Bewertung
Jessie Ware

Tough Love

2012 war ein gutes Jahr. Musikalisch gesehen zumindest. Nicht wegen "Call Me Maybe" oder "Gangnam Style". Sondern wegen drei Briten, die mit "Our Version of Events", "Devotion" und "The Lateness of the Hour" drei großartige Werke schufen. Drei ganz unterschiedliche Alben, die aber eins gemein hatten: Sie ließen die Grenzen zwischen souliger und elektronischer Musik verschwimmen. Drei Debüts, die vor Kraft, Können und Innovation strotzten. Während Emeli Sandé noch an ihrem Zweitling arbeitet, haben Jessie Ware und Alex Clare ("Three Hearts") ihn nun veröffentlicht. Die Erwartungen sind logischerweise hoch.

Foto: Jessie Ware - "Tough Love" - Copyright: Island Records
Jessie Ware - "Tough Love"
© Island Records

Nach einem Jahr, in dem sie durch Europa und die USA tourte, sammelte Jessie erneut ihre "Devotion"-Mannschaft um sich und ergänzte die ihr vertrauten Könner um ein paar neue Kollegen. Neue Ideen und Seiten sind auf "Tough Love" fast überall zu spüren, während man den Basics – Jessies ausdrucksstarker Stimme und spannende Spielereien mit den Synthies und Sounds – selbstverständlich treu blieb. "You & I (Forever)" zeigt das beispielhaft: Der Beat darf wie immer ordentlich stampfen und surren, aufheulende Soundeffekte verhindern die Nähe zum schlichten Pop und im Refrain setzen dann fremde Backgroundstimmen ein – auch wenn man sich durch deren dezenten Einsatz nicht zu weit von bekanntem Terrain bewegt, ist es als neues Mittel doch des Bemerkens wert. Jene Backgroundsänger sind übrigens der derzeit hochgepriesene Miguel, Elektro-Produzent Sampha und Rihannas "Stay"-Duettpartner Mikky Ekko, mit denen Jessie bei vergangenen Kollaborationen Freundschaften entwickelte.

Als hätten Sade und Kiesza Kameradschaft geschlossen, klingt der starke Titeltrack (Musikvideo zu "Tough Love"): Lieblich wie erstere und punktiert wie letztere singt die Süd-Londonerin über einem spärlichem, widerhallendem Beat. Wie ein Dido-Cover eines Toni Braxton-Tracks wirkt das nachfolgende "Cruel". Vieles hat nicht mehr die Wucht der Debüt-Tracks, dafür kommen im Vergleich 90er und R'n'B deutlicher raus, so auch im funkigen "Sweetest Song" oder in "Want Your Feeling". Letztgenannter bringt ein wenig Discofeeling und eine Popprinzessin in unmöglichen Klamotten der 80er oder 90er Jahre vor die Augen.

Die schwüle Stimmung von "Kind of... Sometimes... Maybe" erinnert an Babyface oder R. Kelly und das nicht nur dank Miguels Flüsterstimme im Hintergrund. Brummender Beat, staccato Synths (die am Ende komplett ausbrechen) und plätschernde Effekte kreieren das Albumhighlight. Der vielleicht spannendste Song ist "Keep On Lying", der Spielorgel-ähnliche Syntheffekte, dumpfe Stampfer und mehrstimmigen Gesang, der so auch von Kate Bush hätte arrangiert werden können, kombiniert. Musikalisch nicht am spannendsten, aber eine gute Bühne für das raffinierte Können der 30-jährigen Sängerin ist "Champagne Kisses". Jener Track und das dem üblichen, aber wirksamen Ware-Schema folgende "Pieces" (Musikvideo zu "Pieces") sind im Albummittelfeld anzusiedeln.

"Say You Love Me" macht eine Einsortierung schwierig. Ed Sheeran bringt als Mitschreiber und durch leise Backgroundvocals ein folkiges Feeling rein, während Jessie im Refrain dann druckvoll und hoch ihre Stimmgewalt raus lässt. Nach der Bridge setzt dann überraschenderweise ein lauter Chor ein und klatschende Percussion werfen die Synthies aus dem Aufnahmeraum. Der Song kommt dann zu einem schönen Ende, ist grundsätzlich auch nicht schlecht, hat aber merklich den Albumsfluss gestört. Auch wenn er sich beim ersten Hören nicht leicht erschließt, freut sich da manch ein Fan sicher mehr über den Albumabschluss "Desire" - minimalistisch mit düsteren Beats und einer monotonen Bassline (die gerne etwas lauter aufgedreht sein könnte) unterlegt, glänzen über alledem Jessies glockenhelle Töne.

Fazit

Die gleichen Schriftzüge und Farben – aber ein anderes Bild in der Mitte. Während Jessie auf dem Cover ihres Debüts stylisch und kühl nach rechts blickt, schaut sie nun im Normalo-Look zurechtgemacht aus einem düsteren Raum nach links. Sie steht weiterhin im Zentrum, ebenso wie ihre stimmliche Beweglichkeit und Präsens in den neuen Liedern. Ohne Hits wie "Wildest Moments" und "Running" haut es diesmal nicht mit der damaligen Wucht rein, es spielt sich eher raffiniert und gefällig in die Ohren. Die Markenzeichen ihres Sounds sind weiterhin vorhanden, wurden aber angereichert mit weiteren Facetten. Es klingt weniger technisch, sondern wärmer und näher. Die freiere Orientierung mag noch nicht ihre volle Dynamik entwickelt haben, macht aber erneut deutlich, dass Jessie Ware mehr von den Stärken und Möglichkeiten der letzten Jahrzehnten und Genres versteht als so viele andere. Musikalisch gesehen.

Anspieltipps

Tough Love

Kind of... Sometimes... Maybe

Keep On Lying

Artistpage

JessieWare.com

Tracks

1.Tough Love
2.You & I (Forever)
3.Cruel
4.Say You Love Me
5.Sweetest Song
6.Kind of...Sometimes...Maybe
7.Want Your Feeling
8.Pieces
9.Keep On Lying
10.Champagne Kisses
11.Desire

Micha S. - myFanbase
11.11.2014

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