Bewertung
Kagawa, Julie

Talon - Drachenzeit

"Mit einem überraschten Blinzeln blieb ich stehen, denn erst jetzt fiel mir wieder ein, dass manche Menschen innerhalb der Organisation – nämlich jene, die unser wahres Wesen kannten – sich vor uns fürchteten."

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Inhalt

Ember und ihr Zwillingsbruder Dante freuen sich auf den Sommer unter der kalifornischen Sonne. Im idyllischen Crescent Beach erwartet sie das pure Leben, umgeben von Sonne, Strand und Meer – das zumindest würde Embers Vorstellungen entsprechen. In Wahrheit ist die Aussicht nicht ganz so sonnig. Ember und Dante sind Drachen und der Sommer in Crescent Beach ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Ausbildung. Neben dem Surfen, Sonnen und Flirten stehen deshalb das Erlernen menschlicher Verhaltensmuster und ein schweißtreibendes Training auf dem Programm. Beides kann Ember gut gebrauchen, denn während sie unter der Fuchtel einer gruseligen Ausbilderin steht, heimlich die Drachenflügel ausbreitet und sich mit einem Einzelgänger anfreundet, rückt der Feind näher. Dass der Erzfeind jung, gutaussehend und charmant ist, macht die Sache nicht leichter. Wie gut, dass die sechszehnjährige Ember nicht ahnt, dass ihr intensiver Sommerflirt Garret ein Drachenjäger des verhassten St. Georg Ordens ist...

Kritik

Die Drachen sind los! In Julie Kagawas neuster All-Age-Fantasy-Serie leben sie sogar mitten unter uns, getarnt als Menschen und gejagt von einem tödlichen Drachenjägerverein. Dabei verbirgt sich hinter dem Talon-Orden keineswegs nur eine Spezies, die verzweifelt ums Überleben kämpft, sondern eine Organisation, die im Verborgenen systematisch die Strippen der Macht zieht. Klingt spannend? Das ist die Story größtenteils auch! Wer die "Plötzlich Fee"-Reihe von Julie Kagawa liebte, dürfte an "Talon – Drachenzeit" ohnehin nicht vorbeikommen. Wer aber bereits die "Firelight"-Trilogie von Sophie Jordan gelesen hat und mit der Romanze zwischen einem weiblichen Drachen und einem Drachenjäger vertraut ist, könnte - wie ich - beim Lesen vielleicht ähnliche Müdigkeitserscheinungen erleiden.

Dabei nimmt sich die Autorin Zeit für die einzelnen Figuren und macht aus der Drachenthematik etwas Individuelles, insbesondere in Bezug auf den Talon-Orden und dessen autoritäre Machtstrukturen, denen sich auch die junge Ich-Erzählerin Ember Hill unterordnen muss. Von Beginn an ist klar: Ember und ihr Zwillingsbruder Dante sind Drachen in der Ausbildung. Der bevorstehende Sommer im idyllischen Crescent Beach gehört dazu. Denn im Vergnügen liegt zugleich die Arbeit. Für die Mitmenschen sind Ember und Dante zwei normale Jugendliche, die Spaß beim Surfen, Beachvolleyball und Chillen unter der kalifornischen Sonne haben, in Wahrheit sind jedoch die Menschen ihre Mission und das kräftezerrende Workout beginnt hinter verschlossenen Türen. Es gilt sich anzupassen, den "Feind" zu studieren und für die späteren Aufgaben im "Talon"-Orden zu perfektionieren. Nebenbei wird das Vertrauen der ungleichen Blutgeschwister ein ums andere Mal auf die Probe gestellt.

Den Gegenpart bildet der zweite Ich-Erzähler Garret. Seit dem Tod der Eltern ist er ein Soldat beim Orden des heiligen St. Georg, der die gefährlichen Drachen jagt und tötet. Abwechselnd taucht der Leser in die Gedanken von Ember und Garret ein und findet schnell heraus, dass die beiden gar nicht so verschieden sind. Beide leben nach den Regeln des jeweiligen Ordens und sind alles andere als normal aufgewachsen. Sie stehen hinter dem, was sie sind, und müssen letztlich doch ihre bisherige Sichtweise hinterfragen. Dass sie auf unterschiedlichen Seiten agieren, ist natürlich aufregend und ein gern gelesener Klassiker – man denke nur an die auf der zweiten Seite erwähnte "West Side Story".

Das erste Buchdrittel ist dagegen weniger spannend. Julie Kagawa geht ihre Heldenreise detailliert an und führt den Leser ausführlich in die Welt der Drachen und Jäger ein. Man erfährt einiges über Embers Sehnsucht nach ihrer Drachengestalt, ihr neues Umfeld und den Talon-Orden. Garrets schießwütiger Jagdalltag präsentiert sich da schon eine Spur spektakulärer, ändert aber nichts daran, dass sich die ersten Kapitel wie ein träges Sonnenbad am Strand anfühlen. Dass die Geschichte aus hauptsächlich zwei (und sporadisch insgesamt vier) Perspektiven erzählt wird, hat Vor- wie Nachteile. Die Perspektivenvielfalt fördert die Charakternähe, kommt dem Spannungsbogen aber nicht unbedingt zugute. Dass mit dem Einzelgänger Riley dann ein weiterer, klischeehafter Love Interest auf dem Motorrad angebraust kommt (wer denkt nicht an ein Liebesdreieck in den Folgebänden?) macht die Sache nicht besser. Obwohl Julie Kagawa ein malerisches Kopfkino erzeugen kann und interessante Charaktere kreiert, schleicht sich in den stereotypen Riley-Momenten ein gähnender Klischeefaktor ein.

Dennoch dürften Leser übernatürlicher Liebesgeschichten auf ihre Kosten kommen. Julie Kagawa weiß, wie sie den Leser mit auf die nächste Welle nimmt und eine prickelnde Atmosphäre in sommerlicher Kulisse erzeugt. Das Konfliktpotential lauert auf den einsatzbereiten Angriff und hält den Leser vorerst mit einem jugendlich-romantischen Katz- und Mausspiel bei Laune, das vor allem die junge Zielgruppe ansprechen dürfte. Die Romanze zwischen Ember und Garret entfaltet sich behutsam und beinhaltet eine nachvollziehbare Charakterentwicklung beider Protagonisten. Der Moment der Wahrheit lässt lange auf sich warten, ist es aber so weit, werden die Klauen geschärft und ein Finale eingeläutet, das im Plot vielleicht nicht komplett überrascht, den Spannungsbogen aber ordentlich strafft. Endlich stehen Drama und Action auf dem Spielplan und ein Ende (Cliffhanger!), das selbstverständlich nach dem Folgeband "Talon – Drachenherz" verlangt, der im Januar 2016 auf den Buchmarkt kommen soll.

Fazit

Nach Julie Kagawas erfolgreicher "Plötzlich Fee"-Reihe sind nun die Drachen los. "Talon – Drachenzeit" bietet einen soliden Auftakt der "Talon"-Serie und dürfte vor allem junge Fantasyleser begeistern. In den ersten Kapiteln braucht es einen langen Atem und bei dem einen oder anderen Klischee darf gerne ein Auge zugedrückt werden. Ansonsten ein lesenswerter Auftakt, der sich Zeit für die einzelnen Charaktere nimmt und trotz des bekannten Romantik-Musters mit individuellen Ideen zu glänzen weiß.

Doreen B. - myFanbase
12.12.2015

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