Bewertung
Michael Haneke

Weiße Band, Das

"Als ihr klein wart, hat eure Mutter euch bisweilen ein Band ins Haar oder um den Arm gebunden. Seine weiße Farbe sollte euch an Unschuld und Reinheit erinnern."

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Inhalt

Eichwald, ein protestantisches Dorf im norddeutschen Flachland im Jahre 1913: Der hiesige Pfarrer (Burghart Klaußner), der Baron (Ulrich Tukur) und der Arzt (Rainer Bock) haben das Sagen in der kleinen Gemeinde und kontrollieren mit harter Hand das dortige Geschehen. Doch schließlich passieren Dinge, die die durch Gewalt und Einschüchterung oberflächlich hergestellte Idylle zu zerstören scheinen: Erst verunglückt der Arzt mit seinem Pferd aufgrund eines dünnen Drahtes, der zwischen zwei Bäumen gespannt ist, dann wird ein Kohlfeld verwüstet, eine Scheune angezündet und schließlich verunglückt eine Bäuerin im Sägewerk tödlich. Der sensible Dorflehrer (Michael Kranz) glaubt, eine Veränderung im Verhalten der Kinder des Dorfes zu erkennen, und bald geschieht schon das nächste Unglück...

Kritik

"Das weiße Band" ist der neue Film des österreichischen Regisseurs Michael Haneke, der international höheres Ansehen genießt als in seiner Heimat. Denn während er für seine Werke immer wieder Auszeichnungen erhält und unter anderem mit dem US-Remake seines eigenen Films "Funny Games" namhafte Charakterdarsteller wie Naomi Watts, Tim Roth und Michael Pitt für sich gewinnen konnte, blieb das erhoffte Echo im deutschsprachigen Raum oft aus. Mit seinem neuesten Werk wird nun alles anders: Nachdem "Das weiße Band" bereits die Goldene Palme von Cannes (und damit den wichtigsten dort verliehenen Preis) gewann, hat sich die Organisation German Films dazu entschieden, den Film zum offiziellen Bewerber Deutschlands für den Oscar für den besten fremdsprachigen Film zu machen. Nach zahlreichen deutschen Nominierungen, die eher durch ihre geschichtsgetreuen Settings und Kostüme als durch gute Erzähltiefe überzeugen konnten, hat man nun endlich ein Machwerk ins Rennen um den begehrtesten Filmpreis geschickt, das auf zahlreichen Ebenen punkten kann.

Was zunächst vor allem ins Auge sticht, ist die Inszenierung. In tristem Schwarzweiß, langen Einstellungen und in zahlreichen nahezu eingefrorenen Bildern, in denen sichtbar teilweise nichts zu geschehen scheint, zeichnet Haneke ein betrüblich-bedrohliches Bild eines norddeutschen Dorfes, das teilweise regelrecht auf den unmittelbar bevorstehenden Ersten Weltkrieg zu warten scheint, um sich als Gesellschaft endlich selbst zu entfesseln. Insbesondere die Gesichter der Kinder sprechen Bände, sieht man ihnen doch all die Qualen, all die unterdrückten Emotionen, das viel zu früh erzwungene Erwachsensein an. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass man im gesamten Film mit einer Laufzeit von immerhin knapp zweieinhalb Stunden genau ein einziges Mal Kinderlachen vernimmt, nämlich ironischerweise genau dann, während der Zuschauer sieht, wie der erhängte Bauer am Seil baumelt.

Doch auch wenn man selbst erkennt, dass mit den Kindern etwas nicht stimmt, so braucht man dennoch die Figur des Lehrers, damit dem allgemeinen Zweifel eine Stimme gegeben wird. Die kindlich-naive Art des Dorflehrers, der sich in das Kindermädchen Eva verliebt und woraus sich in der Folge sehr zögerlich eine unschuldige Liebesbeziehung entwickelt, schafft den nötigen Zugang zum Film und zu dessen unterschwelligem Grauen. Leonie Benesch als Eva ist hierbei die Entdeckung des Filmes und vermittelt hervorragend Unschuld, vorsichtiges Interesse und ängstlichen Respekt vor ihrem Vater. Kaum zu glauben, dass man hier einer 18-jährigen Schülerin in ihrem erst zweiten Spielfilm überhaupt zusieht. Und während die Kinder des Dorfes durchaus als die eigentlichen Hauptcharaktere anzusehen sind, ist die Verkörperung des hiesigen Pfarrers durch Burghart Klaußner ein Highlight im Bezug auf Charakterzeichnung. Sein Mund scheint ein schmaler Strich zu sein, unfähig dazu, Emotionen auszudrücken, selbst wenn er von seinem jüngsten, vor Angst und falschem Respekt wie gelähmten Sohn in einer herzerweichenden Szene einen Vogel geschenkt bekommt, da der Wellensittich, den er zuvor besaß, getötet wurde; selbst wenn er seinen ältesten Sohn und seine Tochter mit einer Rute auf brutalste Art und Weise züchtigt; selbst wenn er seinen ältesten Sohn in der Nacht ans Bettgestell fesselt, weil dieser sich "an den feinsten Nerven seines Körpers geschadet hat", dort, "wo auch Gottes Gebot heilige Schranken errichtet hat".

Auch die anderen Darsteller, größtenteils unbekannte Theaterschauspieler, können überzeugen. Dabei wird die überall herrschende Gefühlskälte am eindringlichsten durch eine gemeinsame Szene vom Dorfarzt und der Hebamme, mit der er jahrelang ein Verhältnis hatte, offenbart. Nicht nur, dass der Geschlechtsakt selbst wohl kaum mechanischer und lediglich als Erleichterung sexueller Erregung des Mannes gezeigt werden kann, die Art und Weise, wie er sie danach behandelt, könnte ekelhafter kaum sein: Sie sei hässlich, ungepflegt, ihre Haut schlaff und sie rieche aus dem Mund. Er hätte genauso gut eine Kuh bespringen können und eigentlich könne sie sich auch gleich umbringen. Dass so eine Szene letzten Endes dennoch nicht vollkommen unpassend und unnötig brutal wirkt, charakterisiert die Grundstimmung von "Das weiße Band" am besten. Sie fügt sich geradezu harmonisch ein das Bild einer Gesellschaft, die die eigene Zukunft so lange brutal erniedrigt und wegstößt, bis diese zu ungeheuerlichen Taten bereit ist. Man stelle sich diese Kinder einfach mal 30 Jahre später vor und beginnt zu verstehen, wieso Haneke vereinzelt eine Rechtfertigung des Nationalsozialismus vorgeworfen wird, obwohl der Film in seiner Fiktionalität überhaupt nicht den Anspruch auf eine geschichtlich akkurate, geschweige denn derart grob verkürzte Schilderung hat.

Fazit

Durch die erbarmungslos ruhige Inszenierung des unterschwelligen Grauens in einem beschaulichen Dorf in Norddeutschland, durch die Bank überzeugende Darstellerleistungen und durch die zeitliche Einordnung des Geschehens, die noch für Gesprächsstoff sorgen wird, ist Haneke ein Film gelungen, der mehr Horror in sich vereinigt als ein Großteil der eigentlichen Vertreter dieses Genres. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass dem Film auch im deutschsprachigen Raum die Würdigung zuteil wird, die er auch verdient hat. Und wer weiß, vielleicht wäre ein Oscar für den besten fremdsprachigen Film in deutschen Händen endlich mal wieder gerechtfertigt.

Andreas K. - myFanbase
17.10.2009

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