dolan verkörpert das, was man gemeinhin ein Wunderkind bezeichnen könnte. Regiedebüt "I Killed My Mother" mit 20 Jahren, dafür gleich mal drei Awards bei den renommierten Filmfestspielen von Cannes sowie den Gewinn des quebecer Jutra-Awards für den Besten Film und des Beste Drehbuch; Zweitfilm "Herzensbrecher" räumt gleichermaßen in Cannes und bei den Jutras ab; und nun präsentiert Dolan mit "Laurence Anyways" seinen gewaltigen, emotionalen und ambitionierten dritten Film, der in seiner ganzen Art außergewöhnlich ist und das enorme Talent des jungen Regisseurs, Schauspielers, Drehbuchautors und Kostümdesigners Dolan unter Beweis stellt.
"Laurence Anyways" nimmt sich einem potentiell kontroversen und sehr schwierigen Thema an, das erst in den vergangenen zehn bis 15 Jahren wirklich vom Kino aufgenommen und verarbeitet wurde. In den 90ern schaffte es die Thematik Transsexualität allerhöchstens in Form von Drag Queens ins Medium Film, doch die Herausforderungen und Probleme, denen sich Transsexuelle im ganz normalen Alltag stellen müssen, wurden dabei eher außen vor gelassen. Dies hat sich in den letzten Jahren gewaltig verändert und Dolans "Laurence Anyways" füllt hier eine wichtige Lücke. Dolan geht mit einem unwahrscheinlichen Feingefühl an dieses Thema heran und zeigt nicht nur, wie enorm schwierig das Leben für einen Transsexuellen sein kann, sondern auch, in welche Extremsituationen Freunde, Familie und Partner dadurch geraten.
Die zwei zentralen Figuren des Films sind Laurence und Fred, zwei Menschen, die sich gerade in ihrer Abgrenzung zur "normalen" Gesellschaft nahe stehen und die Verrücktheit und das Exzentrische lieben. Noch bevor Laurence mit seinem Geheimnis herausplatzt, sieht der Zuschauer die beiden beim exzessiven Feiern, beim Herumphilosophieren, Fred mit feuerroten Haaren, schillerndem Makeup und Nietenoutfit, Laurence noch auffällig unauffällig. Dolan spielt hier ganz bewusst mit Geschlechterrollen, mit sozialen Erwartungen und dem relativen Konzept von Normalität: Fred – deren Spitzname sicherlich nicht aus Zufall ambig ist – ist zwar eine sehr weibliche, doch oft auch eine sehr burschikose Person, stark und laut und unbeugsam. Laurence wird im Verlauf des Films zwar äußerlich immer weiblicher, trägt Makeup und Schmuck und hohe Schuhe, doch in seinem Inneren bleibt er in vielen Aspekten das, was man generell als männlich bezeichnen würde. Seine sexuelle Orientierung ändert sich mit seinem Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung nicht. Die Trennung zwischen Mann und Frau verschwimmt, gleichzeitig aber prangert Dolan nie das Prinzip der Geschlechterrollen an. Er zeigt nur, dass es eben auch anders gehen kann.
Diese Andersartigkeit, dieser Hang zur Exzentrik, spiegelt sich in Dolans kreativen Entscheidungen an vielen Stellen wider. Inszenatorisch gesehen sprudelt der Film vor Kreativität: Dolan arbeitet mit vielen Nahaufnahmen, mit langen, bedächtigen Kameraeinstellungen, dann wechselt er plötzlich in hektische Schnitte, je nachdem, welches Gefühl gerade vermittelt werden soll. Montréal als Schauplatz kann er genauso gut in Szene setzen wie das ländliche Trois-Rivières. Zusätzlich ist der brachiale Soundtrack, der mit einigen tollen Songs aus den 80ern aufwartet, zwar oft aufdringlich und laut, doch er passt einfach perfekt in diese Geschichte. Der Kontrast etwa zwischen dem drohenden Introsong "If I Had a Heart" von Fever Ray und Érik Saties fragilem "Gnossiene No. 7" könnte größer nicht sein, doch er reflektiert eben all diese Kontraste und Paradoxa und Kontroversen, die der Film mit der Thematik Transsexualität aufgreift.
Und in dieser Kontroverse: Laurence und Fred. In dieser Liebesgeschichte, die sich über zehn Jahre streckt, bekommen beide Figuren genügend Raum, um sich zu entfalten und um dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich in ihr Leben einzufinden und daran teilzunehmen. Zwar sind Laurence' Verwandlung, seine Hindernisse auf dem Weg zur Frau, seine Selbstfindung und sein Weg vom unsicheren Lehrer zum selbstbewussten Autor hochemotional und mitreißend, doch der wahre Star ist eigentlich Fred, die Frau an seiner Seite. Die Stärke, die diese Frau an den Tag legt, und die sie aus ihrer Liebe zu Laurence schöpft, ist beeindruckend und gleichzeitig selbstzerstörerisch. Wie kann eine Frau damit umgehen, dass ihr Partner plötzlich auch eine Frau sein will? Was für Gefühle entstehen hier, wie soll man sie interpretieren, wie soll und kann eine Liebe dies überstehen? Schauspielerin Suzanne Clément ist in dieser Rolle eine absolute Wucht und harmoniert großartig mit dem ebenfalls fantastisch aufspielenden Melvil Poupaud, ja spielt ihn in einigen Szenen nahezu an die Wand. Beide Mimen leisten hier wahrhaft Großartiges und machen den Film zu einem spektakulären und hochemotionalen Erlebnis, das einen nachhaltig beeindruckt.
Fazit
"Laurence Anyways" ist trotz einer Spielzeit von über zweieinhalb Stunden ein unwahrscheinlich fesselndes Drama, das eine komplexe und unkonventionelle Liebesgeschichte erzählt und sämtliche Normen bricht. Dolan beweist erneut, dass er mit gerade einmal 24 Jahren zu den besten, innovativsten und gewagtesten Filmemachern Kanadas zählt, und eine Vision vom Leben hat, die auf der Leinwand hervorragend funktioniert. Von diesem Mann ist zweifellos noch einiges zu erwarten.
Maria Gruber - myFanbase
15.06.2013
Diskussion zu diesem Film
Weitere Informationen
Originaltitel: Laurence AnywaysVeröffentlichungsdatum (Kanada / Frankreich): 18.05.2012
Veröffentlichungsdatum (DE): 27.06.2013
Länge: 159 Minuten
Regisseur: Xavier Dolan
Drehbuchautor: Xavier Dolan
Genre: Romance, Drama
Darsteller/Charaktere
Melvil Poupaud
als Laurence Alia
Suzanne Clément
als Fred Belair
Nathalie Baye
als Julienne Alia
Monia Chokri
als Stéfanie Belair
Yves Jacques
als Michel Lafortune
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