Bruce Springsteen & The E Street Band

Bruce Springsteen & The E Street Band im Olympiastadium, München

"Can you feel the spirit?", fragt Bruce am 26. Mai die bunte, in wasserdichte oder nicht-ganz-so-wasserdichte Mäntel gewandete Menge vor ihm. "Can you feel the spirit?", wiederholt er. Oh, wir fühlen die Kälte, wir fühlen den Regen, wir fühlen die Nässe, vielleicht die sich anbahnende Blasenentzündung, aber ja doch: Wir fühlen den spirit, wir fühlen, dass es uns für die nächsten drei Stunden egal sein wird, wie nass und kalt und regnerisch und gefährlich es für die Blase ist. Denn es geht um den spirit, es geht um die Liebe zur Musik, die Kraft des Rock'n'Roll und vor allem um einen Mann und seine Band, die es wie kaum eine andere Formation schaffen, Seelen zu berühren, Feuer zu entfachen, Menschen zu begeistern: Bruce Springsteen und seine E Street Band.

Foto: Bruce Springsteen - Copyright: Sony Music/Danny Clinch
Bruce Springsteen
© Sony Music/Danny Clinch

Es ist schon ganz erstaunlich, wie auch Brian King von den Japandroids in einem Interview mit dem Visions-Magazin mal bemerkte: "Bei Springsteen zahlen die Leute 100 Dollar, um einen Mann mit 100 Millionen Dollar auf dem Konto darüber singen zu hören, wie hart das Leben ist, wenn man kein Geld hat. Der größte Rockstar der Welt erzählt davon, wie es ist, einen beschissenen Job als Automechaniker zu haben – und ist dabei total glaubwürdig." Und nun folgen wir ihm auch noch gerne in den Regen und warten bei furchtbaren fünf Grad, dass der Boss um 19:15 Uhr die Bühne betritt, "Servus München!" ruft, zum Champions-League-Titel gratuliert und schließlich verschmitzt lächelnd mit "Who'll Stop The Rain" loslegt.

Springsteen hatte das Konzertticket einmal als seinen Händedruck bezeichnet, als Vertrag, wirklich alles zu geben. Dass in diesem Fall zusätzliche Power nötig ist, ist ihm auch ohne der besonders sehnsüchtigen "Bruuuuce"-Rufe aus dem Publikum klar. So startet er gleich danach mit einem Stück von einem der berühmt-berüchtigten Songwunsch-Schilder: "Long Walk Home" hat wie die folgenden paar Songs noch mit einem leicht schwammigen Sound zu kämpfen – dieser bessert sich bei den ersten Highlights "Out in the Street" und "Rosalita (Come Out Tonight)"; ab dem oben beschriebenen Spirit-Moment, dessen Energie sich in einer fulminanten Version von "Spirit in the Night" entlädt, ist er kein Thema mehr.

Dann kündigt Springsteen eine Überraschung an: In diesem speziellen Fall (Schon vergessen? Es schüttet!) wird die Band das komplette "Born in the U.S.A."-Album in voller Lautstärke spielen. Man muss die Information ein bisschen sacken lassen, um zu begreifen, welch tolle Momente auf uns warten: "I'm Goin' Down" und "Downbound Train", Songs, die sonst sehr selten auf den Setlists zu finden sind; "Working on the Highway" in einer reduzierten Version mit einem amüsiert dreinblickenden Bruce; Einander-in-die-Arme-Fall-Klassiker wie "Bobby Jean" und "Glory Days", die nie ihre Gültigkeit verlieren. Dass dieses Konzert eigentlich im Zeichen der "Wrecking Ball"-Tour steht, wird hier zugunsten dieser herz- und grundsätzlich erwärmenden Momente außen vor gelassen – tatsächlich schaffen es an diesem Abend lediglich zwei Tracks des aktuellen Albums ("Wrecking Ball", "Death to My Hometown") auf die Setlist.

Nach dem beeindruckenden "Born in the U.S.A.”-Abschnitt, der wie ein einziges Hitfeuerwerk anmutet, schmunzelt Bruce erneut, um dann mit "Waitin' on a Sunny Day" jedem Einzelnen im Stadion aus der Seele zu sprechen. Wer gerne Bruce-Videos mit Fan-Action guckt, weiß, dass er zu diesem Song gerne ein paar Kiddies aus dem Publikum zu sich auf die Bühne holt und sie den Refrain singen lässt – im Grunde schon eine alte Masche, aber hier wie jedes Mal zum Quietschen süß.

Die Nähe zum Fan wird übrigens auch im Regen groß geschrieben: Wenn nicht gerade ein paar Leute im Regenmantel auf der Bühne tanzen dürfen, tigert Bruce unermüdlich und mit einer für sein Alter absolut beeindruckenden Energie vor der Absperrung hin und her, klatscht alle ab und holt auch mal Steve Van Zandt in den Regen, zum allerersten Mal, wenn man dem feixenden Boss Glauben schenken darf.

Nach einem peitschenden "Badlands" geht die Band direkt und ohne das übliche kurzzeitige Versteckspiel in den Zugaben-Teil über – auch das ist ein Zugeständnis an über 40.000 Fans, deren Gänsehaut langsam, aber sicher nicht nur von pathetischen Gesten her rührt. Deshalb darf auch weiterhin ordentlich geschunkelt und abgegangen werden: Bei "Pay Me My Money Down", "Born to Run" und den beiden Cover-Versionen "Rockin' All Over the World" und "Twist and Shout" geben sowohl Band als auch Publikum noch mal ihr Bestes – der ständige Vergleich von Springsteen-Konzerten mit (reichlich ausgelassenen) Gottesdiensten passt auf einmal wie die Faust aufs Auge.

Zwischen diesen Songs findet sich einer, der seit geraumer Zeit ebenso zum Fixpunkt der Gigs gehört wie das unvermeidliche, unverwüstbare "Twist and Shout": "Tenth Avevenue Freeze-Out" steht wie immer ganz im Gedenken an verstorbene Weggefährten der Band – um einen geht es natürlich ganz besonders: Weder Bruce' Hinweis, dass jetzt der wichtige Teil komme, noch die Textzeile "And the big man joined the band” oder die Bilder im Hintergrund sind nötig, es denken ohnehin gerade alle an den "Big Man” Clarence Clemons, den 2011 verstorbenen, charismatischen Saxophonisten der E Street Band. Mit Clarence' Neffen Jake hat man einen würdigen Nachfolger gefunden, der nicht nur ebenso salbungsvoll in sein Sax bläst, sondern auch über eine enorme Bühnenpräsenz verfügt.

Nach dem Tohuwabohu von "Twist and Shout" verabschieden sich Boss und Band von einem Publikum, das es trotz bibbernden Körpern und durchnässten Schuhen nicht wahrhaben will, dass Bruuuuce "nur" drei Stunden gespielt hat – was bei anderen Acts eine ausgemachte Sensation wäre, fühlt sich hier für manche wie eine Enttäuschung an. "Ich war früher müde als der Boss", wird später jemand zugeben. Und: "Ich bin eigentlich äußerst zufrieden", kommt es auch von denjenigen, die es in der ersten Schrecksekunde, als Bruce die Bühne verließ, kaum fassen konnten.

Sein Versprechen, stets sein Allerbestes zu geben, hat Springsteen auch in München gehalten – da er sich in jeder Hinsicht um sein Publikum kümmern will, hat er seine übliche Power (und übrigens auch die übliche Anzahl von Songs) in drei halbwegs blasenfreundliche Stunden gepackt. Wikipedia schreibt: "Seine Konzerte haben eine fast kathartische Wirkung auf seine Zuhörer." Ein anderer brauchte nicht einmal das Konzert, sondern lediglich drei Songs, um mindestens ebenso treffend festzustellen: "Bruce singt so cool, ich glaube, ich sterbe!"

Setlist

Who'll Stop the Rain? (Creedence-Clearwater-Revival-Cover) / Long Walk Home / My Love Will Not Let You Down / Out in the Street / Seaside Bar Song / Rosalita (Come Out Tonight) / Wrecking Ball / Death to My Hometown / Spirit in the Night / Born in the U.S.A. / Cover Me / Darlington County / Working on the Highway / Downbound Train / I'm on Fire / No Surrender / Bobby Jean / I'm Goin' Down / Glory Days / Dancing in the Dark / My Hometown / Waitin' on a Sunny Day / The Rising / Badlands

Zugabe:

Pay Me My Money Down / Born to Run / Tenth Avenue Freeze-Out / Rockin' All Over the World (John-Fogerty-Cover) / Twist and Shout (The-Top-Notes-Cover)

Artistpage

BruceSpringsteen.net

Stephanie Stummer - myFanbase
25.06.2013

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