Die besten Neuerscheinungen 2015, Teil 3

Isabella Caldart meint:
Adelle Waldman Das Liebesleben des Nathaniel P. (2013)
Nate Piven wirkt ein wenig wie der Prototyp eines Brooklyners: Er ist ein Thirtysomething aus dem Nirgendwo der USA, ein noch nicht veröffentlichter Schriftsteller mit Geldproblemen, selbsterklärter Feminist, mag seine heruntergekommene Nachbarschaft, geht zugleich aber bevorzugt in gentrifizierte Bars und pflegt seine latente Abneigung gegen die Künstler, deren Gesellschaft er immer wieder sucht. Nate hat kein Problem mit Frauen davon ist er zumindest überzeugt. Auf einer Dinnerparty seiner Ex-Freundin lernt er Hannah kennen, die zwar nicht so attraktiv ist, wie er es gerne hätte, ihn durch ihren Witz und ihre Intelligenz aber überzeugt. Die Beziehung von Nate und Hannah ist zu Beginn sehr ausgeglichen, es könnte Liebe sein. Doch eine kleine Verschiebung markiert viel zu früh den Anfang vom Ende: Nate entfernt sich innerlich von Hannah, wodurch seine Freundin erste Unsicherheiten zeigt. Und je unsicherer sie wird, desto unnahbarer ist er.
Adelle Waldmans Debüt wurde nach der Veröffentlichung im Jahre 2013 in den USA vor allem aufgrund der Darstellung ihres Protagonisten kontrovers diskutiert. "Das Liebesleben des Nathaniel P." ist ein subtiles und nuanciertes Porträt einer modernen Beziehung. Adelle Waldman erweist sich als die intelligente Beobachterin und Chronistin einer Generation, die nur zu gerne für ihre Bindungsunfähigkeit kritisiert wird.
Sascha Reh Gegen die Zeit (2015)
Es ist ein Experiment, wie es im Chile der 1970er Jahre futuristischer nicht anmuten könnte: Ein Rechner soll die Daten aller Fabriken des Landes speichern und auswerten, um die Produktionen von Gütern gezielter steuern und optimieren zu können. Zusammen mit einem Team aus Informatikern und Technikern arbeitet der deutsche Produktdesigner Hans an der Umsetzung dieses Plans. Sowohl der Unwillen der Fabrikarbeiter als auch mangelnde Einzelteile und eine politisch aufgeheizte Stimmung im Chile Allendes vereiteln ein rasches Vorankommen. Am 11. September 1973 putscht das Militär und Pinochet errichtet seine Diktatur. Plötzlich ist es Hans' Aufgabe, die gespeicherten Daten in Sicherheit zu bringen sollten sie in die Hände der Feinde fallen, käme das einem Todesurteil für viele Menschen gleich.
Der Duisburger Sascha Reh legt mit "Gegen die Zeit" einen makellosen Politthriller vor, der auf wahren Begebenheiten beruht. Auf zwei Zeitebenen werden zum einen das Leben seines Protagonisten in den Jahren vor dem Putsch und die Tage und Wochen unmittelbar nach dem Putsch geschickt miteinander verwebt.
Kristine Bilkau Die Glücklichen (2015)
Es ist die scheinbar heile Welt: Er, Zeitungsredakteur, sie, Cellistin, ein kleines Kind, die geräumige Altbauwohnung in guter Lage. Doch die Großstadtidylle zerbricht langsam, so langsam, dass Isabell und Georg den Niedergang erst bemerken, als es fast zu spät ist. Nach ihrem Mutterschaftsurlaub findet Isabell nicht zurück in ihr Ensemble. Ihre Bogenhand zittert und je mehr sie sich vor dem eigenen Versagen fürchtet, desto schlimmer wird das Zittern. Dann verliert auch Georg seinen Job. Die kriselnde Zeitung wird an einen Investor verkauft, der die Mitarbeiter reihenweise entlässt. Zu allem Überdruss flattert dem Paar eine Mieterhöhung ins Haus. Dem Vermieter reichen ein neuer Anstrich, ausgewechselte Klingelschilder und ein Kronleuchter im Treppenhaus, um die Preise ordentlich anzuziehen. In dieser Situation sollten sich Isabell und Georg mehr denn je aufeinander stützen. Doch beide haben sich unmerklich von dem anderen entfernt, sind in ihrer Verunsicherung in sich zurückgekehrt. Was bleibt, ist Schweigen.
Die Entfremdung zwischen Isabell und Georg geschieht kaum wahrnehmbar und wirkt zugleich unausweichlich. Kristine Bilkau ist mit diesem leise erzählten, wunderbar komponierten Roman das großartigste Debüt des Jahres gelungen, das zugleich von der schrittweisen Entfremdung und vom sozialen Absturz eines Mittelstandpaars erzählt.
Daniel Kehlmann Kommt, Geister (2015)
Daniel Kehlmann gehört zu den wichtigsten Romanschriftstellern Deutschlands. Bei der Frankfurter Poetikdozentur bewies er, dass er außerdem auch ein versierter Leser ist. Gekonnt verknüpft er historische, kulturelle und popkulturelle Fakten. So schlägt er in der ersten der fünf Vorlesungen einen geschickten Bogen vom Generalstaatsanwalt Fritz Bauer über die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hin zum Entertainer Peter Alexander und arbeitet an diesen drei Menschen auf brillante Weise die Nachkriegszeit auf. Auch die anderen vier Vorlesungen Kehlmanns beweisen nicht nur seine Belesenheit besonders Shakespeare hat es ihm angetan , sondern auch die seltene Gabe, verschiedene Details, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, logisch zu verknüpfen. Eine gute Portion Humor und makabre Geschichten aus der Schweiz krönt die Poetikdozentur, deren fünf Lesungen als Essays im Band "Kommt, Geister" vereint sind.
Stephan Thome Gegenspiel (2015)
Marias Freund besucht sie in Westberlin. Die Stadt ist in seinen Augen grau und hässlich, er versteht nicht, warum sie nicht zurück mit ihm nach Lissabon möchte. Doch Maria hat Portugal hinter sich gelassen, ein Land, dem immer noch der Mief der Diktatur nachhängt. In Kreuzberg gibt es Demonstrationen und Häuserbesetzungen, eine Energie, die die junge Studentin mitreißt. Und trotzdem ist es der bürgerlich wirkende Hartmut, den sie später heiratet. Das Leben verschlägt Maria und Hartmut ins deutsche Niemandsland. Erst etliche Jahrzehnte später beschließt sie, nach Berlin zurückzukehren, um am Theater zu arbeiten. Die Ehe ist schon lange am Scheitern und auch ihre gemeinsame Tochter hält die Eltern auf Distanz.
Stephan Thome ist ein ruhiger Erzähler, der in seinem dritten Roman "Gegenspiel" gekonnt große Themen vereint: Die Nelkenrevolution in Portugal, die Häuserbesetzerszene in Deutschland, der Sumpf der Einsamkeit, die Kleinbürgerlichkeit der Provinz und der Verlust der Liebe. In zahlreichen Rückblenden berichtet er von Marias Leben und dem halbherzigen Kampf des alternden Paares, ihre Ehe zu retten. Der Vorgängerroman "Fliehkräfte" erzählt übrigens die gleiche Geschichte aus Hartmuts Perspektive und ist trotzdem ganz anders.
Kommentare
Meistgelesen
Aktuelle Kommentare
25.11.2025 19:51 von chili.vanilli
Malice: Malice
Hab die Serie jetzt beeendet und schon lange keinen so... mehr


28.11.2025 00:19 von Sonia
F.B.I.: F.B.I.
Es wird immer abstruser... Jetzt sehe ich, dass die FBI... mehr