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Review: #2.06 Die Ursprünge des Bösen

Foto: Sarah Paulson, American Horror Story - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Sarah Paulson, American Horror Story
© Frank Ockenfels/FX

Mit #2.06 The Origins of Monstrosity ist die erste Staffelhälfte rum und lässt man diese ersten sechs Episoden einmal Revue passieren, so fällt einem mit eklatanter Deutlichkeit auf, dass wir in Sachen Story- und Charakterentwicklung an zwei völlig verschiedenen Punkten stehen. Während die Story mit einem rasanten, ja oft schon zu überstürztem Tempo fortschreitet und sich in unzählig vielen Subplots verheddert, so kommt die Entwicklung der Charaktere kaum in die Gänge und ist von möglichst schockierenden Enthüllungsmomenten geprägt, die aber keinesfalls zu mehr Figurenkomplexität beitragen. Es scheint nun, dass man mit dieser Episode die Lücken in der Figurenzeichnung schließen will und jedem Charakter, der bisher noch keine Hintergrundgeschichte bekommen hat, eine solche aufzudrücken versucht. Doch damit sind wir wieder am Ausgangsproblem: Die unausgegorene Konzeption der Charaktere wirkt sich negativ auf die Storylines aus, die Überfülle an Storylines verhindert eine wirkliche Ausarbeitung der Figuren. Und so kommen wir aus dem Problem der generellen Orientierungslosigkeit dieser Staffel einfach nicht raus.

"I knew, logically, rationally, that the woman on the table wasn't my mother. But somehow in the cosmic joke that is my life I felt like she could be."

Dabei startet diese Episode so vielversprechend. Schon in der vergangenen Folge entwickelte die Storyline rund um Thredson und Lana eine grausame Faszination, die nun auf die Spitze getrieben wird. Zachary Quinto ist wie erwartet sehr überzeugend als perverser Frauenmörder und spielt Thredsons gleichzeitige Verletzlichkeit und Brutalität, seine Sehnsucht nach mütterlicher Zuneigung und seinen gleichzeitgen Willen zum Mord mit enormer Intensität. Ihm gegenüber überzeugt Sarah Paulson als ihm völlig ausgeliefertes Opfer mit einem eisernen Willen zu Überleben. Die grausame Extremsituation, in der Lana sich befindet, zwingt sie schließlich dazu, Thredsons krankes Spiel mitzuspielen und sich als dessen "Mutter" auszugeben, wordurch ein wirklich völlig neues Niveau an Horror erreicht wird.

Der Blick in Thredsons Vergangenheit, der seine Abartigkeit damit zu erklären versucht, dass er ohne eine Mutter aufwuchs, funktioniert dabei überraschend gut. Ohne die Liebe einer Mutter entwickelte Thredson sich zum Außenseiter und schließlich zum Irrsinnigen, der aber gerade deshalb so angsteinfößend ist, weil er dennoch ein intelligenter Mann mit psychologischem Know-How ist. Die versteckte Kritik an der Sterilität und Härte, die zur damaligen Zeit wohl in vielen staatlichen Waisenhäusern herrschte, ist dabei nicht uninteressant. Was diesem Erklärungsversuch für Thredsons pathologisches Verhalten allerdings den Boden unter den Füßen wegzieht, ist die parallele Geschichte rund um das kleine Mädchen Jenny, deren Mutter ihr (angeblich) große Fürsorge und Zuneigung erwiesen hat, und die sich dennoch zu einem diabolischen kleinen Biest entwickelte. Die Absenz einer Mutter führt demnach zum gleichen Ergebnis wie die Präsenz einer Mutter – nämlich, dass die Nachkommenschaft zu Serienkillern wird. Soll das das Statement von Drehbuchautor Ryan Murphy sein oder wusste er selbst nicht so genau, was er aussagen will?

"I know everything. I'm the devil."

Wie heißt es doch so schön? Messer, Schere, Licht ist für kleine Kinder nicht. Vor allem nicht für Jenny. Trotz der offensichtlichen Anspielung an die beliebte Horrortrope des Creepy Childs ("Das Omen", "Das zweite Gesicht", "Silent Hill", etc. lassen grüßen) entfaltet diese Storyline einen gewissen Reiz, nicht zuletzt, da die Szene zwischen Jenny und dem wahrhaftigen Teufel in Form von Mary Eunice so gut eingefädelt wird. Ein kleines Mädchen und eine junge Nonne, die beide eigentlich der Inbegriff der Unschuld sind, entpuppen sich in Wirklichkeit als diabolische Monster. Während die Interaktion zwischen den beiden in der Küche sehr unterhaltsam ist, wirkt der Rückblick in Mary Eunices Vergangenheit aber völlig deplatziert und wie ein Versuch, Mary Eunice mal eben schnell eine Hintergrundgeschichte zu verpassen. Sehr plakativ wirkt auch Mary Eunices Tanz in roter Reizwäsche als Ausdruck der Auflehnung gegen die christliche Moral. Mal wieder gilt: Manchmal ist weniger mehr.

Derweil korrumpiert Mary Eunice immer weiter die Insassen und Mitarbeiter von Briarcliff und hat sichtlich Spaß daran. Sie hilft Spivey dabei, seine Fantasien auszuleben, durchkreuzt Schwester Judes Plan, Arden bloßzustellen, indem sie Goodman kurzerhand tötet, und macht sich völlig ungeniert an Arden heran. Dieser stellt sich nun endgültig als Nazi-Arzt heraus, der nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich anonym in die USA eingeschleust wurde und hier weiterhin seine furchtbaren Experimente treibt. Doch auch wenn im Gespräch mit Mary Eunice ganz kurz ein reumütiges Gewissen aufblitzt, so ist Arden vor allem eines, nämlich größenwahnsinnig. Die Begründung seiner Taten nach der Logik "Ich verstümmele Menschen auf dem Weg zur nächsten Stufe der Evolution, um bei der nächsten atomaren Katastrophe vorbereitet zu sein" erscheint ziemlich abstrus und wäre eigentlich nicht nötig gewesen.

"You're a monster!"

Nötig und überfällig, in dieser Episode aber leider nicht sehr geschickt platziert, ist das erneute Auftreten von Timothy. Joseph Fiennes glänzte in den bisherigen Episoden leider durch seine fast durchgängige Abwesenheit und bekommt hier endlich ein wenig mehr Spielraum – das aber leider in einer Folge, die eh schon völlig überfüllt ist mit Storylines. Wenigstens sorgt Timothy dafür, dass eine andere Storyline zu einem Ende kommt, nämlich die von Shelley, die er aus Mitleid tötet. Es scheint, dass Timothy tatsächlich einmal ein aufrichtiger Mann gewesen ist, der Briarcliff zu einem Ort machen wollte, an dem Menschen geholfen wird, dabei aber in einen bösen Deal mit Arden geriet. Ein interessanter Ansatz, der allerdings total schnell in einer kurzen Szene abgehandelt wird und dessen Potential somit überhaupt nicht ausgeschöpft wird. Bleibt zu hoffen, dass wir ab jetzt mehr von Timothy zu sehen bekommen, der ja anscheinend auch noch ein Geheimnis verbirgt, mit dem Arden ihn erpressen kann.

Wie man sieht, spiegelt #2.06 The Origins of Monstrosity insgesamt genau das Problem wider, das eingangs thematisiert wurde, nämlich die Ziellosigkeit des bisherigen Staffelverlaufs aufgrund der vielen Subplots und die folglich zu abrupte und punktuelle Charakterausformung. Eine kurze Rückblende in die Vergangenheit der Figuren reicht nicht, um sie komplex zu machen. Und eine Vielzahl an Storylines täuscht nicht darüber hinweg, dass die Staffel eigentlich gar keine wirkliche Richtung hat. Manchmal ist weniger einfach mehr. Und mehr als fünf Punkte springen auch diesmal nicht raus für eine Folge, die einige spannende Ansätze hat, diese aber leider entweder im Keim erstickt oder aufgrund der fragmentierten Erzählweise nicht zu einem abgerundeten Ganzen ausarbeiten kann.

Maria Gruber - myFanbase

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