Bewertung
Archive

Controlling Crowds

Dass Archive weit über eine Dekade Bandgeschichte auf dem Buckel haben, mag man ihnen nicht anhören – gegebenenfalls aber ansehen. Spurlos ist die Zeit an der britischen Kombo nicht vorbeigegangen. 1994 erstmalig in Erscheinung getreten, seither mehr als einmal in der Versenkung verschwunden, sind sie im Jahre 2009 wieder da, um sich mit einem Paukenschlag bei den Fans zurückmelden, sich all denjenigen vorzustellen, die Archive bisher schändlicherweise noch nicht kannten und sich ins Gedächtnis zu rufen bei denen, die sie – was noch viel schlimmer ist – vergessen hatten.

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Da grübelt man und grübelt man, wie man Archive dem Leser dieser Rezension näher bringen kann. Im Grunde müsste sie jedem von euch da draußen ganz nah – aber auch ganz, ganz nah – ans Herz gelegt werden. 15 Jahre nach ihrer Gründung, diverse bandinterne Dispute und fünf Studioalben später meldet das Kollektiv um dessen Köpfe Darius Keeler und Danny Griffiths zum nunmehr sechsten Mal zu Wort. Und dann sucht man nach einer schönen Metapher, um dem Quereinsteiger möglichst bildhaft und eindringlich darzulegen, wer oder was Archive sind. Und nach dem dritten Hördurchgang kommt einem plötzlich dieser sagenumwobener Rattenfänger in den Sinn, der mit der Flöte in der Hand alles in seinen Bann zog. Ok, damals handelte es sich um Ratten. Aber die waren der Geschichte nach durch die Melodeien des Musikanten regelrecht paralysiert und folgten ihm bedingungslos nach. Fast könnte man meinen, Archive hätten eben jenes im Sinne gehabt, als sie mit der Arbeit an "Controlling Crowds", der Titel hätte sein Übriges getan, begannen: Den Hörer in Trance zu versetzen und gefügig zu machen. Gefügig machen? Moment. Bloß nicht! Denn das ist im Grunde das Letzte, was Archive wollen.

Dass ihre Alben, die bekanntermaßen von nahezu epischer Länge sind, einfach hin und zur Kenntnis genommen werden, ist keinesfalls im Interesse der Band. Die vielen Köpfe, die hier am Werke waren und selbige für "Controlling Crowds" zusammensteckten, haben sich etwas dabei gedacht. Im Grunde sogar einiges. Sie haben ganze Arbeit geleistet. Allein die Tatsache, dass es zu einem Konzeptalbum in drei Teilen gemacht wurde, macht unmissverständlich deutlich, dass man was zu sagen hat und auch möchte, dass es verstanden wird – und zwar auf jeder möglichen Ebene. Mit Herz und Hirn. Anders lässt sich auch nicht die etwas entrückte, verfremdete Darstellung eben jener menschlicher Organe im Booklet erklären, in welches sich so oder so mehr als ein Blick lohnen wird. Denn hier findet man haargenau jedes Wort zu den kongenialen Texten des Albums, die keinesfalls außer auch gelassen werden dürfen. Denn hier ist so ziemlich jedes Wort gut und richtig und wichtig. Zwischen den gewohnt elegischen Archive-Klängen, zu den kantigen Synthesizern, imposant opulenten Streichern bis hin zum Hämmern, das mühelos den direkten Weg durch Mark und Bein findet, findet sich eine hauchfeine Kritik in jeder Pore des Meisterstücks der Briten – mal nach vorne peitschend, mal schweren Atems keuchend, aber nie am Boden liegend. Kaum ein gutes Haar lässt man ungekrümmt am Menschen an sich: "Make me sad, make me sleep, make me question. Give me things that can calm this depression. Let me know what to do when my money's spent. Let me know how to smell and to pay the rent, let me know what to do when my hair is gone, let me know who to kill when the war is on." Und offenbart mit nur wenigen Federzügen unsere gesamte Unsicherheit, Inkompetenz und das Unvermögen, unser Leben unter Aspekten der Schadensbegrenzung zu einem zu machen.

Fazit

"Controlling Crowds" ist nicht nur ein weiteres Ausrufezeichen Archives und nicht zuletzt durch die bekannten Rap-Einlagen Rosko Johns ein kunstvoll arrangiertes Bilderbuchbeispiel für musikalischen Stilmix- und bruch, der sich im Gesamten spielend zu einem homogenen Ganzen verschmelzen lässt. "Controlling Crowds" wächst in seinen rund achtzig Minuten Spielzeit zweifellos nach mehrmaligem Hören nicht nur mehr und mehr über sich selbst hinaus, sondern zu einem wahrhaften Ungeheuer heran, das den Hörer mit seiner ganzen Kraft gefangen nimmt, gleichzeitig aber auch mit seiner lyrischen Sensibilität fesselt. Verstört in der Klangwelt der Seltsamkeiten auf und ab wandernd, im nächsten Moment hochexplosiv, stets spannungsreich und kraftvoll hypnotisiert der sechste kleine Geniestreich der britischen Kombo nahezu. Und da haben wir auch den zugegebenermaßen etwas erzwungenen Bogen zum Rattenfänger von Hameln geschlagen. Aber sei's drum: Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.

Anspieltipps

Words On Signs

Dangervisit

Collapse/Collide

Clones

Kings Of Speed

Funeral

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Tracks

1.Controlling Crowds
2.Bullets
3.Words On Signs
4.Dangervisit
5.Quiet Time
6.Collapse/Collide
7.Clones
8.Bastardised Ink
9.Kings Of Speed
10.Whore
11.Chaos
12.Razed To The Ground
13.Funeral

Aljana Pellny - myFanbase
26.05.2009

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