Die besten Charaktere 2012/2013
Daniel Holden (Rectify)

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Was passiert mit einem Mann, der als Jugendlicher zur Todesstrafe verurteilt wird, 19 Jahre lang in Einzelhaft auf den Tag seiner Hinrichtung wartet, und als Erwachsener wieder in eine Welt freigelassen wird, von der er dachte, sie nie wieder zu sehen? Daniel Holden ist eine Figur, die in ihrem ganzen Tun, in ihrem ganzen Sein außergewöhnlich ist. Als Protagonist, der der Geschichte selbst eigentlich überhaupt keinen Anstoß gibt, sondern vielmehr durch äußere Anstöße zu agieren beginnt, ist Daniel definitiv ein Unikum in der Serienlandschaft. Welch enorme Faszination eine solch ungewöhnliche Persönlichkeit ausüben kann, beweist "Rectify" in seiner ersten Staffel: In nur sechs Episoden vollführt die Serie das Kunststück, eine derart tiefgehende und komplexe Charakterstudie dieses Mannes zu zeigen, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, hier eine wahrhaftige Figur aus Fleisch und Blut vor sich zu haben.

"It is difficult to gauge things in this world."

Foto: Aden Young, Rectify - Copyright: 2013 SUNDANCE FILM HOLDINGS LLC. All Rights Reserved
Aden Young, Rectify
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Die erste Staffel von "Rectify" behandelt den Zeitraum von etwa einer Woche und zeigt so mit höchster Intensität und Detailtreue, in welch nahezu absurder Situation sich Daniel befindet und was für eine Herausforderung es ist, nach 19 Jahren in einer weißen Zelle ohne menschliche Nähe und mit dem ständigen Warten auf den Tod, wieder in die freie Welt entlassen zu werden. Daniel ist von Anfang an völlig überfordert mit der Situation, verhält sich still und ruhig, sagt nicht viel, und doch sieht man, dass sein Kopf überquellen muss mit Gedanken und Eindrücken. Jeder will etwas von ihm, jeder erwartet etwas vom ihm und das, nachdem 19 Jahre lang niemand etwas anderes von ihm erwartete, als zu sterben. Es spricht bereits Bände, dass Daniel direkt nach seiner Entlassung auf der Autofahrt vom Gefängnis nach Hause einfach einschläft, überwältigt von einer erdrückenden Müdigkeit, die er sich selbst nicht erklären kann.

Es sind die einfachsten Dinge, mit denen Daniel sich wieder vertraut machen muss: ein Bad in der Badewanne, ein Sonnenaufgang, das Einkaufen in einem Supermarkt. Er entdeckt die Dinge mit der Neugier eines Kindes, völlig außerhalb von jeglichem Zeitgefühl und ohne dass ihm wirklich bewusst ist, wie andere um ihn herum auf ihn reagieren und wie er auf andere wirkt. Soziale Interaktion ist für ihn etwas, das er erst wieder mühsam erlernen muss. Mit Daniel gibt es keinen Smalltalk, alles, was er sagt, ist von Bedeutung, alles, was er sagt, sagt er mit Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Direktheit. Er drückt sich eloquent und bedächtig aus, aber nie umständlich, sondern vielmehr so, wie er es aus seinen Büchern, die ihn über die Zeit in der Zelle gerettet haben, kennt. Und genau hier liegt das Paradoxon: Zwar besteht keine Diskrepanz zwischen dem, was Daniel denkt und dem, was er sagt – aber dennoch ist er ein Enigma, ein manchmal nahezu unentschlüsselbarer Mensch, dessen Körper es vielleicht in die Freiheit geschafft hat, doch dessen Geist immernoch in der Zelle gefangen ist.

Daniels langsame Wiedereingliederung in sein altes Leben und Umfeld ist eine Entdeckungsreise, die für die Zuschauer viele hochemotionale Momente liefert: wie Daniel nach 19 Jahren die Dinge seiner Jugend auf dem Dachboden wiederfindet und das erste Mal wieder seine Musik hört; wie er das erste Mal wieder Fahrrad fährt; wie er das erste Mal den alten Laden seines Vaters wieder betritt... die Liste lässt sich noch unendlich weiterführen. Gleichzeitig aber schwebt über allem eine Art von Surrealität, das Gefühl, dass dies alles vielleicht gar nicht real ist, oder dass manche Dinge sich nur in Daniels Kopf abspielen. Ein verrücktes, nächtliches Abenteuer zum Beispiel, bei dem Daniel einem Lasterfahrer dabei hilft, Ziegen zu stehlen und sich dann mit ihm prügelt, nimmt die Züge eines Traumes an. Eine Taufe wird zu einem tief berührenden, transzendenten Moment. Und zwischen all dem immer wieder die Erinnerung an die Todeszelle, an die Unterhaltungen mit seinem Zellennachbarn Kerwin, an die Brutalität, die Unmenschlichkeit, die Enge, die Schuld.

Es ist eigentlich unglaublich, was man über diese Figur nach nur sechs Episoden zu sagen hat, welch enormen Sog sie auf einen ausübt und wie viele Emotionen man in ihre Geschichte investiert. Die grandiose Charakterarbeit der Drehbuchautoren und dazu noch die Glanzleistung von Aden Young, der in dieser Rolle eine reinste Offenbarung ist, machen Daniel zu einem der faszinierendsten TV-Charaktere der letzten Jahre, der in seiner ganzen Konzeption etwas besonderes ist. Für mich definitiv der interessanteste, fesselndste und erstaunlichste Charakter der Season 2012/2013.

Maria Gruber - myFanbase

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