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Damien Rice

Damien Rice – Live in Concert

Was schreibt man über einen Mann, der einem mit seiner Musik schlicht die Worte raubt? Und wie kann man über ein Konzert-Erlebnis berichten, das eigentlich unbeschreiblich ist?

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Diese Gedanken plagen mich nun schon seit ich durch ein wenig Glück, Zufall und den nötigen Tick Verrücktheit, die Gelegenheit bekam, gleich drei Mal Zeuge der Live-Qualitäten meines Lieblingsiren Damien Rice auf dessen Europa-Tour zu werden. Eine Entscheidung, die ich keinesfalls bereut habe und wohl die meisten, die dieses außergewöhnliche Vergnügen mit mir teilten, vollkommen nachvollziehen können.

"La Laiterie" in Strasbourg ist die erste Station meiner kleinen Reise. Inmitten von einem Haufen geschwätziger Franzosen, etwas weniger redseligen Deutschen und einigen leicht angetrunkenen Iren stehe ich mit steigendem Herzklopfen und hochgesteckten Erwartungen in der zweiten Reihe der Grande Salle, ungeduldig auf den Mann harrend, der mir mit seiner Musik die trüben Herbst- und Wintertage der letzten Monate so sehr versüßt hat. Doch zunächst ist es an den Magic Numbers, dem Publikum die Wartezeit bis zum Hauptact des Abends zu versüßen. Dies gelingt den beiden Geschwisterpärchen aus London auch ohne Frage. Mit Ohrwürmern wie "Forever Lost" und "This is a Song" sowie einer ganz und gar zauberhaften Cover-Version von Kate Bushs "Running up that Hill" gewinnen sie durch ihren Auftritt so einige neue Fans hinzu.

Während diese nach einem derartig heiteren Vorprogramm erstmal wieder durch Songs von Elliott Smith und Jacques Brel in die "richtige" Stimmung für das bevorstehende Konzert gebracht werden müssen, herrscht auf der Bühne reges Umbauchaos. Man könnte meinen, ein Singer/Songwriter wie Damien Rice bräuchte nicht mehr als eine Gitarre und seine Stimme, um sein Publikum begeistern zu können. Dem mag bestimmt auch so sein, umso überraschter zeigt sich der ein oder andere von der Masse an Instrumenten, die da hin und her geschoben werden, darunter ein ausgewachsenes Schlagzeug, ein schwarzer Flügel, ein Cello, ein Kontrabass, ein Rhodes Piano sowie gut ein halbes Dutzend Bass-, E- und Akustikgitarren. Nachdem die letzten Kerzen und Räucherstäbchen auf der Bühne angezündet sind, erscheint endlich auch die dazugehörige sechsköpfige Band und legt direkt mit einem Song los, den ich wohl am allerwenigsten erwartet hätte.

Von wundervoll traurigen Klavierklängen begleitet, stimmt ein zerzauster Damien Rice das so gut wie noch nie zuvor live gespielte "Sleep Don't Weep" an, das mir gänzlich entgegen seines Titels sogleich Tränen in die Augen treibt. Spätestens als seine bezaubernde Gesangspartnerin Lisa Hannigan in den Song mit einsteigt und Vyvienne Long das Wechselspiel der beiden Stimmen durch ihr Cello untermalt, herrscht im gesamten Saal absolutes Gänsehaut-Feeling. Noch bevor das Publikum diesen herrlichen Einstieg überhaupt verdaut hat, geht die Band bereits fließend zum nächsten Lied über. "Volcano" stellt sich mit zeitweise sogar dreistimmigem Gesang (Unterstützung gibt es von Drummer Tomo) und einer mitreißenden Jam Session am Ende als eine der stärksten und intensivsten Darbietungen des Abends heraus. Als direkt im Anschluss auch noch mein unangefochtener Rice-Favorit "Woman Like a Man" folgt, bin ich vollkommen selig und froh darum, dass dem Publikum nach dieser spannungsgeladenen Performance erstmals eine kleine Atempause gegönnt wird.

Denn Struwweldamien schwelgt ein wenig in Erinnerungen und erzählt in beneidenswertem Französisch von seiner Zeit in Strasbourg, bevor er sich mit dem nächsten Song "Older Chests" aufrichtig dafür bedankt, dass die beeindruckende Altstadt immer noch die gleiche geblieben ist. Den Rest des Abends geizt der schmächtige Ire mit den leuchtend blauen Augen zwar mit solch charmanten Anekdoten, übertrifft musikalisch jedoch alle Erwartungen, sei es nun durch spontane Improvisationen mit seiner großartigen Band, solch traumhaft schöne Klavierballaden wie "9 Crimes" oder das furiose Radiohead-Cover "Creep", das er gekonnt in "The Blower's Daughter" einbettet. So jagt ein Highlight das nächste und lediglich die immer wiederkehrenden Begeisterungsschreie des teilweise sehr nervtötenden Publikums vermögen diese ein klein wenig zu trüben. Doch bei einer solchen Spielfreude auf der Bühne ist jeglicher Gram schnell verflogen.

Spätestens dann, wenn Damien Rice das Rampenlicht vorübergehend seiner Cellistin Vyvienne überlässt und diese mit einer äußerst charmanten Version des White Stripes Kulthits "Seven Nation Army" aufzuwarten weiß. Doch auch die restlichen Bandmitglieder dürfen in einer überlangen und elektrisierenden Version von "I Remember" zum Abschluss nochmal so richtig glänzen. Allen voran Lisa Hannigan, die neben ihrem normalen Gesangspart gegen Ende auch noch ein wenig von Chers "Bang Bang" und Nina Simones "Feeling Good" zum Besten gibt und somit das reguläre Set absolut würdevoll beendet. Nach einer kurzen Pause gibt es dann noch ganze drei Zugaben, bevor "La Fille Danse" letztendlich nach insgesamt zwei Stunden Konzert den endgültigen Schlusspunkt unter einen phänomenalen Auftritt setzt.

Am Abend darauf im Kölner Palladium: Wiederum begeistern erst einmal die Magic Numbers mit unwiderstehlichen Melodien und ihrem Hippie-Charme, bevor Damien Rice und seine Band sich die Ehre geben und sanft und leise mit "Delicate" ein Konzert eröffnen, das so manchen der sage und schreibe knapp 4000 angereisten Fans überraschen, wenn nicht gar erschrecken sollte. Denn die meisten, die diesen Mann noch nie live erlebt haben, haben keinerlei Vorstellung wie vielschichtig und wandlungsfähig er ist. Dies stellt er sogleich mit einer völlig entfesselten Performance von "Me, My Yoke + I" unter Beweis. Direkt unter einer der großen Lautsprecherboxen stehend, werde ich durch die zunehmend lauter und schriller schrammenden Gitarren, den verzerrten "Gesang" und Shane Fitzsimons' Mörder-Bass buchstäblich weggeblasen. Dem zum Teil leicht verstört wirkenden Publikum scheint diese überwältigende Einlage förmlich die Sprache zu verschlagen. Rice zeigt sich jedoch versöhnlich und stimmt direkt im Anschluss das wesentlich ruhigere "Eskimo" an. Mehr noch, bewegt er sich nach nur wenigen Zeilen langsam in Richtung Bühnenrand und singt in der riesigen Halle schließlich vollkommen unverstärkt. Zu meinem Bedauern stimmt die Menge in das Lied mit ein anstatt andächtig zu lauschen, so dass Rice schon bald wieder seinen Weg zurück zum Mikro antreten muss. Trotzdem bildet der Song mit Lisa Hannigans umwerfendem finnischen Gesangspart und einem wundervollen Klavier-Outro zweifellos einen der Glanzpunkte des Konzerts.

Als Rice sich nach fünf Songs zum ersten Mal an das Publikum richtet, bedankt er sich zunächst brav bei den Magic Numbers für ihren Support. "It's impossible to listen to them and not tap your foot and not smile", meint er und fügt leicht spöttisch mit seinem irischen Akzent hinzu: "We don't have that many uplifting songs", nur um anschließend nach einer eingehenden und äußerst amüsanten Einführung einen genau solchen zu spielen. "Coconut Skins" schafft dann auch das für viele vorher Unvorstellbare und reißt das Publikum derart mit, dass in der gesamten Halle plötzlich mitgeklatscht, ja sogar getanzt wird. Der folgende Percussion-Jam tut sein Übriges zur ohnehin schon grandiosen Stimmung und mündet schließlich in einer nicht minder ausgelassenen Cover-Version von "Be My Husband", in die Lisa Hannigan auch noch geschickt den Magic Numbers Song "Love Me Like You" einbaut. Irgendwann findet Damien Rice aber auch wieder zu den leisen und melancholischen Tönen zurück, für die er von seiner Hörerschaft so sehr verehrt wird. So brilliert "The Animals Were Gone" live genauso wie auf dem Album, während die eher unbekannte B-Seite "The Rat Within the Grain", eine äußerst minimalistisch gehaltene und fast schon traditionelle Folk-Nummer, vor allem durch ihre genialen Lyrics besticht.

Die absolute Krönung des Abends bildet für mich jedoch mit Abstand das teilweise leicht an Cohens "Famous Blue Raincoat" erinnernde "Is That It, My Friend", eines der vielen bisher noch unveröffentlichten Meisterwerke des Iren und solch ein famoses Stück Musik, dass es einem fast den Atem raubt. Immer mehr steigert sich Rice in den anfangs noch so verhaltenen Song hinein, singt und "bläst" sich zunehmend die Seele aus dem Leib, bevor das Lied schließlich in eine wilde und geradezu reggaeartige Jam Session übergeht. Und als sei das noch nicht genug, wird aus dem Stegreif mal eben noch ein kleines Ständchen für und über das Kölner Publikum improvisiert. Dieses scheint das emotionale Wechselbad, das die immens talentierten Vollblutmusiker da auf der Bühne bieten, in vollen Zügen und bis zur letzten, nervenaufreibenden Zugabe zu genießen. Lediglich einige vereinzelte Fans, die vermutlich mit einem wesentlich zahmeren Damien Rice gerechnet haben, wirken enttäuscht. Der Rest hingegen ist wohl endgültig dem unweigerlichen Rice-Rausch verfallen. Das direkt nach Konzertende eingespielte "I Put a Spell on You" von Nina Simone kommt also keineswegs von ungefähr.

Mein ganz persönliches Damien Rice-Fieber erreicht einige Tage später in München erneut seinen Höhepunkt. Das Konzert im Herkulessaal der Münchner Residenz erweist sich zu meinem Erstaunen im Vergleich zu den beiden vorherigen Gigs als vollkommen anderes Erlebnis. Dies liegt zum einen sicherlich an dem imposanten und vorwiegend bestuhlten Veranstaltungsort, zum anderen aber auch an der Abwesenheit von Lisa Hannigan sowie der Ersetzung des "echten" Schlagzeugs durch eine schlichte Djembé-Trommel. Während letzteres angesichts Tomos außergewöhnlicher Percussion-Künste gar nicht mal so sonderlich auffällt, muss sich das Publikum an das Fehlen der betörenden Stimme von Miss Hannigan zunächst noch gewöhnen, ist sie doch mittlerweile zu einem solch festen Bestandteil der Musik des irischen Songwriters geworden. Nachdem das so harmonische Zusammenspiel der beiden Sänger in den ersten Songs noch ein wenig vermisst wird, lässt spätestens das durch Mark und Bein gehende "Elephant" jegliche Sehnsüchte nach einer weiblichen Zweitstimme auf ein Minimum schwinden. Auch "Rootless Tree" weiß vollauf zu überzeugen. Zwar kommt der Song in der gespielten Piano-Version weit weniger rasend daher, büßt deswegen aber keineswegs seine ungeheure Emotionsgewalt ein.

Die beeindruckende und "almost holy" Location scheint Rice genauso zu imponieren wie dem durchgehend respektvollen und ehrfürchtig staunenden Publikum. Er wagt es nicht viel Lärm zu machen (daher das akustische Drumset) und spielt kurzerhand "Cannonball" völlig unplugged, ohne Band und ohne Mikro. Sein bemerkenswertes Organ durchdringt den gesamten mucksmäuschenstillen Saal und jagt selbst meiner Wenigkeit in einer der hintersten Reihen unzählige Schauer über den Rücken. Der Fall der berühmtberüchtigten Stecknadel, die man definitiv hören könnte, bleibt aus. Dafür ist der Applaus nach dieser tief bewegenden Vorstellung umso ohrenbetäubender.

Nachdem sich Damien Rice die erste halbe Stunde noch äußerst wortkarg präsentiert hat, entpuppt er sich zur Verblüffung der meisten doch noch als durchaus gesprächiges und witziges Kerlchen. Auf der Bühne wird gescherzt, philosophiert und aus dem Nähkästchen geplaudert, bis schließlich keiner mehr so genau weiß, was der zerstreute Künstler eigentlich sagen wollte. Doch das ist im Endeffekt auch völlig egal, da seine Musik mehr als tausend Bände spricht. Dies gilt für den brandneuen Song "Never Been in this Place Before"*, mit dem er abermals für allgemeine Gänsehaut sorgt, genauso wie für die Live-Raritäten "Child, Man, Silly Dog", "Cross-Eyed-Bear" und "Sex Change", die allesamt noch aus alten Juniper-Zeiten stammen und in irgendeiner Form Eingang in die Setlist finden - letzteres als Teil einer atemberaubenden Performance von "Amie". Diese widmet Rice wiederum seiner Vorband, die an diesem Abend mit neuer Setlist und meinem Lieblingstrack "This Love" von ihrem Debütalbum angenehm überraschte, und fasziniert mit einem nahezu psychedelischen "space"-Jam. Von sagenhaften Lichteffekten begleitet, baut die Band allmählich Klangwelten auf, die in einem solch atmosphärischen Soundspektakel aufgehen, dass das größtenteils komplett fassungslose Publikum sich regelrecht auf den Mars versetzt fühlt.

Erst mit der Frage, was man denn noch gern hören wolle, holt Rice einen wieder in die Wirklichkeit zurück. Da jegliche Liedwünsche meinerseits nach "Then Go" oder "Insane" vom anderen Ende des Saals wohl sowieso nicht bis zur Bühne vordringen würden, überlasse ich es anderen, wild Songtitel durch die Gegend zu rufen. Zu meiner hellen Freude fällt die Wahl auf "Cheers Darlin'", eines meiner liebsten Stücke auf "O", das live durch seinen Hauch Theatralik ein echtes Ereignis darstellt. Doch auch die restlichen Songs des Abends sorgen für puren Genuss beim Publikum. So entzückt Vyvienne Long mit ihrem hinreißend komischen "Random Man on the Motorway", während Damien Rice zum Abschluss mit einer ergreifenden Version von "The Blower's Daughter" noch einmal den gesamten Saal beglückt.

Überglücklich bin auch ich nach dieser eindrucksvollen Woche. Denn selbst als großer Fan seiner Musik hätte ich mir nie träumen lassen, dass Damien Rice sich als solch grandioser Live-Performer herausstellt. Das Bemerkenswerte an seinen Konzerten ist vor allen Dingen, dass so gut wie nichts einstudiert oder geplant ist, sondern beinahe alles spontan und aus der Laune des Künstlers heraus entsteht. Und da Damien Rice bekanntlich als äußerst launisch gilt, ist im Grunde genommen jeder seiner Auftritte einzigartig. Darüber hinaus erhalten die Songs des Iren durch das famose, scheinbar blinde Zusammenspiel der Band und ihre ausgiebigen Jam Sessions ganz neue Facetten und wirken live in der Regel sogar noch ausdrucksstärker und emotionaler als auf Platte. Für das Publikum kann diese Fahrt auf der Gefühlsachterbahn zeitweise regelrecht anstrengend werden. Doch gerade das ist das Besondere an Damien Rice. Seine Musik berührt, fesselt und lässt auch nicht so schnell wieder los. Und genau aus dem Grund ist und bleibt er mein absoluter Lieblings-Songwriter.

'Til I find somebody new.

Setlist Strasbourg, 10.03.2007

Sleep Don't Weep / Volcano / Woman Like a Man / Older Chests / Coconut Skins / Be My Husband / 9 Crimes / Me, My Yoke + I / Dogs / The Blower's Daughter (+Creep) / Rootless Tree / Seven Nation Army / Elephant / I Remember (+Bang Bang & Feeling Good) // Cannonball / Delicate / The Professor & La Fille Danse

Setlist Köln, 11.03.2007

Delicate / Me, My Yoke + I / Eskimo / 9 Crimes / Cannonball / Coconut Skins / Be My Husband (+Love Me Like You) / Volcano / The Animals Were Gone / Random Man on the Motorway / Rootless Tree / The Rat Within the Grain / Is That It, My Friend / The Blower's Daughter (+Creep) // Woman Like A Man / I Remember

Setlist München, 16.03.2007

Delicate / Older Chests / Coconut Skins / Woman Like a Man / Elephant / Rootless Tree / Cannonball / Never Been in this Place Before* / The Professor (+Child, Man, Silly Dog) & La Fille Danse / Volcano / Amie (+Sex Change) / Cross-Eyed Bear / Cheers Darlin' / I Remember // Random Man on the Motorway / The Blower's Daughter

*offizieller Titel unbekannt

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Paulina Banaszek - myFanbase
09.04.2007

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