Bewertung
Matthew Vaughn

X-Men: Erste Entscheidung

Before he was Professor X, he was Charles. Before he was Magneto, he was Eric.

Foto: Copyright: 20th Century Fox
© 20th Century Fox

Inhalt

1964: Nachdem Eric Lehnsherr (Michael Fassbender), ein Mutant, der Metall manipulieren kann, als Kind durch Sebastian Shaw (Kevin Bacon) Unsägliches angetan wurde, schwört er Rache und setzt es sich zum Ziel, Shaw zu finden und zu töten. Unterdessen wird auch Charles Xavier (James McAvoy), ein Telepath, auf Shaw aufmerksam, als die CIA-Agentin Moira MacTaggert (Rose Byrne) ihn bittet, für die US-Regierung zu arbeiten. Charles und Eric treffen aufeinander und beschließen, weitere Mutanten zu rekrutieren, um Shaw aufzuhalten.

Kritik

Ein kurzer Blick auf die Filmtitel der letzten Jahre genügt, um ohne jeden Zweifel folgende Feststellung machen zu können: Wir leben in einem Zeitalter der Sequels. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2011 sind mit Blockbustern wie "Fast & Furious Five", "Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten", "Scream 4", "Kung Fu Panda 2", "Transformers 3", "Hangover 2" oder "Cars 2" prominente Beispiele für diesen Trend vertreten – Tendenz steigend. Da darf man sich durchaus mal die philosophische Frage stellen, ob wir denn womöglich an einem Punkt angelangt sind, an dem sämtliche Geschichten erzählt sind, an dem es aus ist mit der Originalität und wir deshalb auf alte Stories zurückgreifen und sie wiederverwerten müssen, um etwas Neues zu erschaffen.

Die Antwort auf diese Frage lautet wohl Jein. Einerseits kommt man angesichts der Überfülle an Fortsetzungen um ein Ja nicht herum, andererseits haben genug Filme der letzten Jahre gezeigt, dass es durchaus noch schöpferisches Potential im Filmgeschäft gibt. Eine Mischung aus Zurückgreifen auf altes Material und dem gleichzeitigen Versuch, diesem einen neuen Impuls zu geben, ist auch "X-Men: Erste Entscheidung". Anstatt eines Sequels haben wir hier ein Prequel, ein Film, der die Vorgeschichte zu der bereits bekannten "X-Men"-Filmtrilogie erzählen will, basierend auf den bekannten Comics von Marvel. Nachdem mit "X-Men: Der letzte Widerstand" klar war, dass diese Ära der X-Men nun beendet ist – nicht zuletzt, weil die Darsteller nicht mehr zur Verfügung standen –, der Filmmarkt aber immernoch hungrig nach neuen Geschichten über Mutanten zu sein schien, war ein Prequel die logische Konsequenz und die beste Möglichkeit, um das Franchise neu zu beleben.

Für die zentralen Rollen des Charles Xavier und Eric Lensherr hätte man dabei wohl keine besseren Darsteller casten können. James McAvoy strahlt als telepathisch begabter Charles ein unglaubliches Charisma aus und versteht es sehr gut, diese unerschütterliche Hoffnung in das Gute im Menschen, die Charles auszeichnet, zu vermitteln. Sein Gegenüber Michael Fassbender steht ihm in nichts nach und kann die Komplexität und moralische Zwiespältigkeit von Eric intensiv und überzeugend darstellen. So sind vor allem die Szenen zwischen Charles und Eric, der Anfang ihrer Freundschaft und die verschiedenen Komplikationen, die sie bis hin zur Feindschaft durchläuft, wegweisend für den Film, weswegen es schade ist, dass man das Potential hier nicht ausgenutzt hat. Anstatt mehr von der interessanten Dynamik zwischen Charles und Eric zu erzählen, zwischen Charles' unendlichem Optimismus und Erics pessimistischem Realismus, zwischen dem Vertrauen in die Weiterentwicklung des Menschen und der Ansicht, dass die Menschen sich nie ändern werden, konzentriert man sich zu sehr auf den drohenden Krieg zwischen Amerikanern und Russen und verliert so die Möglichkeit, die zwei Charaktere tiefer zu ergründen.

Noch oberflächlicher bleibt man leider auch bei den anderen Mutanten: Während Raven/Mystique (Jennifer Lawrence) und Hank/Beast (toll: Nicholas Hoult) zumindest noch den für die X-Men so zentralen Aspekt von Akzeptanz und Abstoßung durch die Gesellschaft in die Story des Films miteinbringen, sind Angel (Zoë Kravitz), Sean/Banshee (Caleb Landry Jones), Armando/Darwin (Edi Gathegi) und Alex/Havok (Lucas Till) nicht viel mehr als Statisten mit coolen Fähigkeiten. Anstatt – wie es etwa "X-Men" vor zehn Jahren hervorragend geschafft hat – das Dilemma, in dem sich die Mutanten befinden, authentisch und einfühlsam aufzuzeigen, verliert man sich in den Konflikten der Weltpolitik, die aber bei weitem nicht so interessant sind. Dafür ist die übergreifende Storyline rund um Sebastian Shaws Masterplan, den Dritten Weltkrieg anzufachen, viel zu fragmentarisch, ein richtiger Spannungsbogen wird daher nie wirklich aufgebaut.

Shaw, großartig besetzt mit Kevin Bacon, spielt in dieser Geschichte rund um die Anfänge der X-Men eine entscheidende Rolle und fügt sich als Erics Nemesis sehr gut ein. Er ist für Erics Entwicklung zentral, kommt über das übliche Bösewichtsklischee aber letztlich nicht hinaus. Was dem Film dafür sehr gut gelingt, ist die Übereinstimmung mit der etablierten Filmmythologie und das Klären wichtiger Fragen, die für die Schicksale der Charaktere entscheidend sind – wie etwa die Feindschaft zwischen Professor X und Magneto, die Herkunft von Magnetos mächtigem Helm und natürlich, wieso Charles an den Rollstuhl gefesselt ist. Zwei überraschende Cameoauftritte und humorvolle Anspielungen an die Filmtrilogie zeigen, dass der Film durchaus mit einer gewissen Selbstironie arbeitet, die ihm definitiv gut tut und über die dramaturgischen Schwächen ein bisschen hinwegsehen lässt.

Fazit

"X-Men: Erste Entscheidung" ist ein solider Superheldenfilm, der mit viel Action aufwartet, dabei aber leider die Charaktermomente und die für die X-Men eigentlich sehr wichtigen Elemente der Gesellschaftskritik und der Frage nach der "Zukunft der Menschheit" vernachlässigt. Vielleicht mag es von einer Comicverfilmung zu viel verlangt sein, eine derartig tiefgründige Richtung einzuschlagen, doch diesen Anspruch hat sich das Genre immer gestellt und ist ihm auch oft gerecht geworden, wie die Originaltrilogie beweist. Insgesamt schafft der Film es jedoch, dem Franchise neues Leben einzuhauchen und bereitet damit den Weg für eine weitere Fortsetzung – ein Sequel vom Prequel.

Maria Gruber - myFanbase
31.05.2011

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