Bewertung

Review: #2.02 Süßes und Saures

Foto: Clea Duvall, American Horror Story - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Clea Duvall, American Horror Story
© Frank Ockenfels/FX

Prinzipiell lassen sich zwei Arten von Horror unterscheiden: der offensichtliche, laute und direkte Horror, der vor allem mit inszenatorischen Mitteln erreicht werden kann, und der unterschwellige, subtile und oft noch viel wirksamere Horror, der auf psychologischer Ebene spielt. Während der ersten Staffel von "American Horror Story" die richtige Mischung aus beiden Horrortypen größtenteils gelang, so harpert es in Staffel 2 in Sachen Subtilität bisher noch gewaltig. Man hat ein bisschen das Gefühl, dass die Macher hinter jeden ihrer Schocker drei große, effekthascherische Ausrufezeichen setzen, um dem Publikum zu beweisen, wie wahnsinnig schockierend ihre Serie ist. Seht, eine aufgeschlitzte Kuh!!! Ein teuflischer Patient!!! Wackelnde Kreuze!!! Ein toter Maroon-5-Frontsänger!!! Seht ihr, wie schockierend wir sein können???!!! Dumm nur, dass der ganze Aufwand einen relativ kalt lässt.

"It's a mad house, doctor. What did you expect?"

Doch beginnen wir mit den positiven Dingen. Diese Folge präsentiert uns endlich den im Staffelauftakt vermissten Zachary Quinto aka Dr. Oliver Thredson, der nach Briarcliff kommt, um den vermeintlichen Frauenmörder Kit zu diagnostizieren. Thredson übernimmt dabei eine doppelte Funktion: Einerseits soll er als ausgebildeter Psychologe und Mann der Wissenschaft die Stimme der Vernunft sein und damit eine Bezugsperson für das Publikum darstellen. So wirkt Thredson bisher definitiv wie der normalste Charakter der Serie, doch wie wir wissen, ist es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis wir von Thredsons Leichen im Keller erfahren. Andererseits wird der Zuschauer durch Thredson dazu aufgefordert, seine eigene Definition von Verrücktheit und Normalität in Frage zu stellen: Thredson erklärt Kit sofort für verrückt und interpretiert seine Unschuldsbeteuerungen als Zeichen des Irrsinns. Inwiefern ist unsere Auffassung von Verrücktheit also von dem beeinflusst, was andere sagen, was die Gesellschaft sagt, was die Presse sagt? Inwiefern kann man sich auf die Diagnosen der modernen Psychologie verlassen? Wie lässt sich Verrücktheit diagnostizieren, wenn man sie vorspielen kann, genauso wie man vorspielen kann, normal zu sein?

Diese Frage stellt sich auch für Kit selbst, der Grace' Ratschlag, sich so verrückt wie möglich zu verhalten, nicht befolgt und nun Angst davor hat, was Thredson mit ihm anstellen wird. Die Flucht scheint der einzige Ausweg, doch Lana kann diese nicht verantworten und stellt dafür sogar ihre eigene Freiheit aufs Spiel. Zunächst mag Lanas Entscheidung, Kit und Grace zu verraten, unverständlich sein, doch bedenkt man, dass Lana von Kits Schuld überzeugt ist, so war dies wohl vielmehr ein selbstloser Akt – sie kann nicht zulassen, dass ein Frauenmörder auf freien Fuß kommt. Es wird sich zeigen, wie dieser Verrat ihre gerade erst aufgekeimte Freundschaft zu Grace beeinträchtigen wird. Diese bleibt weiterhin eine der geheimnisvollsten Figuren der Serie und lässt darauf hoffen, dass man bald mehr Hintergründe über sie erfahren wird.

"Men like sex. No one calls them whores. I hate that word, it's so ugly!"

Mehr Informationen gab es hingegen über Dr. Arden, dessen Dir-will-ich-nachts-nicht-allein-auf-der-Straße-begegnen-Faktor sich definitiv multipliziert hat. Arden ist also verliebt in, nein vielmehr besessen von Schwester Mary Eunice, die nicht nur seine Komplizin in Sachen Monsterfütterung ist, sondern auch das Objekt seiner Begierde. Dies geht so weit, dass er Prostituierte dafür bezahlt, sich als Nonne zu verkleiden und dann mit ihm zu schlafen. Arden scheint von einem Ideal der Reinheit besessen zu sein, etwas, das er ganz klar nicht hat und auch nicht in Shelley sieht, weswegen er deren Annäherungsversuche angewidert abweist. Nymphomanin Shelley hat leider weiterhin keinen anderen Zweck als von Gurken zu reden, und will irgendwie noch nicht so ganz in das Gefüge reinpassen. Sie will überall und mit allem und jedem Sex haben, das haben wir jetzt verstanden, aber darüber hinaus?

Natürlich stellt sich bei Arden nun die große Frage: Ist er der grausame Bloody Face? Wohl kaum. Arden hat zwar definitiv einen an der Macke, wäre aber wohl ein zu offensichtlicher Kandidat für Bloody Face. Dieser schlachtet diesmal übrigens nicht nur Adam Levine ab, sondern auch Clea DuVall (!). Da man weder Wendy noch Leo richtig kennen gelernt hat, ist das allerdings wohl nicht schwer zu verkraften. Der einzig interessante Nebenaspekt: Wie kann Bloody Face 1964 und 2012 präsent sein? Ist er ein Geist? Kann er durch die Zeit reisen? Ist er ein Alien? Ist er einfach nur richtig fit und steckt 50 Jahre locker in die Tasche?

"It's 1964, for God's sake. An exorcism? You can't be serious."

Kommen wir zur Hauptstoryline rund um den Exorzismus, die den Großteil der Episode ausmacht und leider auch den schwächsten. Dass ein Exorzismus bei einem derartigen Setting nicht lange auf sich warten lassen würde, war sicherlich zu erwarten und grundsätzlich ist gegen die Idee nichts einzuwenden – schließlich gibt es kaum etwas furchterregenderes als eine Teufelsaustreibung. Doch die Umsetzung war dann einfach zu viel des Guten. Da stürmt und blitzt es, der Strom fällt natürlich aus, tosender Wind, ein umhergeschleuderter Exorzist, von der Wand fallende Kreuze und dazwischen immer wieder der in fremden Zungen quasselnde Besessene. Man wird so mit Horrorelementen überladen, dass man gegen sie immun wird und vor lauter Schockern der Schockeffekt paradoxerweise ausbleibt. Letztlich stirbt Jed natürlich und Mary Eunice fällt in Ohnmacht – ein Zeichen dafür, dass der Dämon nun in ihr ist?

Der Exorzismus wird dann auch noch zu einem Anlass für Flashbacks in Schwester Judes Vergangenheit, was die ganze Angelegenheit noch abstruser macht. Die zügellose Femme Fatale, die sich nach einem schrecklichen Zwischenfall bekehrt und zur ultragemeinen Nonne wird – das ist einfach ein Klischee für sich. Diese "skandalöse" Hintergrundgeschichte hätte Schwester Jude eigentlich gar nicht nötig gehabt, denn dank Jessica Langes differenziertem Spiel und der bisher sehr gelungenen Ausgestaltung des Charakters bietet die Figur schon genug Ansatzpunkte für komplexe Entwicklungen. So aber reduziert man sie ein wenig auf die Seifenoperebene.

"Diagnosis: Acute Clinical Insanity."

Die Diagnose dieser Episode muss also lauten: zu viel Tam-Tam, zu wenig unterschwelliger Horror, zu viele Möchtegern-Skandale, zu wenig richtige Charakterentwicklung. Die zweite Staffel versucht bislang noch zu sehr, sich selbst zu überbieten und verliert dabei diejenigen Elemente aus den Augen, die die erste Staffel so packend machten: das menschliche Drama nämlich, das dadurch kreiert wird, dass man Charaktere hat, zu denen man irgendeine Art von Zugang findet. Ein Horrorszenario nach dem anderen zu liefern reicht einfach nicht. Da muss sich noch was ändern. #2.02 Tricks and Treats bietet somit leider eher Saures als Süßes und beweist, dass diese zweite Staffel erst noch das richtige Maß finden muss.

Maria Gruber - myFanbase

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