Bewertung
Aguirre, Ann

Die Zuflucht

"Ich hielt ihn fest und dachte, dass es nichts in der Welt gab, was ich nicht für diesen Jungen tun würde."

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Inhalt

Zwei und ihre kleine Truppe haben es tatsächlich geschafft, sie haben Erlösung erreicht, den Ort im Norden, der als einziger vor der grausamen Welt sicher sein soll. Dort leben Zwei, Pirscher, Bleich und Tegan ein für sie ungewöhnliches Leben. Sie haben Nahrung im Überfluss, müssen zur Schule gehen und sich ihnen völlig fremden Ritualen und Gepflogenheiten anpassen. Zunächst genießen sie die neu gewonnene Sicherheit, doch schnell fühlt sich die Truppe fehl am Platz. Tegan lebt sich am besten in die neuen Strukturen ein, während Zwei und die Jungs sich nutzlos fühlen. Zu allem Überfluss entfernt sich Bleich merklich von Zwei. Die Distanz und ihre verlorene Wertigkeit als Jägern schmerzt Zwei, sodass sie beschließt, wenigstens mit Pirscher zu trainieren, um nicht aus der Form zu kommen. Nach einiger Zeit fühlt sich Zwei in ihrer Pflegefamilie aufgenommen. Als eine Aufgabe für die geübten Jäger ins Haus steht, tritt auch Bleich wieder in ihr Leben. Alles scheint besser zu werden, doch schnell stellt sich heraus, dass das nächtelange Training nicht umsonst gewesen sein sollte und sich alles verändern wird.

Kritik

Der zweite Teil aus Ann Aguirres dystopischer Trilogie hat lange auf sich warten lassen. Er steht dem Vorgänger jedoch in nichts nach. Im Gegenteil, mir hat er sogar noch ein klein wenig besser gefallen, da man den Hauptfiguren schon viel näher ist, sie verstehen, ihre Handlungen nachvollziehen und sogar ein bisschen vorausahnen kann. Man wird beim Lesen gewissermaßen zum Teil dieser Überlebenstruppe als stiller Beobachter, weiß jeden einzelnen mit seinen besonderen Fähigkeiten zu schätzen und bangt um sein Wohl.

Im Mittelpunkt steht natürlich der Kampf gegen die stets intelligenter werdenden Freaks. Erlösung hat sich gut aufgestellt, doch bei der Aussaht der Nahrungsmittel für den kommenden Winter außerhalb der schützenden Stadtmauern stellt sich heraus, dass die Freaks lernen. Im Laufe des Romans erfährt der Leser zunehmend von erschreckenden Fähigkeiten, die sich die wandelnden Toten ganz offensichtlich von den Menschen abgeschaut haben. Die Kämpfe werden immer aussichtsloser und obendrein vereinfachen verschiedene Zwiste innerhalb der Stadtmauern die Lage nicht. Man wird als Leser hineinreingerissen in eine zukünftige Welt, die derart gut beschrieben ist, dass sie erschreckenderweise zum Greifen nah scheint. Wie es sich in einem zweiten Teil gehört, steigt die Spannung zunehmend an und endet in einem erneuten Aufbruch unserer Kämpfer in einen nahezu unbestreitbaren Krieg.

Ein weiteres Hauptelement des Buches ist die Liebesgeschichte zwischen Zwei und Bleich, die zunächst erloschen scheint, doch im Laufe der Handlung wieder aufflammt. Die unbeschreibliche Zuneigung und Verbindung, die sie füreinander empfinden macht einen sprachlos, fast neidisch, da ich nicht weiß – es dennoch hoffe – ob es solch eine Beziehung zwischen zwei Menschen in der realen Welt geben kann. Ein bisschen ärgerlich und doch logisch ist da, dass die Autorin stets versucht, Zwietracht zu streuen und das Band zwischen den beiden zu lockern. Dennoch ist ihre Geschichte so stark, dass man beim Lesen jeder Seite um die beiden als Einheit bangt.

Diese nahezu übernatürliche Hingabe erinnert ein wenig an "Twilight". Auch der nahezu nervige dritte Part – in diesem Fall Pirscher - , der irgendwie nicht richtig dazu gehört, sich aber doch einen Platz im Herzen der Heldin erschleicht, weist deutliche Parallelen auf. Ich als Leserin kann das jedoch verzeihen, da die Welt, in der sich alles zuträgt, eine komplett andere ist.

Besonders positiv zeigt sich für mich die Entwicklung der Charaktere im Verlaufe des Buchs. Sie werden stärker, aber auch schwächer, verstehen (sich) mehr, lernen sich als Jugendliche und Menschen kennen und verlieren sich gleichzeitig in ihren alten Weltansichten. Es werden bei jedem der Hauptprotagonisten auf 380 Seiten (Spielzeitraum etwa ein Jahr) Erkenntnisse erreicht, Fragen aufgeworfen, Ansichten verworfen und neue gewonnen, wie es bei vielen von uns über mehrere Jahre passiert. Es scheint nahezu wie ein Schnelldurchlauf der eigenen Jugend. Das ist einerseits faszinierend, da man viele der Schritte in gewisser Weise selbst einmal durchlebt hat. Auf der anderen Seite ist es auch ziemlich anstrengend, denn man hat tatsächlich das Gefühl, die Emotionswelt vierer Jugendlicher in wenigen Lesetagen durchzumachen. Dass es einen als Leser so mitnimmt, ist vermutlich jedoch eher ein gutes Zeichen und spricht für die Qualität des Buches.

Auch der Schreibstil hat sich meiner Meinung nach noch ein bisschen verbessert und wirkt insgesamt sehr flüssig. Man muss selten zum Nachdenken pausieren oder einen Satz oder Abschnitt noch einmal lesen. Die Worte fließen einen an den Augen vorbei, malen das Bild der Sprache und lassen eine Welt aufleben, die wie ein Film im Kopf abläuft.

Zu Bedauern ist die lange Zeit, die zwischen der Veröffentlichung der beiden Teile vergangen ist und die damit einhergehende Befürchtung, dass wir uns mit Hinblick auf den dritten Teil zumindest im deutschsprachigen Raum lange gedulden müssen. Zudem sind mir (wie so oft) für meinen Geschmack ein paar Rechtschreibfehler zu viel aufgefallen. Das sollte nicht passieren, insbesondere wenn sich für den Release eines Buches so lange Zeit gelassen wird. Auch verstrickt sich die Autorin manchmal in ihrer eigene Sprache. Es ist bewundernswert, aber auch eine potentielle Fehlerquelle, dass sie sich für jeden Lebensraum (unten in den U-Bahnschächten, oben in den Ruinen, in der Stadt Erlösung) eine individuelle Welt mit eigenen Riten und Begriffen ausgedacht hat. Doch verwechselt sogar Aguirre manchmal die Sprache der Wölfe mit der der Stadt- oder der Tunnelbewohner. Wer solch vielfältige Erzählräume aufmacht, muss umso mehr aufpassen, sich nicht darin zu verlaufen.

Fazit

Wenn man sich damit abgefunden hat, dass man in der Welt der Fantasy/Dystopie eben häufig auf den "Twilight"/"Tribute von Panem"-Zug aufspringt, kann man über auffällige Parallelen hinwegsehen. Wen das nicht stört, der wird von "Die Zuflucht" größtenteils erstklassig unterhalten und in den Bann der atemberaubenden und auch erschütternden Welten gezogen. Wer sich dem Buch und seiner starken Entwicklung erst einmal hingibt, wird es so schnell nicht mehr aus der Hand legen. Insbesondere die stets ansteigende Spannungskurve und die kapitelschließenden Cliffhanger geben dem Buch einen imposanten Stellenwert im Vergleich zu einigen anderen Werken; wenngleich es nicht alle aktuellen Dystopien vom Thron stoßen kann.

Zur Rezension von Band 1 "Die Enklave"

Janina Funk - myFanbase
08.07.2015

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