Bewertung
Decemberists, The

The King Is Dead

Am Anfang war eine seltsam entrückte Theatergruppe, die verträumte Geschichten zum Besten gab. Geschichten und Märchen blieben über die Jahre im Mittelpunkt, die Songs selbst wurden immer länger, epischer, dramatischer, die Konzepte durchdachter. Eine japanische Fabel ("The Crane Wife") sowie eine makabre Rockoper ("The Hazards of Love") später hatten die Decemberists genug vom Brückenbauen zwischen Folk und Metal und hängten die große Progrock-Keule in die Ecke. Colin Meloy, der Mann, der früher gerne mal als Apfelbaum verkleidet auftrat, verkündete die Rückkehr zum einfachen Song ohne großen Schnickschack. Die Fangemeinde reagierte mit einem leicht verunsicherten "Huch!".

Foto: Copyright: Rough Trade Records
© Rough Trade Records

Die Tatsache, dass man nach Erscheinen des Albums mit Bruce-Springsteen-, Neil-Young- und dank Peter Bucks musikalischer Unterstützung auch mit R.E.M.-Vergleichen um sich schmiss, ließ das Fanherz schon ein wenig bangen: Was, wenn die Decemberists all ihre Originalität und Schrulligkeit verloren hatten?

Bei den ersten Tönen von "Don't Carry It All" war es dann tatsächlich Zeit für ein lautes "Huch!": Eine nervtötende Mundharmonika und aufdringliche Drums preschen einem aus den Lautsprechern entgegen, dazu singt Meloy viel zu aufgesetzt inbrünstig – und es ist komplett egal, wie leise man dreht, dieser Song fühlt sich immer zu laut an. Hier heißt es tief durchatmen, den Schock verdauen und tapfer weiterhören – denn es geht bergauf!

Natürlich sind Decemberists-Konzeptalben interessanter, und "Picaresque" bleibt auch weiterhin unübertroffen, doch auf eines kann man sich dennoch verlassen: Selbst wenn es sich um einfach gestrickte Songs handelt, ist und bleibt Meloys Stimme doch so einmalig und charakteristisch, dass sie jedes Stück automatisch einen Tick schrulliger klingen lässt.

Das meloy'sche Gesetz hilft dem Hörer nicht nur über eventuelle Anfangsschwierigkeiten hinweg, sondern bewirkt im weiteren Verlauf der Platte, dass es einem gar nicht mehr seltsam vorkommt, wenn hier alle munter in Country-Klischees baden und die Songs mit Mundharmonika, Pedal-Steel und lustigem Gefidel vollstopfen.

Das irisch angehauchte "Rox in the Box" sowie das mitreißende "Down By the Water" fühlen sich nach zwei Durchläufen schon wieder vollkommen vertraut an; Zeilen wie "On a winter's Sunday I go / To clear away the snow / And green the ground below" ("January Hymn") tragen das Übrige zur Heimeligkeit bei.

Als heimliche Stars des Albums entpuppen sich nach mehrmaligem Hören die langsameren, folkigen Songs wie "Dear Avery, "June Hymn" und "January Hymn" – auch wenn sich mit dem Titel "Hymne" ein ganz anderes Stück schmücken darf: "This Is Why We Fight" ist nicht nur ein echter Ohrwurm, sondern bietet neben der "January Hymn" auch die Textstellen, die sich am besten zum Zitieren eignen: "This is why / Why we fight / And when we die / We will die / With our arms unbound".

Fazit

An dieser Stelle würde sich jetzt natürlich gut ein Wortspiel über den Albumtitel machen, aber lassen wir das lieber. Stattdessen sei gesagt, dass "The King Is Dead" ein sehr gutes, im Vergleich mit den anderen Werken der Band aber nicht so einzigartiges Album ist. Einzigartig ist aber das Talent der Decemberists, jedem beliebigen Genre ihren besonderen Stempel aufzudrücken. Von daher darf man schon gespannt sein, in welche Richtung sie sich nach diesem "Album für Zwischendurch" bewegen werden.

Anspieltipps

Calamity Song

Rox in the Box

January Hymn

Down By the Water

June Hymn

Artistpage

Decemberists.com

Tracks

1.Don't Carry It All
2.Calamity Song
3.Rise to Me
4.Rox in the Box
5.January Hymn
6.Down By the Water
7.All Arise!
8.June Hymn
9.This Is Why We Fight
10.Dear Avery

Stephanie Stummer - myFanbase
12.02.2011

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