Bewertung
Jeff Nichols

Take Shelter - Ein Sturm zieht auf

"You think I'm crazy? Well, listen up, there's a storm coming like nothing you've ever seen, and not one of you is prepared for it!"

Foto: Copyright: 2012 ASCOT ELITE Home Entertainment GmbH
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Inhalt

Curtis LaForche (Michael Shannon) lebt mit seiner Frau Samantha (Jessica Chastain) und seiner sechsjährigen hörbehinderten Tochter Hannah in einer kleinen Stadt in Ohio. Trotz der enormen Kosten, um Hannah ein normales Leben bieten zu können, und obwohl das Geld immer knapp ist, sind die LaForches eine glückliche Familie. Als eines Tages Curtis von schlimmen Albträumen über einen apokalyptischen Sturm, der alles und jeden zerstören wird, heimgesucht wird, versucht Curtis daher auch, mit seinen Ängsten selbst zurecht zu kommen, anstatt seine Familie zu beunruhigen. Doch sein seltsames Verhalten hat schnell negative Auswirkungen auf seine Ehe und das Zusammenleben im Ort, vor allem, weil er selbst die Möglichkeit nicht ausschließen kann, dass er psychisch krank ist.

Kritik

Der Plot von "Take Shelter" könnte im Grunde auch für einen (bestenfalls mittelmäßigen) 08/15-Horrorfilm gelten. Wie einfach wäre es gewesen, Curtis seine Visionen haben zu lassen, damit er danach komplett wahnsinnig wird und in einem "Shining"-Moment seine Familie niedermetzelt? Dass dem nicht so sein wird, zeigt ein Blick auf die Besetzungsliste, hat man sich doch mit Michael Shannon und Jessica Chastain zwei der aktuell zweifellos besten Schauspieler ins Boot geholt, die beide in der Vergangenheit ein Näschen für gute Drehbücher bewiesen. In der zweiten Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols und Hauptdarsteller Michael Shannon wird zwar ordentlich Spannung aufgebaut, auf allzu offensichtliche Schockmomente wird jedoch verzichtet. Stattdessen wird ein zutiefst menschliches Drama elaboriert, das - unterstützt durch unglaublich starke Darsteller und eine behutsame Thematisierung von inhärentem Horror - die Grenzen zwischen eigener Wahrnehmung und Wahnsinn zunehmend verwischt.

Wie nicht anders zu erwarten war, sind hierbei insbesondere die schauspielerischen Leistungen von Shannon und Chastain zu loben, wobei insbesondere Michael Shannon so unverschämt gut spielt, dass er nach "Zeiten des Aufruhrs" gut und gerne zum zweiten Mal für einen Oscar hätte nominiert werden können. Curtis ist ein herzensguter Mensch, der mit den bescheidenen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, nur das Beste für seine Familie möchte und an den Rand der eigenen Zurechnungsfähigkeit gedrängt wird. Trotz der Visionen, die ihn nachweislich tief erschüttern, bis er schließlich komplett verzweifelt ist, versucht er so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, und seine Gefühle nicht zu äußern. Dass dies nicht funktioniert und er sich durch seine Albträume in erheblichem Maße trotz aller gegenteiligen Bemühungen auch charakterlich ändert, merkt er erst anhand der Reaktion seines Umfelds. Die innere Zerrissenheit bis hin zu emotionalen Ausbrüchen (besonders eindrucksvoll: Shannons Schauspiel bei der Nachbarschaftsfeier) - jede Facette wird von Michael Shannon enorm kraftvoll dargestellt.

Jessica Chastain, trotz vergleichsweise weniger Rollen mittlerweile eine angesehene Charakterdarstellerin und wohl sowas wie die Frau, die man casten muss, wenn man einen interessanten Film drehen möchte (jüngst u.a. "The Tree of Life", "The Help), kommt die eher undankbare Aufgabe zu, neben Michael Shannon zu glänzen, was bekanntlich nicht allzu einfach ist bei seiner allumfassenden Präsenz. Doch ihr gelingt es, einen ausgleichenden Part zum Wahnsinn, den Curtis umgibt, zu mimen und hierbei außerdem noch ihren Stempel aufzudrücken, indem sie so unglaublich viel mehr ist (und auch sein möchte) als nur die Ehefrau, die ihren Mann nicht versteht. Ihr kommt hierbei zudem die eminent wichtige Rolle der Außenstehenden zu, die mit einer gewissen Distanz das Verhalten von Curtis betrachten kann und damit einen auch für den Zuschauer elementaren Blickpunkt einnimmt. Shea Whigham als Curtis' Arbeitskollege trägt zu dem positiven Bild, das man von den Darstellern hat, bei und sorgt nebenbei für eine kleine "Boardwalk Empire"-Reunion.

Sicherlich, "Take Shelter" ist insbesondere ein verdammt gutes Charakterdrama. Doch ohne eine entsprechende Thematisierung der apokalyptischen Albträume, die Curtis plagen, würde ein wichtiges Puzzleteil fehlen, um den insgesamt gewonnenen Eindruck zu komplettieren. Hier fährt Regisseur die ganz großen Geschütze auf und zeigt an Motoröl erinnernden Regen, der vom Himmel hinunter fällt, bedrohliche Bilder, die außerhalb der vermeintlich sicheren eigenen Behausung zu sehen sind, sowie einen geliebten Familienhund, der sich plötzlich gegen einen selbst stellt. Die Bilder sind derart lebhaft und ungewöhnlich realistisch, dass es kaum verwunderlich ist, wie sehr sie Curtis beunruhigen - und mit ihm den Zuschauer, der sich teils selbst nicht sicher sein kann, was Realität und was Albtraum ist und ob Curtis' Visionen vielleicht doch prophezeiender Natur sind. Kameramann Adam Stone gelingt es, die verstörenden Bilder perfekt einzufangen. Dazu gesellt sich ein Score von David Wingo, der behutsam durch das Geschehen begleitet ohne hierbei künftige Ereignisse durch allzu offensichtliche Arrangements anzukündigen.

Fazit

Charakterstudie und Horrorfilm zugleich, trifft Jeff Nichols in seiner zweiten Zusammenarbeit mit Michael Shannon, angetrieben von einem großartigen Cast, genau den richtigen Ton in einer Zeit, in der sich der Mensch in Anbetracht diverser quasi-apokalyptischer Naturkatastrophen zunehmend seines eigenen Einflusses auf die Umwelt bewusst wird.

Andreas K. - myFanbase
04.11.2012

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