Bewertung

Review: #1.06 Die Beständigkeit der Erinnerung

Fünf Folgen sind vorbei und die Familien Kennish und Vasquez haben sich nach den anfänglichen Konflikten und Differenzen zusammengerauft – oder zumindest Waffenstillstand geschlossen, damit das Zusammenleben unter einem Dach einigermaßen funktioniert. Zeit also, um eine neue Variable in das Beziehungsgeflecht zu werfen: Bays Neugierde auf ihren leiblichen Vater hat zur Folge, dass sie heimlich Erkundungen über dessen Aufenthaltsort anstellt und dabei bekommt sie einen überraschenden Komplizen an die Seite gestellt.

How do you say 'Thank you' in sign language?

Mit der Entwicklung, dass ausgerechnet Emmett derjenige ist, der Bay auf der Suche nach ihrem Vater hilft, ist den Autoren definitiv ein wahrer Geniestreich gelungen. Nachdem sie in den bisherigen Folgen kaum Kontakt miteinander hatten, finden die beiden in einem zufälligen Gespräch heraus, dass sich beide in ihrer Freizeit künstlerisch betätigen. In diesem Zusammenhang erzählt Bay Emmett davon, dass sie versucht hat, ihren Vater mithilfe des Fotos von Daphne ausfindig zu machen oder zumindest mehr über ihn zu erfahren und Emmett bietet ihr daraufhin kurzerhand seine Hilfe an. Bereits in diesem ersten Gespräch deutet sich an, was sich in jeder einzelnen weiteren Szene der beiden in dieser Folge bestätigt: die beiden haben einen besonderen Draht zueinander, eine unleugbare Chemie und es ist absolut herzerfrischend, wie unkompliziert und ehrlich die Beziehung der beiden aufgebaut wird.

Ihre Unterhaltung auf dem Schrottplatz (oder wie Bay es bezeichnet: "the most rocking game of charades ever") ist mit Abstand eine der lustigsten Szenen, die es bislang bei "Switched at Birth" gab und in der Bay nach dem Drama um Ty in der letzten Folge wieder einen schlagfertigen Spruch nach dem anderen abfeuern kann. Apropos Ty: die Tatsache, dass Bay nach dessen Eintritt in die Army einen neuen love interest benötigt, lässt die plötzliche Annäherung mit Emmett auch noch in einem ganz anderen Licht erscheinen. Auch wenn die ganze Angelegenheit rein freundschaftlich beginnt, so ist eine romantische Beziehung der beiden alles andere als abwegig, denn die Autoren werden sich dieses Dramapotenzial zwischen den beiden Schwestern nicht entgehen lassen. Das unglaublich emotionale Gespräch zwischen Daphne und Bay über Daphnes Grundschulzeit und die erste Begegnung mit Emmett deutet schon an, was für eine wichtige Rolle dieser in ihrem Leben spielt und es ist vor allem nach Bays "Verbot" einer Beziehung zwischen Daphne und Liam kaum anzunehmen, dass Daphne ihrerseits kein Problem damit haben wird, wenn sich zwischen Bay und Emmett etwas entwickeln sollte.

Doch so weit sind wir noch nicht und bis jetzt lässt sich vor allem festhalten, dass Emmett und Bay eine wunderbare Kombination ergeben, von der man gerne noch viel mehr sehen möchte – und die Tatsache, dass Emmett in ein derartig wichtiges Geheimnis wie die Suche nach Bays Vater involviert ist, ist dafür schon mal ein sehr gutes Zeichen. Außerdem gefällt es mir sehr gut, dass die Problematik taub/hörend zwar thematisiert, aber überhaupt nicht problematisiert wird und man mit Bay nun als Zuschauer einen originellen Einstieg in die Zeichensprache bekommt.

Have you ever thought of a cochlear implant?

Für Daphne läuft es in dieser Folge nicht annährend so unkompliziert, nachdem Kathryn ihr vorschlägt, Kochunterricht an der Buckner Hall zu nehmen. Die Storyline hat mir insgesamt gut gefallen und hatte einige wirklich großartige Szenen, aber am Anfang waren mir die Probleme doch etwas zu konstruiert. Es ist doch sehr unlogisch, dass ausgerechnet die taube Daphne, die in der Folge zuvor gegenüber Toby so betont, dass ihre anderen Sinne die fehlende Hörfähigkeit ausgleichen müssen, nun die verbrannten Pommes frites weder riecht noch den Rauch sieht. Mir ist klar, dass dies der Auslöser für die oben erwähnten großartigen Szenen ist, aber dennoch hätte ich mir gewünscht, dass die Storyline fundierter beginnt.

Trotz des holprigen Starts entwickelt sie sich dennoch gut und steigert sich im Lauf der Folge enorm. Die durch den Vorfall im Kochunterricht ausgelöste Auseinandersetzung mit dem Cochlea-Implantat bringt wieder einmal eine komplexe und differenzierte Beschäftigung mit dem Thema Taubsein mit sich, in dessen Verlauf Regina nicht nur Kathryn, sondern auch Daphne verdeutlicht, dass mit dem Implantat nicht nur mögliche gesundheitliche, sondern auch soziale Folgen verbunden sind. Denn Daphne würde tatsächlich zwischen zwei Welten geraten, wenn sie nicht mehr taub, aber auch nicht richtig hörend ist. Allerdings erscheint es mir fast so, als ob Regina durch diese extreme Identifikation mit Daphnes Taubheit zum Teil auch ihr Fehlverhalten in Daphnes Kindheit kompensieren will und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Emmetts Mutter Melody einen großen Anteil daran hat, dass Regina sich gegenüber Kathryn so sehr gegen eine "Behandlung" der Taubheit sträubt. Umso besser hat es mir gefallen, dass sie Daphne gegenüber nicht ähnlich radikal argumentiert, sondern durchaus bereit ist, die Möglichkeit eines Cochlea-Implantats mit ihr durchzusprechen – so lange Daphne dies nicht nur haben möchte, um Kathryn oder John zufrieden zu stellen.

Damit wären wir auch schon bei dem Part der Storyline, der mich wirklich begeistert hat: die daraus resultierende Interaktion von Regina und Kathryn. Während bislang hauptsächlich die Konkurrenz der beiden Mütter in Hinblick auf Bay und Daphne gezeigt wurde, kommt es in dieser Folge zu einer wunderschönen, herzlichen Szene zwischen den beiden. Natürlich geht dieser Versöhnung am Schluss ein nicht ganz so nettes Gespräch voraus, aber selbst bei ihrem Streit, als Regina Kathryn wegen des Cochlea-Implantats zur Rede stellt, liegt ihr nicht nur daran, Daphne zu schützen, sondern auch Kathryn einen anderen Zugang zu ihrer leiblichen Tochter zu ermöglichen. Mich wundert zwar, dass Kathryn nicht bereits selbst auf die Idee gekommen ist, für Daphne Zeichensprache zu erlernen, aber ich fand es sehr toll, dass sie sich nach dem Streit nicht gegen Regina stellt, sondern deren Aufforderung ernst nimmt. Dementsprechend war es auch sehr schön, dass Regina die erste ist, der Kathryn ihre ersten Versuche in Zeichensprache vorführt. Ein unglaublich schöner Moment zwischen den beiden, der mich wünschen lässt, dass sie sich trotz aller Unterschiedlichkeit und Konkurrenz doch auf die jeweils andere einlassen, weil ich hier großes Potenzial für eine Freundschaft sehe.

Ein weiterer, wirklich wichtiger Punkt dieser Storyline war der Einblick in Daphnes Vergangenheit, nicht nur was ihre tiefe Freundschaft mit Emmett angeht, sondern prinzipiell ihre Erfahrungen als taubes (bzw. zu diesem Zeitpunkt vermutlich auch noch taubstummes) Kind. Da ihr Alltag bislang so unkompliziert dargestellt wurde, wie er dank technischer Hilfsmittel und einer Schule speziell für Taubstumme ist, war es notwendig, nun auch den komplizierten Schritt in die Welt der Hörenden zu zeigen, der es erfordert, dass Daphne immer mehr leisten muss als alle anderen. Auch wenn sie mit Regina eine große Unterstützung hat, so steht sie doch auch unter einem großen Druck, ihr Handicap aufzuarbeiten – vor allem da sie nun auch ihre leiblichen Eltern beeindrucken möchte. Mit dem Schritt, Daphne einen Kochkurs an der Buckner Hall besuchen zu lassen, überschneiden sich die Welten taub/hörend ein weiteres Mal und bieten einen neuen Einblick in den Charakter von Daphne, die ein bisschen mehr Profil bekommt. Und mit Wilke, der sich im Kochkurs durch sein beschützendes Verhalten einen enormen Batzen Sympathiepunkte eingefahren hat, auch gleich einen interessanten neuen love interest. Die beiden dürfen nun von mir aus auch gerne öfter zusammen zu sehen sein.

Your mom and I cannot keep bailing you out every time you go too far. You have to start taking responsibility for your own mistakes.

Es gibt allerdings einen, den ich gerne etwas weniger auf meinem Bildschirm sehen würde, vor allem wenn er nichts mit Daphne oder Bay zu tun hat, und das ist Toby. Mir ist klar, dass die Autoren für ihn irgendeine Story brauchen, es ist schließlich Lucas Grabeel und der wird sich nicht mit einer Sidekick-Rolle zufrieden geben. Aber wieso muss man denn diese langweilige und völlig unmotivierte Poker-Sucht aus dem Ärmel zaubern? Wieso nicht, vor allem nach #1.04 Dance Amongst Daggers, die Geschichte um Tobys Band weiter ausbauen, die außerdem auch noch Wilke und Emmett integrieren würde? Stattdessen bricht er nun also in die Schule ein und klaut einen Test, um seine Schulden bei Wilke zu begleichen – weil er zu feige ist, um seinen Eltern bzw. seinem Vater von seinem erneuten Poker-Fiasko zu erzählen. Dass dieser auf Tobys Entscheidung, seine Fehler selbst auszubügeln, einfach so einsteigt ohne näher nachzufragen, wirft auf John ein ebenso unrühmliches Licht wie auf Toby selbst.

Ich kann nicht einmal sagen, dass ich gespannt bin, wie die Geschichte nun weitergeht, nachdem die Sache mit dem gestohlenen Test vermutlich aufgeflogen ist, weil diese Nebenstory um Toby völlig unnötig ist und den Fokus von den interessanteren und relevanteren Storys ablenkt. In einem so frühen Stadium der Serie wäre es für mich viel wichtiger, mehr von Toby innerhalb der Situation mit den vertauschten Schwestern zu sehen, die für ihn als Bruder doch mindestens ansatzweise so emotional sein müsste wie für die Elternpaare. Doch anstatt sich darauf zu konzentrieren und Tobys Charakter mehr Tiefe zu geben, wird einfach eine komplett neue Story aus dem Boden gestampft, über die Toby nun plötzlich definiert wird. Das funktioniert allerdings beim besten Willen nicht und deshalb hoffe ich inständig, dass sich hinter der ganzen Geschichte noch irgendetwas versteckt, dass auch für den Handlungsrahmen der ganzen Staffel relevant ist.

The hospital just withdrew their offer, they don't want to settle anymore.

Diese Vermutung habe ich nämlich immerhin bei der letzten Storyline der Folge, der Klage gegen das Krankenhaus. Auch wenn Johns hartnäckiger und ziemlich sturer Kampf mich nicht so interessiert und seinen Charakter weiterhin unsympathisch erscheinen lässt, so hat die Storyline durch die Entwicklung am Schluss der Folge doch noch mein Interesse erregt: das Krankenhaus will also keinen Vergleich mehr, sondern sie wollen es auf einen Prozess ankommen lassen – und das nachdem sogar einer der Vorstände John indirekt gedroht hat, dass es gesellschaftliche Konsequenzen für ihn haben wird, wenn er sich gegen das Krankenhaus stellt. Das Krankenhaus muss also wirklich etwas gegen die Kennishs in der Hand haben, dass sie nun tatsächlich glauben, vor Gericht gewinnen zu können und ich bin sehr gespannt was das sein könnte.

Fazit

Obwohl Tobys Storyline ziemlich zäh und uninteressant ist, war die Folge insgesamt gesehen für mich bislang die beste der Serie. Die neuen Paarungen Emmett/Bay und Regina/Kathryn gefallen mir unheimlich gut und gemeinsam haben die Storylines über die Suche nach Bays biologischen Vater und Daphnes Probleme an der Buckner Hall eine tolle Mischung aus witzigen und emotionalen Geschichten ergeben.

Lena Stadelmann - myFanbase

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