Bewertung
Palahniuk, Chuck

Der Simulant

"Was sich hier abspielt, wird dich erst einmal ankotzen. Und von da an wird es immer nur noch schlimmer."

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Inhalt

Nachdem er sein Medizinstudium abgebrochen hat, arbeitet Victor Mancini als Laiendarsteller in einem historischen Dorf, um die Kosten für die Pflege seiner Mutter zu bezahlen, die in einer psychiatrischen Anstalt dahinsiecht. Victors zweite Einnahmequelle ist noch bizarrer: in vornehmen Restaurants gibt er vor, an seinem Essen zu ersticken, damit einer der Gäste ihn retten kann und sich vor lauter Stolz über diese Heldentat auch weiterhin mit Geldgeschenken um ihn kümmert. Wenn Victor nicht gerade versucht, sein Konto aufzubessern, ist er mit seiner Sexsucht beschäftigt oder verbringt Zeit mit seinem besten Freund und Kollegen Denny, der seine eigene Sexsucht mit einer seltsamen Sammelwut zu bekämpfen versucht. Als Victor eines Tages Dr. Paige Marshall, die Ärztin seiner Mutter, kennen lernt, machen sich zum ersten Mal Gefühle in ihm breit.

Kritik

Nachdem ich schon ein paar Werke von Chuck Palahniuk gelesen habe, unter anderem "Die Kolonie", weiß ich im Grunde genau, was mich erwartet, wenn ich einen seiner Romane zur Hand nehme, und doch landet der Autor mit seinen vielen grotesken Details und den bitterbösen Seitenhieben auf die Gesellschaft immer wieder wirkungsvolle Überraschungstreffer. So auch in diesem Fall, wenngleich "Der Simulant" nicht Palahniuks größter Geniestreich ist.

Der Antiheld dieses Romans heißt Victor Mancini. Seine Sexsucht und sein Trick mit den vorgetäuschten Erstickungsanfällen sind Ausdruck einer inneren Leere, die groß genug ist, um eine eigene Postleitzahl zu verdienen. Der Ursprung dieser Leere liegt in Victors mehr als seltsamer Kindheit an der Seite seiner Mutter Ida, einer verrückten Aussteigerin, die ihren Sohn von einer wahnsinnigen Aktion zur nächsten geschleift hat. Wenn sie mal wieder verhaftet wurde, was praktisch im Wochentakt passierte, kam Victor zu normalen Pflegeltern, von denen seine Mutter ihn dann bei nächster Gelegenheit wieder weggeholte. In der Gegenwart vegetiert Ida in einer Anstalt vor sich hin, deren Kosten Victor ein dickes Loch ins Portemonnaie fressen. Hauptberuflich lebt er im Jahr 1734. Er ist Darsteller in einem historischen Dorf, das den Besuchern das frühe 18. Jahrhundert näher bringen soll. Dieses Geschichtsdorf ist ein gutes Beispiel für pechschwarze Ironie, denn die Laiendarsteller um Victor und Denny sind ständig so zugedröhnt und derart gleichgültig, dass sie die hygienischen Zustände an ihrem Arbeitsplatz noch extremer ausarten lassen, als sie damals im 18. Jahrhundert wirklich waren.

Vor bitterbösem Zynismus triefen auch Victors Besuche bei seiner Mutter in der psychiatrischen Anstalt. Er kommt zwar als nominell gesunder Besucher dorthin, dennoch nimmt er ein geradezu schizophrenes Verhalten an und schlüpft immer wieder in verschiedene Rollen, die einer Multiplen Persönlichkeitsstörung würdig wären. Da seine Mutter ihm etwas verschweigt, gibt er ihr gegenüber vor, ein Mann aus ihrer Vergangenheit zu sein, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Bei jedem anderen Patienten, der ihm über den Weg läuft, schlüpft er in die Rollen der Person, die diesem Patienten irgendwann einmal besonderes Leid zugefügt hat, vom missbrauchenden Bruder bis hin zum feindlichen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Victor gibt den Patienten so die Gelegenheit, ihre angestaute Wut und Verzweiflung raus zu lassen. Dies tut er weniger aus Nettigkeit, als vielmehr aus einer grundlegenden Bereitschaft heraus, sich selbst zu demontieren, um Beachtung zu bekommen. Negative Aufmerksamkeit ist schließlich besser als gar keine Aufmerksamkeit.

Auch was das Thema Sex angeht, spart Chuck Palahniuk nicht mit provokanten Beschreibungen und kuriosen Situationen. Wie man es von dem Autor gewohnt ist, vermittelt er den Lesern im Laufe der Handlung jede Menge Wissen, das man eigentlich nie besitzen wollte. Obwohl es eine Art Liebesgeschichte zwischen Victor und der Ärztin Paige gibt, ist diese gänzlich frei von Kitsch oder Romantik, denn die Beziehung findet vor allem auf der Ebene gegenseitiger Faszination statt.

Über weite Strecken ist "Der Simulant" also satirisches Vergnügen der bösen Art, nur die letzten Kapitel wirken etwas zu wortreich und haben keinen richtigen Biss mehr. Ab einem gewissen Zeitpunkt erreicht der Ich-Erzähler Victor die Leser nicht mehr, da sein Verhalten eher lächerliche Züge annimmt und sich viele Situationen in seinem Leben auf eine Weise auflösen, die nicht wirklich überraschend ist.

Fazit

"Der Simulant" ist nicht der beste Roman von Chuck Palahniuk, bietet aber dennoch größtenteils die richtige Mischung aus Sex und Wahnsinn.

Maret Hosemann - myFanbase
08.04.2011

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